Wenn ich auf meine inneren und äußeren
Lebensverläufe schaue, dann mache ich bezüglich der in den
verschiedenen Phasen geweckten oder vergrabenen Talente und Stärken
interessante Entdeckungen (vgl. das Sonntagsevangelium in Mt 25,14-30).
Von 2002 bis 2007 war ich
Priesterkandidat im Bistum Erfurt. Beim Studieren konnte ich eine
Menge lesen und hören, reden und schreiben. Das war toll und kam
meinen Neigungen sehr entgegen. Wissen anzuhäufen und Methoden der
Wissensverwertung zu erlernen finde ich toll.
Das Seminarleben dagegen war für mich
eine zwiespältige Erfahrung. Die ruhige und tendenziell geordnete
Lebensweise hat ihre Vor- und Nachteile. Konzentration und innere
Bodenhaftung in diesem Umfeld zu mehren ist gut möglich. Auch die
regelmäßige Nahrungsaufnahme und die Möglichkeiten zum gemeinsamen
Gebet halte ich für vorteilhaft. Der Rhytmus ist rückblickend
sicher ein Anstoß, der in mir immer wieder geweckt werden will.
Allerdings braucht es neben dem Alltag mit seiner Ordnung auch das Fest mit dem Chaos. Und das fehlte in der Biederkeit des damaligen Priesterseminars nahezu völlig. Mir sind jedenfalls ein gewisser Muff und eine leise Tristesse hängengeblieben.
Auch das Leben in der
Seminargemeinschaft, in der sich jeder auf einen Beruf als
Einzelkämpfer vorbereitet habe ich, von Ausnahmen abgesehen nicht
als intensive Bereicherung erlebt.
Glaubensfragen und Fragen des inneren
geistlichen Lebens wurden nach meiner Erfahrung selten geteilt.
Gesprächsinhalte in dieser Richtung sind Auseinandersetzungen um
innerkirchliche und bisweilen um theologische Positionen gewesen.
Das Talent, sich in seinem eigenen
Zimmerchen zu verziehen und alle Zweifel oder Glaubensimplosionen,
aber auch Gebetserfahrungen und inneren Wachstumsprozesse nur mit
sich selbst und dem lieben Gott auszumachen, wurde jedenfalls
genährt. Auch das eine mir nicht unliebe, aber letztlich unsoziale
Neigung. Wenn ich das positiv wende, dann ist es das Talent, meine
Einsamkeit anzunehmen und zu umarmen, das ich hier intensiver
vermehren konnte.
2
Von 2007 bis 2012 war ich erst Novize,
dann Scholastiker im Jesuitenorden. Schon in den ersten Monaten des
Noviziats habe ich, so eine Notiz in meinem damaligen Tagebuch, mehr
über mich selbst gelernt als in den Jahren des Studiums. Es war eine
sehr reiche Zeit, in der vieles aufgeblüht ist, von dem ich heute
noch zehre.
Vor allem die gemeinsame Sendung, das
Ausrichten auf einen geteilten Lebensmittelpunkt, die
Die innere Beziehung zu Gott und das
Feuer, das mich ins Seminar getrieben hatte, wurden neu entfacht.
Mystische Erfahrung ist ein Augenblicksgeschenk, geistliche Arbeit
ist der Alltag. Beides habe ich erfahren. Auch wenn es mir oft
scherfiel, die tägliche Stunde Gebetszeit einzuhalten (manchmal sehr
schwer), so war es doch eine Konstante, die mich nach und nach in die
eigene Tiefe geführt hat.
Blick aufwärts. Kunsthalle Hamburg, 2015. |
Gott zu entdecken mag nur zuteilen ein
Talent sein, aber mich hat die ignatianische Spiritualität zum
Wachsen in größere Entdeckungsbreite und -freude gebracht. Ein Zug
von Weltmystik und das Engagement für die Kleinen und die Leidenden
als Geschwister Christi haben mich sehr bereichert.
Auf der Ebene der Gemeinschaft habe ich
hier einen ungeheuren Schub gemacht und viel Freude erlebt.
Geistlicher Austausch und gemeinsame Reflexion, Große Exerzitien im
Jahrgang, Ausflüge und auch Urlaub mit Mitbrüdern waren wirkliche
Highlights.
Letztlich hat mich auch das Charisma
der Einfachheit sehr angesprochen. Neben Diskussionen über den
eigenen Lebensstil während des Noviziats habe ich schätzen gelernt,
dass die Annehmlichkeiten der dauernden Kaufauswahl nicht
selbstverständlich sind. Meine heutige Wohnung ist schon wieder viel
zu voll!
Dass die Realität in den Kommunitäten
bei der Frage der Gemeinschaft im Alltag oder des gemeinsamen Gebets
oder auch in der Einfachheit oft anders aussieht als in diesem
positiv gestimmten Rückblick, trübt das Bild zwar, aber eben nicht
zur Gänze.
Viele meiner Talente konnten sich
entwickeln und aufblühen.
Bis, ja bis...
3
Die entscheidende Frage, die sich mir
ab 2011 nach einigen Erlebnissen mit meiner jetzigen Frau verstärkt
stellte, war, wo ich mehr ein liebender Mensch werden kann – im
Orden oder in einer Beziehung. Und das meine ich ganz ernst.
Nun bin ich Ehemann (seit 2014) und zweifacher
Vater (2014/2017), was ich als großes Geschenk empfinde. Auch wenn sich viele
meiner erstgenannten Stärken, Motivationen, Anregungen und Talente
nicht mehr in gleichem Maße entwickeln können wie zuvor.
Der menschliche und geistliche
Austausch ist ein völlig anderer. Die Gebetszeit ist, mit Verlaub,
äußerst reduziert, unter der Woche in die Messe zu gehen, passiert
nur noch an wichtigen Feiertagen.
Das ist unbefriedigend - schlechter auch?
Mehr Liebe! Graffito, Neukölln, Berlin, 2012. |
Da wird Liebe konkret. Und ich freue
mich an jedem Arbeitstag auf die Begegnungen mit Gewaltstraftätern,
Geldstrafern, Betrügern, Einbrechern, Junkies, Obdachlosen,
Alkoholikern...! Christus ist mitten unter ihnen.
Und ich kann ihnen, ich kann ihm
dienen. Hören. Mitleiden. Weinen lassen. Festhalten. Einen Boden
zeigen. Lächeln. Kaffee servieren. Scherzen. Aufrütteln.
Reibefläche bieten. Beten.
Und als Ehemann und Vater lerne ich
noch viel mehr, was es heißt, mich in Liebe zu üben. Notfalls auch
dadurch, dass ich wieder und wieder an die eigenen Grenzen gestoßen
werde. Mich in Geduld übe und in Nachsicht und in
Vergebungsbereitschaft und in Barmherzigkeit und in Streiten.
Zeit mit den beiden Kindern verbringen,
auch wenn ich mich lieber zurückziehen würde und lesen oder
schreiben.
Aber zu merken, dass man selbst ein
geliebter Mensch ist, ist wertvoller als viele Bücher. Klingt nach
Binse, muss aber auch erlernt werden. (Mehr dazu demnächst mal.)
4
Es mag seltsam klingen, die folgenden
Schlagworte als Zusammenfassung von Gaben, Talenten oder Stärken zu
verstehen, aber genau das scheinen sie in meinem Fall zu
sein:
Lernen, Rhythmus, Chaos, Einsamkeit, Selbsterkenntnis, Sendung, Gottesliebe, Gemeinschaft, Einfachheit, Väterlichkeit, Hören, Lieben.
Diese meine gewundenen Lebenswege sollen nun nicht als vorbildhaft dargestellt werden. Das zu betonen ist mir wichtig, denn Anderen gehen die eigenen Talente vielleicht viel eher innerhalb einer einzigen Lebensform auf.
Und natürlich neigt man (und so auch ich hier) dazu, aus der Masse der Ereignisse auszuwählen sowie Gewichtungen und Deutungen vorzunehmen, die anderen (und auch mir selbst vor Tagen noch) nicht in den Sinn kämen.
Aber das ist nicht schlimm. Ich behaupte nicht, den einen roten Faden gefunden zu haben. Das hier Geschriebene ist ein Schlaglicht, ein roter Faden unter vielen roten Fäden.
Vielleicht sind es so viele, dass ich irgendwann, wenn ich mein Leben innerlich immer wieder durchschritten habe, den roten Teppich bemerke, den Gott mir da geschenkt hat.
Lernen, Rhythmus, Chaos, Einsamkeit, Selbsterkenntnis, Sendung, Gottesliebe, Gemeinschaft, Einfachheit, Väterlichkeit, Hören, Lieben.
Diese meine gewundenen Lebenswege sollen nun nicht als vorbildhaft dargestellt werden. Das zu betonen ist mir wichtig, denn Anderen gehen die eigenen Talente vielleicht viel eher innerhalb einer einzigen Lebensform auf.
Und natürlich neigt man (und so auch ich hier) dazu, aus der Masse der Ereignisse auszuwählen sowie Gewichtungen und Deutungen vorzunehmen, die anderen (und auch mir selbst vor Tagen noch) nicht in den Sinn kämen.
Aber das ist nicht schlimm. Ich behaupte nicht, den einen roten Faden gefunden zu haben. Das hier Geschriebene ist ein Schlaglicht, ein roter Faden unter vielen roten Fäden.
Vielleicht sind es so viele, dass ich irgendwann, wenn ich mein Leben innerlich immer wieder durchschritten habe, den roten Teppich bemerke, den Gott mir da geschenkt hat.