Neulich hatte ich einen Arzttermin. Als
wir mit Blick auf meine herumkrabbelnde Tochter darauf kamen, dass
ich derzeit in Elternteilzeit bin, freute sich die Ärztin: "Ah,
ein fortschrittlicher Arbeitgeber!"
Da konnte ich mir nicht verkneifen zu
sagen: "Ja, ich arbeite für die katholische Kirche."
Woraufhin sie erstaunt und fast
entrüstet irgendetwas Relativierendes hinterhersagte.
Dinge zusammenfügen. Ostdeutsche Platte und Kirche, Halle/Saale, 2016. |
Derzeit fällt mir das öfter auf: Da
werden in manchen Kreisen oder "der öffentlichen Meinung"
Dinge zusammengebracht, die scheinbar zusammengehören müssen – in
meinem Fall katholische Kirche und konservativ-zurückgebliebene
Lebenswelt. Bestimmte Einstellungen dürfen zusammen auftreten,
andere nicht.
Auch wenn es um Demos geht, muss man in
den Sozialen Netzwerken nicht lange auf entrüstete Kommentare
warten, wenn kirchliche Gruppen zur Teilnahme an Anti-AfD-Demos
aufrufen.
Da dürfen in den Augen mancher Leute
ebenfalls bestimmte Haltungen nicht zusammengehören.
Ganz aktuell fällt das auf bei dem
Offenen Brief von VertreterInnen beider großen Kirchen an die CSU
und ihre angeblich christliche und soziale Politik. Wer sich wie und
mit welchen Inhalten äußern darf, weiß manch einer ganz genau.
Grundsätzlich gefragt: Welche Meinung
darf ich mir erlauben, wenn auch Leute diese Meinung haben, mit denen
ich nun wirlich nicht in einem Atemzug genannt werden will?
In was muss ich alles noch eingemeindet
werden, wenn ich eine bestimmte Sache bejahe? Welche Eigenschaften
gehören angeblich unauflöslich zu einer Eigenschaft, die ich für
mich in Anspruch nehme?
Natürlich gibt es hier problematische
Entscheidungen, die für jeden anders ausfallen dürften: Ich möchte
nicht mit jeder Gruppe zusammen gegen Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit demonstrieren. Ich möchte auch nicht mit allen
Leuten beim Marsch für das Leben gesehen werden.
Aber ich möchte die Freiheit haben,
beides tun zu können, ohne dass mir dafür die Diskursfähigkeit
oder der Glaube abgesprochen wird.
Mir fiel dazu ein Gedanke von Navid
Kermani ein, den ich vor einiger Zeit gelesen (und hier zitiert) habe
und der auch auf diese Fragestellung passt:
"Ich bin Muslim, ja – aber
ich bin auch vieles andere. Der Satz 'Ich bin Muslim' wird also in
dem Augenblick falsch, ja geradezu ideologisch, wo ich mich
ausschließlich als Muslim definiere – oder definiert werde.
Deshalb stört es mich auch, daß die gesamte Integrationsdebatte
sich häufig auf ein Für und Wider des Islam reduziert – als ob
die Einwanderer nichts anderes seien als Muslime."1
Er fährt später fort, dass viele
Muslime vor einem Dilemma stehen, wenn Extremisten im Namen ihrer
Religion irgendeine Untat verüben:
"Sie sind in eine Entscheidung
gezwungen: Gehörst du zu uns, kannst du nicht zu denen gehören. Die
wenigsten Migranten der zweiten oder dritten Generation scheinen
diesen Schritt mitzumachen. Sie sehen kritisch, was im Namen des
Islam geschieht. Aber sie können nicht einfach die Seiten wechseln.
Zur Entscheidung gezwungen, entscheiden sich immer mehr Muslime –
aus meiner Sicht – falsch: allein dadurch, dass sie sich für eine
Seite entscheiden."2
Auf das Christentum und das Leben im heutigen Deutschland angewandt: Auch ich glaube nicht, dass ich mich
entscheiden muss.
Schornstein und Minarett? Tempelgarten, Neuruppin, 2017. |
Ich bin der Meinung, dass es möglich
ist, sowohl liberal als auch überzeugt katholisch, sowohl
patriotisch als auch glühender Europäer, zugleich aufgeklärter
Demokrat als auch kirchentreuer Katholik zu sein.
Die Tatsache, dass
mir der Lebensschutz und eine offene Gesellschaft wichtig sind,
bedeutet nicht, dass ich mich mit jeder konservativen oder liberalen Haltung gemein
mache. Aber mein Glaube zwingt mich auch nicht in einen
Lebensentwurf, der meiner Lebenshaltung nicht entspricht.
Sowohl mit progressiven
Freiheitsverprechen als auch mit konservativen Werthaltungen kann ich
mich kritisch auseinandersetzen. Engstirnigkeit und Fundamentalismus
brauche ich nicht, weder auf der einen noch auf der anderen Seite.
Ich muss nicht mit jedem gehen. Aber
ich kann Dinge in mir vereinen – und das auch intellektuell
rechtfertigen –, die zusammen zu denken andere mir nicht immer
zugestehen.
1 N.
Kermani, Wer ist wir? Deutschland und seine Muslime. München 4.
Aufl. 2015, 19.
2 Ebd.,
93.