Dienstag, 10. März 2020

Christ sein ohne Gottesdienst?! Reflexionen im Italien-Urlaub

Auch wenn die Ereignisse mal wieder schneller sind und hier in Italien inzwischen viele weitere und grundsätzlichere Maßnahmen zum Schutz vor der Ausbreitung des Corona-Virus getroffen wurden, möchte ich doch noch einige Gedanken zu einem Thema äußern, dass mich gerade auch beschäftigt: dass seit Sonntagnacht sukzessive öffentliche Gottesdienste in ganz Italien bis vorerst zum 03. April (Freitag vor Palmsonntag) ausgesetzt wurden (außer in der Deutschen Gemeinde von Rom).

Wir sind gerade im Urlaub in der Toskana. Am Samstagnachmittag haben wir das kleine Dörfchen Vico d’Elsa besucht und während die Kinder auf dem Spielplatz spielten, habe ich mir das alte Zentrum und die Kirche angeschaut. Um 17:00 Uhr begann die Vorabendmesse, fünf oder sechs Leute waren gekommen.

Kirche in Vico d‘Elsa, 2020.
Hätte ich gewusst, dass am nächsten Morgen im Gefolge der staatlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens in der ganzen Gegend keine Gottesdienste mehr stattfinden, hätten die Kinder länger spielen können und ich wäre in die Küche gegangen.
So aber fuhr ich vorgestern zum Besuch der Sonntagsmesse nach Certaldo, wo ich mit vielen anderen gottesdienstwilligen Besuchern ein Schild an den Kirchentüren vorfand, das verkündete, dass alle Gottesdienste ausfallen.

In der Kirche setzten sich einige hin und lasen die ausliegenden Blättchen mit Tageslesungen und -gebeten. Andere schauten nur kurz herein und schwatzten ein bisschen mit dem Pfarrer. Einige Ordensschwestern beteten den Rosenkranz. Und viele Leute zündeten Kerzen an.

Vor der Kirche redeten eine Menge Menschen erregt in kleinen Grüppchen miteinander.

Als ich das alles sah, fragte ich mich, wie das denn wäre, wenn es auf Dauer keine Zusammenkünfte mehr zur gemeinsamen Feier des Glaubens gäbe.

Viele Christinnen und Christen leben ja Sonntag für Sonntag so.
Und zwar nicht nur in Deutschland, wo die meisten am Sonntag andere Prioritäten setzen als den Kirchgang.

Sondern vor allem dort, wo Christen in der Minderzahl sind oder keine beauftragten Liturgen anwesend. Besonders das Amazonas-Gebiet war diesbezüglich gerade in aller Munde.

Aber dort ist es immerhin grundsätzlich möglich. Wie ist es aber dort, wo aus politischen Gründen keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden dürfen? Oder, wie jetzt, aus gesundheitlichen?

Bisher war das für mich immer eine weit entfernte Frage für Gläubige in Nordkorea oder in manchen arabischen Staaten.

Nun stellte sich mir die Frage viel existenzieller: Wie definiert sich eine religiöse Existenz (vornehmlich katholischer Prägung), wenn es keine gemeinsamen Gottesdienste mehr gibt?

Trotzdem fromm. San Michele in Borgo, Pisa, 2020.
Was machte der Großteil derer, die am Sonntag zur Kirche gegangen waren? Ich weiß es natürlich nicht, aber ich vermute, dass die meisten nach Hause oder auf den Vorplatz gingen.

Was bedeutet das für das religiöse Leben:
Mehr Eigenständigkeit? Mehr individuelle Gebete? Mehr Bibellektüre? Übertragungen der morgendlichen Papstmessen im Internet schauen?

„Ein Christ ist kein Christ“ schrieb Tertullian in der Alten Kirche. Aber wie sollen Christen zusammenkommen, wenn sie dabei eine eventuell tödlich verlaufende Krankheit weitergeben? Schließlich haben auch die Christen eine Verantwortung für das Gemeinwesen.
Wir können sich Christen im Gebet verbinden, wenn sie nicht zusammenkommen dürfen? Die mentale Gemeinschaft, die weiß, das jetzt alle gerade den Sonntag feiern?

Möglicherweise ist das ein sehr katholisches Problem, da evangelische Christen grundsätzlich eher die individuellen Möglichkeiten der Gottesbeziehung schätzen (ob sich die theologischen Grundsätze in der Lebenspraxis auswirken, ist eine andere Frage).

Aber auch als konfessionell unterschiedlich wichtiges Problem, glaube ich:
Vor allem bedeutet eine solche Situation mehr Entscheidung. Will ich mich auf Gott einlassen in dieser „freien“ Zeit am Sonntagmorgen? Und wenn ja, kann ich es überhaupt?
Ich kann mich der Gegenwart Gottes aussetzen, wenn ich in der Kirche sitze. Aber ich kann auch feststellen, dass mich das überhaupt nicht in die gleiche Stimmung bringt wie ein feierlicher Gottesdienst mit Gesang und Eucharistiefeier.

Und von der Stimmung abgesehen: Eine solche Situation bietet die Chance, auch mit dem Thema überhaupt einmal auseinander zu setzen. Aus welchen Gründen gehe ich in die Kirche, ist es eher für andere oder wegen anderen? Ist es wegen mir? Oder wegen Gott?

Ich glaube, egal wie die einzelnen Gläubigen sich in Certaldo und an anderen Orten entscheiden, wenn sie nur einen Teil dieser Fragen an sich heranlassen, dann bietet sich die Gelegenheit ein religiöses Leben in mehr Mündigkeit zu führen.

Und ich wünsche den Christen in Italien und überall auf der Welt, dass sie ab Palmsonntag wenigstens die Heilige Woche und das Osterfest gemeinsam feiern können!


PS. In Japan haben die Christen das bekanntlich jahrhundertelang ausgehalten!


„Einheit im Gebet!“ San Michele in Borgo, Pisa, 2020.

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