"Das lasse ich mir
nicht bieten! Das ist Nötigung!"
So oder ähnlich höre ich
es von Zeit zu Zeit in seelsorglichen Einzelgesprächen in der
Haftanstalt, wenn sich Inhaftierte über das Verhalten von
Vollzugsbeamten aufregen. Das Gefühl für Beschränkungen der
persönlichen Freiheit ist auch in Haft intensiv ausgeprägt. Nach
dem Motto: Wenn schon inhaftiert, dann will ich wenigstens nicht noch
mehr Einschluss in meiner Zelle als unbedingt nötig.
Da nun in der ganzen
Republik Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverbote eingeführt
werden, fällt mir natürlich sofort ein, dass die Inhaftierten in
den Haftanstalten dies tagtäglich erleben: eine strenge
Reglementierung der Bewegungsfreiheit.
Fenster im Licht. Wildau, 2019. |
Tatsächlich sind die
Ähnlichkeiten zwischen beiden Einschränkungen nicht von der Hand zu
weisen: Staatliche Instanzen schränken persönliche Freiheiten ein.
Rausgehen weitestgehend untersagt. Besuche aufs Nötigste reduziert.
Ich möchte allerdings
betonen, dass die Unterschiede zwischen Haft und Ausgangssperre viel
größer sind als die Gemeinsamkeiten – auch abgesehen von den
Gründen für die jeweilige Freiheitseinschränkung. Dort die
Reaktion auf ein Vergehen – hier der Versuch, einen Systemkollaps
durch die Pandemie zu verhindern.
Dazu kommt:
1. Immerhin können wir
raus! Ich genieße beispielsweise die tägliche kurze Einheit
Frischluft mit meinen Kindern. Das ist etwas gänzlich anderes als
eine Stunde Hofgang im Knast. Ich kann weitgehend selbst bestimmen,
wann ich das mache und wohin ich gehe (unter Vermeidung von
Menschenansammlungen derzeit meist in einen Wald in der Nähe).
2. Und: Ich habe meine
Kinder bei mir. Auch das ist den Inhaftierten während der Krise
natürlich nicht erlaubt. Im Gegenteil: die Besuche sind aktuell auf
einmal monatlich für zwei Stunden heruntergefahren worden. Mit nur
einer erwachsenen Person. Das bedeutet, dass Familien von
Inhaftierten (genauso wie die Kranken in den Krankenhäusern) sich
während der Hoch-Zeit der Corona-Krise überhaupt nicht sehen
können. (Besser als in Italien allerdings, wo die Besuchsverbote vor
ein paar Wochen zu Revolten
und sogar zu Toten in einigen Gefängnissen geführt haben.)
Wichtig sind hier wie dort
Kontakt nach draußen, sind Besuche! Ich freue mich jedes Mal, wenn
Freunde uns die Lebensmittel bringen, die für eine kleine Familie
nötig sind und wir wenigstens an der Tür ein paar
(abstandssichere!) Worte wechseln. Danke an C. und R. und F.!
3. Auch unsere
Kommunikationsmöglichkeiten sind ungleich besser! Ich kann mit
meiner entfernteren Familie und mit Freunden telefonieren, skypen und
chatten. Über diese technischen Möglichkeiten verfügen die
Haftanstalten in der Regel nicht.
Ich glaube ja, dass das
außerdem DIE Chance wäre, all die illegalen Handys in den
Haftanstalten nun zu erlauben (oder wenigstens gegen solche ohne
Kamera auszutauschen), damit die Inhaftierten wenigstens auf diese
Weise die Möglichkeit der Kontaktpflege mit ihren Familien draußen
haben.
Aber das ist sicher
illusorisch. Leider!
Die Möglichkeit
landesweiter Ausgangssperren mit offenem Ende erzeugen ein Gefühl
der Angst vor dem Eingeschlossensein, ein Gefühl der Unsicherheit.
Das eingangs beschriebene Gefühl staatlicher Nötigung liegt in der
Luft, besonders bei der jungen Generation, die sich ganz praktisch
wehrt und sich weiterhin trifft (bzw. getroffen hat).
Eingeengt. Ofen im Flur. Dresden, 2017. |
Auch ich hatte in meiner
Quarantäne zunächst gehofft, dass es nach den zwei Wochen "normal"
weitergeht. Doch das neue "Normal" ist jetzt auch von
Beschränkungen bestimmt.
Zum Schluss noch ein
frommer Gedanke zum Thema in Bezug auf das Sonntagsevangelium
(Joh 9,1-41):
Jesus heilt einen Blinden.
Die Beschränkungen und die Unfreiheit der Blindheit werden
aufgehoben. Doch dann zeigt sich: die eigentliche Unfreiheit des
Mannes ist die Bosheit derer, die Jesus schaden wollen. Sie werfen
ihn aus der Gemeinde.
Mir sagt das in diesem
Zusammenhang: Manchmal ist es nicht das Offensichtliche, das uns die
meisten Beschränkungen auferlegt. Die meisten Sperren und Knäste
sind toxische Beziehungen oder befinden sich in unserem eigenen Kopf.
Jesus dagegen ist das
Licht der Welt (Joh 9,5). Er will uns ganz und gar befreien. Auch
Ausgangsbeschränkungen oder Quarantäne oder Knast können sein
Geschenk der Freiheit an uns nicht wegnehmen!
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