Auch wenn die Ereignisse mal wieder
schneller sind und hier in Italien inzwischen viele weitere und
grundsätzlichere Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung des
Corona-Virus getroffen wurden, möchte ich doch noch einige Gedanken
zu einem Thema äußern, dass mich gerade auch beschäftigt: dass
seit Sonntagnacht sukzessive öffentliche Gottesdienste in ganz
Italien bis vorerst zum 03. April (Freitag vor Palmsonntag)
ausgesetzt wurden (außer
in der Deutschen Gemeinde von Rom).
Wir sind gerade im Urlaub in der
Toskana. Am Samstagnachmittag haben wir das kleine Dörfchen Vico
d’Elsa besucht und während die Kinder auf dem Spielplatz spielten,
habe ich mir das alte Zentrum und die Kirche angeschaut. Um 17:00 Uhr
begann die Vorabendmesse, fünf oder sechs Leute waren gekommen.
Kirche in Vico d‘Elsa, 2020. |
Hätte ich gewusst, dass am nächsten
Morgen im Gefolge der staatlichen Einschränkungen des öffentlichen
Lebens in der ganzen Gegend keine Gottesdienste mehr stattfinden,
hätten die Kinder länger spielen können und ich wäre in die Küche
gegangen.
So aber fuhr ich vorgestern zum Besuch
der Sonntagsmesse nach Certaldo, wo ich mit vielen anderen
gottesdienstwilligen Besuchern ein Schild an den Kirchentüren
vorfand, das verkündete, dass alle Gottesdienste ausfallen.
In der Kirche setzten sich einige hin
und lasen die ausliegenden Blättchen mit Tageslesungen und -gebeten.
Andere schauten nur kurz herein und schwatzten ein bisschen mit dem
Pfarrer. Einige Ordensschwestern beteten den Rosenkranz. Und viele
Leute zündeten Kerzen an.
Vor der Kirche redeten eine Menge
Menschen erregt in kleinen Grüppchen miteinander.
Als ich das alles sah, fragte ich mich,
wie das denn wäre, wenn es auf Dauer keine Zusammenkünfte mehr zur
gemeinsamen Feier des Glaubens gäbe.
Viele Christinnen und Christen leben ja
Sonntag für Sonntag so.
Und zwar nicht nur in Deutschland, wo
die meisten am Sonntag andere Prioritäten setzen als den Kirchgang.
Sondern vor allem dort, wo Christen in
der Minderzahl sind oder keine beauftragten Liturgen anwesend.
Besonders das Amazonas-Gebiet war diesbezüglich gerade in aller
Munde.
Aber dort ist es immerhin grundsätzlich
möglich. Wie ist es aber dort, wo aus politischen Gründen keine
öffentlichen Gottesdienste stattfinden dürfen? Oder, wie jetzt, aus
gesundheitlichen?
Bisher war das für mich immer eine
weit entfernte Frage für Gläubige in Nordkorea oder in manchen
arabischen Staaten.
Nun stellte sich mir die Frage viel
existenzieller: Wie definiert sich eine religiöse Existenz
(vornehmlich katholischer Prägung), wenn es keine gemeinsamen
Gottesdienste mehr gibt?
Trotzdem fromm. San Michele in Borgo, Pisa, 2020. |
Was machte der Großteil derer, die am
Sonntag zur Kirche gegangen waren? Ich weiß es natürlich nicht,
aber ich vermute, dass die meisten nach Hause oder auf den Vorplatz
gingen.
Was bedeutet das für das religiöse
Leben:
Mehr Eigenständigkeit? Mehr
individuelle Gebete? Mehr Bibellektüre? Übertragungen der
morgendlichen Papstmessen im Internet schauen?
„Ein Christ ist kein Christ“
schrieb Tertullian in der Alten Kirche. Aber wie sollen Christen
zusammenkommen, wenn sie dabei eine eventuell tödlich verlaufende
Krankheit weitergeben? Schließlich haben auch die Christen eine
Verantwortung für das Gemeinwesen.
Wir können sich Christen im Gebet
verbinden, wenn sie nicht zusammenkommen dürfen? Die mentale
Gemeinschaft, die weiß, das jetzt alle gerade den Sonntag feiern?
Möglicherweise ist das ein sehr
katholisches Problem, da evangelische Christen grundsätzlich eher
die individuellen Möglichkeiten der Gottesbeziehung schätzen (ob
sich die theologischen Grundsätze in der Lebenspraxis auswirken, ist
eine andere Frage).
Aber auch als konfessionell
unterschiedlich wichtiges Problem, glaube ich:
Vor allem bedeutet eine solche
Situation mehr Entscheidung. Will ich mich auf Gott einlassen in
dieser „freien“ Zeit am Sonntagmorgen? Und wenn ja, kann ich es
überhaupt?
Ich kann mich der Gegenwart Gottes
aussetzen, wenn ich in der Kirche sitze. Aber ich kann auch
feststellen, dass mich das überhaupt nicht in die gleiche Stimmung
bringt wie ein feierlicher Gottesdienst mit Gesang und
Eucharistiefeier.
Und von der Stimmung abgesehen: Eine
solche Situation bietet die Chance, auch mit dem Thema überhaupt
einmal auseinander zu setzen. Aus welchen Gründen gehe ich in die
Kirche, ist es eher für andere oder wegen anderen? Ist es wegen mir?
Oder wegen Gott?
Ich glaube, egal wie die einzelnen
Gläubigen sich in Certaldo und an anderen Orten entscheiden, wenn
sie nur einen Teil dieser Fragen an sich heranlassen, dann bietet
sich die Gelegenheit ein religiöses Leben in mehr Mündigkeit zu
führen.
Und ich wünsche den Christen in
Italien und überall auf der Welt, dass sie ab Palmsonntag wenigstens
die Heilige Woche und das Osterfest gemeinsam feiern können!
PS. In Japan haben die Christen das bekanntlich jahrhundertelang ausgehalten!
„Einheit im Gebet!“ San Michele in Borgo, Pisa, 2020. |
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen