Sonntag, 3. Januar 2021

Gott geht zelten. Der Logoshymnus und die dreckige Kirche

Im fantastischen Logos-Hymnus vom Anfang des Johannes-Evangelium wird die ganze Weihnachtsgeschichte noch einmal in eher philosophischen Worten präsentiert. Auffällig ist dabei, dass im griechischen Text zwischen lauter abstrakten Vokabeln wie Anfang, Wort, Leben und Licht auch vom Zelten die Rede ist.

Zelten an der Krippe.
Detail einer Krippe, St. Clara, Neukölln, 2021.
1.

Auf Deutsch heißt es Vers 14 in bekannter Übersetzung: "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" – auf Alt-Griechisch allerdings "hat unter uns gezeltet".

Gott kommt aus der Sphäre des Transzendenten, um auf der Erde, unter uns, ein Zelt aufzuschlagen. Biblisch geschulte Ohren hören hier nicht nur, dass es sich um eine vorläufige und schwach geschützte Wohnstatt handelt, wie sie sich auch in den künstlerischen Abbildungen der Geburtsszenen in einem Stall zeigt.

Nein, der Begriff Zelt steht zugleich auch für das Offenbarungszelt im Alten Testament. Es wurde als Wohnstatt Gottes unter den Menschen angesehen, als das Volk Israel durch die Wüste zog. Damals wurden die Tafeln mit den Geboten darin aufbewahrt, es war deshalb ein Ort der Gottesbegegnung (vgl. Ex 25-27).
Wurde nun dieser Begriff vom Evangelisten aufgenommen, war den Hörern gleich klar, dass sich nun erneut ereignet, was damals geschah: Gottes Wort ist bei den Menschen angekommen.

2.

Aber zelten ist, das wissen auch wir neuzeitlichen Camper, eine schmutzige Angelegenheit.

Darum nun ein zusätzlicher Gedanke, der einen weiteren Bogen schlägt und etwas anspricht, das mich zur Zeit sehr beschäftigt: Gottes Gegenwart ist uns Menschen nach christlicher Überzeugung nicht nur in seinem menschgewordenen Wort Jesus gegeben, sondern nach dessen Tod und Auferstehung in der Gemeinschaft der Kirche zu finden. In der Kirche, die ja auch als "Leib Christi" bezeichnet wird (weitere Ausführungen dazu hier), geht diese Fleischwerdung des Wortes (vor allem nach katholischer Lesart) weiter. Auch die Kirche als Gemeinschaft der Getauften hat diesen Zelt-Charakter, die Kirchenbauwerke erinnern ja nur in den allerseltensten Fällen daran.

Aber hier wird es besonders deutlich: das göttliche Wort, das in einer Institution wie der Kirche zu finden sein soll, wird durch sein Camping in der Welt kontaminiert.

Die aktuellen Ereignisse besonders in der katholischen Kirche in Deutschland, speziell in der fehlenden Übernahme von Verantwortung durch den Kölner Kardinal im Rahmen der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch, sind nicht geeignet, das Gotteswort in dieser Kirche zu erkennen.

Kirche präsentiert sich (oft in ihren Hirten) als Gemeinschaft derer, die an sich selbst denkt und ihre eigene Macht sichern will, als unfähig zu Empathie mit den Opfern der eigenen Gewalt und als unwillig, Gerechtigkeit zu üben.

Das Zelt Gottes ist so dreckig, dass zu vermuten ist, Gottes Wort sei wieder ausgezogen. Sichtbar wird es durch das Ablehnen der eigenen Verantwortung jedenfalls nicht.

Zelt zu Köln am Abend.
Köln, 2014.

 

2 Kommentare:

  1. Ein großartiger Text, der in bewundernswerter Kürze mehrere bis jetzt wenigstens von mir nicht wahrgenommene Aspekte beleuchtet. (Wobei ich auch erst einmal in einem Zelt geschlafen habe und das war unangenehm, wahrhaftig. ;) )
    Was Kardinal Woelki reitet, den ich eigentlich immer als glaubwürdig spirituellen Menschen eingeschätzt und – trotz aller abweichenden Meinungen – auch geschätzt habe, macht mich zunehmend ratlos.

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  2. Danke dir!
    Zelten hat wirklich viele Facetten... :)
    Und Kardinal Wölki augenscheinlich auch.

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