Auf der bundesweiten Fachtagung der Gefängnisseelsorge waren in diesem Jahr u.a. der ehemalige Anstaltsleiter Dr. Thomas Galli und die Juniorprofessorin Dr. Edeltraud Koller als ReferentInnen anwesend.
Themen des gestrigen Tages waren der Blick auf Inhaftierte und der Umgang mit Schuld und dem Sinn des derzeitigen Justizvollzugs, zu denen ich hier einige Gedanken im Anschluss an die Referate präsentieren möchte.
Mögliche Aktualisierungen auf die Fastenzeit hin möge die geneigte Leserschaft selbstbestimmt vornehmen.
1. Frei durch Reue?
Das Strafgesetzbuch gibt in § 46 Abs. 1 vor: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe." Wenn die Strafe als Freiheitsstrafe angesetzt ist, dann führt sie in konkrete Unfreiheit, nämlich in die Haft. Aus dieser heraus kommen Inhaftierte entweder nach voller Verbüßung oder aber zuvor schon, dann jedoch u.U. durch Reue.
Dienstag, 2. April 2019
Montag, 1. April 2019
Darf ein Priester am Sonntag in der Bank sitzen?
Gestern habe ich den
Gemeindegottesdienst mit äußerst ambivalenten Gefühlen verlassen.
Denn der Prediger in
meiner Ortsgemeinde bot zwar eine sehr schöne Auslegung des
Sonntagsevangeliums, aber er fügte auch noch einige Bemerkungen an,
die mich nachdenklich zurückließen.
Es ging darum, dass er als
Priester, der im Pfarrhaus neben der Kirche wohnt, aber nicht für
die Pfarrseelsorge eingesetzt ist, sich nicht als Notnagel der
Gemeindepastoral gebrauchen lassen wolle. Konkret gedenke er, lieber
auch in den (bei uns regelmäßig stattfindenden) sonntäglichen
Wortgottesdiensten in der Bank zu sitzen und auf diese Weise mit zu feiern, zumal er
bei seiner Ankunft einen Wortgottesdienst erlebte, der ihn positiv beeindruckt hat.
Alte Kirchenteile, neu verpackt. Nikolaikirche, Stralsund, 2018. |
Ich stelle mir schon jetzt
den Aufschrei vor, der durch die hiesigen Gemeinden gehen wird,
nachdem monatelang um eine Gottesdienstordnung für die kommende
Großpfarrei Nordneukölln mit ihren zwei Priestern, drei
Hauptkirchen und fünf Gottesdienstorten insgesamt gerungen wurden.
Der Wunsch nach Eucharistiefeiern und die gefühlte Not, nicht
genügend Priester für das bisherige Gottesdienstangebot zu haben,
war in den Diskussionen deutlich spürbar. Und nun ist da ein Priester, der im Zweifelsfalle aber nicht als Zelebrant zur Verfügung steht.
Persönlich finde ich die
Haltung eines Priesters, der am Sonntag lieber einen Wortgottesdienst
besucht, statt selbst eine Eucharistiefeier anzubieten, mindestens
merkwürdig.
Aber ich kann die
dahinterstehenden (und in den Bemerkungen des Geistlichen
angedeuteten) Gründe teilweise verstehen.
Denn man kann diese
Haltung von den verschiedenen möglichen Effekten her und damit in
mehrfacher Hinsicht ansehen.
1: Pro I
Wenn es darum geht, Laien
zu selbstverantwortlichem, auch liturgisch eigenständigem, Handeln
zu motivieren und sich damit einem Klerikalismus entgegenzustellen,
der ja oft von auf Priester fixierten Laien ausgeht, dann halte ich
es für gut, wenn sich nicht in jede mögliche Gottesdienstform ein
Priester hineindrängt.
Dann halte ich es auch für
akzeptabel, wenn ein Priester an einem Sonntagvormittag in einer
Kirche Eucharistie mit der Gemeinde feiert und anschließend zum
Gemeindekaffee bleibt, dafür in einer anderen Kirche ein
Wortgottesdienst gefeiert wird (so hier vor Ort zum Teil die künftige
Praxis). Meiner Meinung nach muss ein Priester nicht von Messe zu
Messe hetzen, damit nur ja unter allen Umständen keine
eucharistiefreie Zone am Sonntag entsteht (auch wenn ich selbst eher
geneigt bin, dann lieber einen weiteren Weg für eine
Sonntagseucharistie auf mich zu nehmen).
Schließlich ist ein
Priester keine Sakramentenmaschine, sondern ein Mensch.
Unter der Hinsicht der
Ermutigung von Laien zu selbstmächtigen Handeln im Kirchenraum kann
ich also nachvollziehen, dass nicht auf Druck immer eine Eucharistie
gefeiert werden muss. (Darüber hinaus kann in einer Eucharistiefeier
ruhig immer mal ein qualifiziertes Glaubenszeugnis oder eine
persönliche Auslegung der Lesungen statt Predigt "im Angebot"
sein, denn an der fehlenden Predigtvorbereitung des Priesters soll es
nun nicht scheitern.)
2: Pro II
Zugleich wird der
Eigenwert von Wortgottesdiensten hervorgehoben, wenn dort das Wort
Gottes in einer schönen Form gefeiert, zu Gehör gebracht und
ausgelegt wird. Wider die eucharistische Monokultur!
Das wäre die Bejahung
dieser Haltung unter Hinsicht der gottesdienstlichen Vielfalt.
Andersherum wird durch die
Feier von Wortgottesdiensten auch der Wert der Eucharistiefeier
wieder mehr betont. Denn logischerweise steigt das Rare im Wert, wird
man sich dessen, was man aktuell nicht hat, stärker bewusst und
schätzt es mehr.
Alles ist fast schon bereitet. Nikolaikirche, Stralsund, 2018. |
3: Contra I
Demgegenüber steht beim
Priester die Weihe zum Dienst.
Nicht für die persönliche
Heiligung oder zur Erbauung der Hierarchie oder für das Erbringen
wissenschaftlicher Leistungen wird jemand zum Priester geweiht,
sondern für den Dienst am Volk Gottes.
Das Amtspriestertum ist
ein Dienstamt!
Das bedeutet (wie oben
schon erwähnt) nicht, dass Priester nur für liturgische und
sakramentale Belange da wären (auch wenn das im Zeitalter von
Verwaltungsleitern einer Pfarrei, die nicht Priester sind, praktisch
im Vordergrund steht).
Der Dienst des Priesters
besteht in solchen Situationen jedoch darin, sich auch dann für
liturgische Feiern zur Verfügung zu stellen, wenn er eigentlich
keine Lust dazu hat oder aus oben genannten (und möglicherweise noch
anderen) Gründen der Meinung ist, dass keine Eucharistiefeier
angeboten werden muss.
Unter der Hinsicht der
grundsätzlichen Zielstellung des Amtspriestertums in der
katholischen Kirche wäre es also mehr als angemessen, für die
sonntägliche Feier der Eucharistie bereit zu sein.
(Aus privatem
Erleben als Seelsorger mit Familie kann ich sagen, dass hier ein
äußerst praktischer Grund für den Zölibat liegt - auch ich möchte gern mal am Sonntag frei haben und mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen und nicht immer selbst vorn stehen.)
4: Contra II
Noch mehr gilt dies in
Hinsicht auf die Ausbildung. Die Priester nämlich wurden, im
Gegensatz zu den meisten Gläubigen, genau für diese liturgischen
Feiern ausgebildet.
Während viele engagierte
Laien, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, vor großen Problemen
stehen, wenn sie einen Gottesdienst leiten oder einen Segen spenden
oder eine Predigt halten sollen, gehört es für den Priester zum
Alltag, in kompetenter Weise liturgische Präsenz zu zeigen (was,
zugegeben, mal mehr und mal weniger gut gelingt...).
Nur mal zum Vergleich:
Würde der Busfahrer sich lieber nach hinten in den Bus setzen und
stattdessen einen Fahranfänger ans Steuer lassen, würden wir uns
doch sehr wundern. Der anwesende, aber nicht aktiv werdende Arzt
würde im Fall der Fälle sogar vor Gericht kommen.
Aber in der Kirche soll
der Heilige Geist nun in allen gleichermaßen wehen, egal wie
professionell sie der liturgischen Aufgabe gerecht werden können.
Bei aller Liebe: die Ausrichtung an den verschiedenen Talenten
schließt eine Förderung dieser Talente gerade mit ein.
Ich halte es deshalb unter
dieser Hinsicht nötiger, nicht vorgebildete Laien mehr auszubilden
und zu befähigen, als sie irgendetwas machen zu lassen. Das würde
Wortgottesdienste nämlich wirklich entwerten.
5: Conclusio
Mir persönlich liegt die
Betonung des Dienstcharakters der Priesterweihe (s. 3) besonders am
Herzen. Wenn ein Priester demütig Gott und dem Volk Gottes dient,
wird Klerikalismus (s. 1) auch kein Problem werden. Ein solcher
Priester wird die nichtgeweihten Gläubigen gern ermutigen und
befähigen (s. 4), im rechten Moment das ihnen Gemäße zu tun –
und selbst seine eigenen Aufgaben wahrnehmen.
Damit bin ich vom
konkreten Erlebnis sehr weit ins Allgemeine gerutscht – aber so ist
das eben.
Ich hoffe auf gedeihliches
Gemeindeleben.
Alles im Umbau. Kulturkirche, Neuruppin, 2017. |
Samstag, 30. März 2019
Die Heimkehr des Sohnes. Ein meditatives Puzzle
Heute mal eine Art Puzzle, aus dem ich die mir gemäßen
Sätze zum Evangelium am Sonntag Laetare mit der Geschichte vom barmherzigen Vater herauspicken und zusammenstellen
kann.
Es sind noch Plätze frei. Tübke-Villa, Leipzig, 2018. |
Ich komme nach Hause.
Das
heißt:
ich habe genug
ich habe genug
ich brauche mich nicht
mehr mit fremden Menschen umgeben
ich habe es geschafft
ich muss nicht mehr arbeiten
ich kann endlich ausruhen
ich darf mich anlehnen
ich muss nicht mehr funktionieren
ich habe es geschafft
ich muss nicht mehr arbeiten
ich kann endlich ausruhen
ich darf mich anlehnen
ich muss nicht mehr funktionieren
Allerdings hatte ich ursprünglich nicht vor, zu dir zurück zu kommen.
Das heißt:
ich habe mich verschätzt
ich konnte mich nicht zurecht finden
ich musste aufgegeben
ich bin ein Versager
ich habe dich enttäuscht
ich bin ein Versager
ich habe dich enttäuscht
ich fürchte mich vor dem,
was jetzt kommt
ich will mich nicht länger verkriechen
ich will dich eigentlich nicht sehen
ich erwarte nicht, dass du mich annimmst
ich will dich eigentlich nicht sehen
ich erwarte nicht, dass du mich annimmst
Unerwartet stehst du in der Tür und wartest auf mich.
Das heißt:
Du hast mich nicht aufgegeben
Du willst dich nicht rächen
Du freust dich auf mich
Du möchtest mich bei dir haben
Du bist nachsichtig
Du gibst mir noch eine Chance
Du stehst auf meiner Seite
Du schaust großzügig auf meine Fehler
Was ist meine Antwort darauf?
Angebrannt und trotzdem schön. Neukölln, 2017. |
P.S. Ein titelgleicher Beitrag zu einem gänzlich anderen Thema findet sich hier.
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Vertrauen
Dienstag, 26. März 2019
Freiheitsgewinn 2 - Der Frauenbefreier Jesus in "Maria Magdalena" von Garth Davis
Ein Film über Maria
Magdalena muss viele Klippen umschiffen.
Eine erste Klippe besteht
darin, die Beziehung von Jesus und Maria als Liebesgeschichte zu
erzählen und aus dem Verhältnis von Jüngerin und Meister eine
Seifenoper zu machen. Dann kann es sein, dass die phantasievoll
ausgemalten sozialen Konflikte (Maria als Prostituierte am Rand der
Gesellschaft etc.) breiten Raum einnehmen und die religiöse
Botschaft des Jesus von Nazareth dahinter verschwindet. Manchmal
werden auch ahistorisch die heutigen Probleme (beispielsweise mit
religiösen Autoritäten) in einen Film hineingetragen.
Samstag, 23. März 2019
Jesus und der Vampirbaum. Ein Gedanke zum Sonntagsevangelium (Lk 13,1-9)
Warum sollte ein Baum, der
keine Früchte bringt, weiter im Garten stehen? Der Baum entzieht dem
Boden Nährstoffe und schädigt auf diese Weise die früchtetragenden
Nachbarn. Ein solcher Baum schwächt seine Umwelt – er ist wie ein
Vampir, der seinen Opfern die Lebenskraft aussaugt.
Also: "Was
soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?"
(Lk 13,7)
Diese Frage jedenfalls stellt sich dem Besitzer des Gartens im Evangelium des Sonntags. Der kann und will es sich wirtschaftlich nicht leisten, einen solchen Nichtsnutz stehen zu lassen.
Diese Frage jedenfalls stellt sich dem Besitzer des Gartens im Evangelium des Sonntags. Der kann und will es sich wirtschaftlich nicht leisten, einen solchen Nichtsnutz stehen zu lassen.
In unserer Gesellschaft
stellen sich ähnliche Fragen.
Donnerstag, 21. März 2019
Freiheitsgewinn 1 – "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche" von Doris Wagner
In den letzten
Themenreihen der Fastenzeit habe ich mich stark auf die Passion
fokussiert – 2016 "Der
Gekreuzigte" und 2018 "Das
Sterben spüren".
Das Thema in diesem Jahr
soll "Freiheitsgewinn" lauten, denn Fasten hat ja auch zu
tun mit dem Heraustreten aus der eigenen Begrenztheit hinein in die
Weite Gottes.
Es soll in den Beiträgen
unter diesem Titel darum gehen, Abhängigkeiten und Enge zu erspüren
und Freiheitspotenziale auszuloten.
------------
Am Beginn stehen im
vorliegenden Beitrag die Analysen und Schlussfolgerungen von Doris
Wagner, ehemalige Ordensfrau und (inzwischen verheiratete) Autorin
des bemerkenswerten Buches "Spiritueller Missbrauch in der
katholischen Kirche".1
Dienstag, 19. März 2019
War Josef der leibliche Vater Jesu? Zwei Antworten von Joseph Ratzinger
Zum Fest des heiligen
Josef möchte ich kurz zwei unterschiedliche Antworten zu oben
genannter Frage referieren. Zwei Antworten, die interessanterweise
von ein und dem selben Autor stammen, allerdings liegen zwischen
ihnen 44 Jahre.
Samstag, 16. März 2019
"Schaut die verklärte Leibsgestalt." Ostern in Sicht und Abstieg ins Tal
1. Ostern in Sicht
"Der Leib ist
klar, klar wie Kristall, Rubinen gleich die Wunden all,
die Seel durchstrahlt
ihn licht und rein wie tausendfacher Sonnenschein"
"Bedeck, o Mensch,
dein Augenlicht! Vor dieser Sonn besteht es nicht."
Es ist ein Osterlied, das
mir angesichts des Sonntagsevangeliums
in den Sinn kam. Denn dort heißt es außerdem gleich zu Beginn in
der ersten Strophe:
"Kommt, kommt, ihr
Christen jung und alt, schaut die verklärte Leibsgestalt!"1
Während im Evangelium die
Rede war vom Aufstieg Jesu auf den Berg und von seiner dortigen
Verklärung vor den drei mit hinaufgegangenen Jüngern, singt das
Lied vom auferstandenen Jesus.
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Sonntag, 10. März 2019
Meine Versuchungen im Gottesdienst. Gedanken zum Evangelium am Ersten Fastensonntag
Wenn Jesus im
Evangelium
des heutigen ersten Fastensonntags auf die Probe gestellt wird, dann
frage ich mich, was diese Versuchungen für mich bedeuten.
(Leider
gab es traditionell keine Auslegung dieses Textes durch den
Gemeindepfarrer – aber dafür den in diesem Jahr äußerst hörens-
und lesenswerten Fastenhirtenbrief
von Erzbischof Koch. Ich kann ihn an dieser Stelle nur empfehlen und
betonen, wer ihn liest und bisweilen auch in diesen Blog
hineinschaut, kann dort viele Gedanken entdecken, die hier auch
auftauchen: Ambivalenzen aushalten, Vielfalt würdigen, Aufmerksam
durch den Alltag gehen...)
Besonders wenn ich selbst
einen Gottesdienst gestalte, gibt es eine Reihe von Versuchungen,
denen ich standzuhalten habe.
"Befiehl
diesem Stein, zu Brot zu werden" (Lk 4,3),
beginnt der Teufel bei Jesus.
Auch meine Versuchung ist
oft genug, zu glauben, dass ich durch meine eigenen Kräfte und
Möglichkeiten die Gottesdienstbesucher satt machen könnte.
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und,
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Dienstag, 5. März 2019
Um Vergebung bitten - Predigt an Aschermittwoch
Ein wichtiges Thema der beginnenden
Fastenzeit ist der Aufruf zur Umkehr.
Dort, wo ich falsch gegangen bin, dort,
wo ich meinen Nächsten verletzt habe, dort, wo ich Schuld auf mich
geladen habe, dort bin ich aufgefordert, umzukehren.
Oft genug gehört dazu, um Vergebung zu
bitten.
Aber es müssen mehrere Hindernisse
bewältigt werden, wenn ich diese Bitte aussprechen will:
1. Oft genug versuche ich als
erstes, mich zu entschuldigen.
Hinauf! Ins Licht! Wilmersdorf, Berlin, 2018. |
Doch ich kann mir meine Schuld nicht
selbst wegnehmen – was "mich entschuldigen" ja genau
genommen heißt.
Vielmehr bitte ich die Person, an der
ich schuldig geworden bin, darum mir zu verzeihen.
Das kostet enorme Überwindung - und
führt damit zum zweiten Hindernis.
2. Oft genug schaffe ich es nicht,
um Vergebung zu bitten.
Ich selbst kenne das, wenn die
Situation einfach noch zu aufgeheizt ist und der Andere maulend
rausgeht oder mit der Tür knallt, so dass ich jetzt erst recht keine
Lust mehr habe, meinen Teil der Schuld einzugestehen. Dann muss ich
erst einmal tief durchatmen und emotional runterkommen.
Besonders anstrengend finde ich das im
Straßenverkehr, wo die Einsicht, selbst etwas falsch gemacht zu
haben, gerade in einer Stadt wie Berlin nur selten vorhanden ist.
In solchen Situationen rege ich mich
besonders schnell auf und werde auch aggressiv, aber bevor sich die
Sache entspannen kann, ist die Person auch schon wieder weg.
Das korrespondiert mit einem weiteren
Hindernis:
3. Oft genug gibt es gar keine
Instanz, bei der ich Vergebung finden kann.
Im Straßenverkehr (und auch sonst
manchmal) ist die Person, an der ich schuldig geworden bin, schon
wieder fort.
Auch bei manch anderer Art von Schuld,
wie zu hoher Alkoholkonsum oder Steuerhinterziehung, haben keinen
direkten Adressaten, der dies verzeihen kann.
Doch dieses Hindernis geht noch tiefer:
Wohin wendet sich ein Mensch, der an keine göttliche Instanz über
sich glaubt, wenn er mit Schuld und Vorwürfen seines Gewissens zu
kämpfen hat? Wo findet er Vergebung?
Manche Menschen, die für eine Straftat
verurteilt wurden, gehen davon aus, dass die Vollstreckung eines
Urteils dafür sorgt, dass sie anschließend "ent-schuldigt"
aus dem Gefängnis gehen. Im juristischen Sinne mag das auch stimmen.
Allerdings ist es zwar die Aufgabe der Justiz, Verbrechen zu ahnden,
und demzufolge sitzen viele Verurteilte im Knast dann ihre Strafe ab,
aber der Freiheitsentzug schenkt keine Vergebung – höchstens das
Gefühl, nun lang genug gesessen zu haben.
Wenn sich jemand also mit seiner
Schuld, sei sie nun strafrechtlich relevant oder nicht,
auseinandersetzt, dann wird er (oder sie) irgendwann an den Punkt
kommen, dass bei allen Relativierungen, bei aller Schuld der
Gegenseite, bei allen zwecklosen Versuchen, Vergebung zu erlangen,
irgendwann die Frage im Raum steht, wie man dieses Geschenk der
Vergebung denn nun bekommen kann.
Für nicht wenige wird dies zu einer
existenziellen Frage: Wer vergibt mir all den Mist, den ich in meinem
Leben falsch gemacht habe? Wie finde ich die innere Freiheit wieder,
die Vergebung mir schenken kann?
Garben, stehend. Neuendorf, Hiddensee, 2018. |
4. Ein barmherziger Vater
Wenn wir uns die Geschichte vom
verlorenen Sohn anschauen (Lk 15,11-32), die Jesus im Lukasevangelium
erzählt, dann hören wir von einem Draufgänger, der sich mit seinem
Erbe davonmacht und den Vater sitzen lässt. Das Geld, das ihm
eigentlich erst nach dem Tod des Alten zusteht, zieht der Junge ihm
aus der Tasche, während er noch am Leben ist und es selbst benötigt.
Für den Sohn ist der Vater nichts mehr wert, er braucht ihn nicht
mehr, jetzt, wo er das Geld hat.
So mit Geld und Schuld beladen, geht er
von dannen und macht sich ein schönes Leben. Als dieses mangels Geld
endet, steht er allein da. Er versucht noch kurz, mit Arbeit über
die Runden zu kommen, aber merkt schnell, dass er dort nicht
weiterkommt.
Nun kommt die entscheidende Stelle
(v18f): Der Sohn im Gleichnis weiß, wohin er gehen kann, um
Vergebung zu erbitten!
"Ich
will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater,
ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin
nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner
Tagelöhner!" (Lk 15,18f.)
Obwohl er seinen Vater so furchtbar
behandelt hat, ist die innere Verbindung zu ihm noch nicht ganz
abgerissen und er will um Verzeihung bitten.
Obwohl der Vater nicht anwesend ist,
macht er sich Gedanken – und schließlich auf den Weg.
Obwohl er dem Vater gesagt hat, dass
der für ihn schon nicht mehr existiert – wagt er es dennoch.
Der Sohn macht also das, was Fastenzeit
will: Er kehrt um. Außerdem will er sich vor seinem Vater
erniedrigen, weil ihm klar wird, wie furchtbar sein Verhalten war.
Aber er weiß nicht, was wir schon
wissen:
Es erwartet ihn ein Vater, der ihn in
die Arme nimmt. Der nicht straft. Nicht schimpft. Nicht Genugtuung
und Sühne und Erniedrigung will.
Sondern sich einfach freut, dass der
Verlorene zurückkehrt.
Das ist toll. Denn dieses Gottesbild kann sehr befreiend sein.
5. Und wir
Unser Problem ist nur:
Wir erwarten schon die Vergebung vom
"lieben Gott". Wir rechnen heimlich schon mit einem Gott, der uns vergibt.
Nicht wie der Sohn, der sich noch voll Angst
und Zittern auf dem Weg machte.
Wir glauben, dass der liebe Gott schon
kommen wird, wenn es ihm so wichtig ist. Dass er uns schon aus der
Scheiße ziehen wird, in die wir uns noch einmal extra reinsetzen.
Und tatsächlich hat er das in Jesus
getan. Hat sich auf den Weg gemacht, um uns zu suchen.
Aber wozu braucht es dann noch unsere
Umkehr?
Umkehr kann dann nur noch bedeuten,
dass wir uns nicht mehr verstecken vor ihm.
Dass wir unsere Schuld anerkennen. Dass
wir sie loswerden wollen.
Dasss wir ihm unser stolzes, unser
ärgerliches, unser liebloses und unser neidisches Herz hinhalten.
Und ihn bitten: Vergib mir.
Dann kann er uns befreien und heilen. Uns Auferstehung schenken.
Neuer Aufgang. Kirchmöser, 2017. |
Samstag, 2. März 2019
Faule Früchtchen, Bratenfett und gefüllte Herzen. Eine Büttenpredigt
Drei Sachen möcht‘ ich sagen heut‘
zu diesen Bibelsprüchen.
Denn ihr sitzt hier, ihr lieben Leut'
und könnt mir nicht entwischen.
Ihr merkt schon, ich will reimen,
denn es ist Faschingszeit.
Kein Knackie soll jetzt weinen:
Ich hoff‘, es macht euch Freud‘.
Eins (vgl. Lk 6,41-42)
Ein Splitter und ein Balken,
die treffen sich im Hof.
Sie sagen zueinander:
Mein Gott, was bist du doof.
Donnerstag, 21. Februar 2019
Splitter zur Feindesliebe. Mit Adornos Hilfe
Im Nachdenken über das Evangelium des
kommenden Sonntags wird mir mulmig, wenn ich mir dazu das
gleichzeitig stattfindende kirchliche Ereignis in Rom vor Augen
halte: Während Jesus im Evangelium von Feindesliebe spricht,
diskutieren die Bischöfe in Rom über den sexuellen Missbrauch durch
kirchliche Amtsträger.
Missbrauch und Feindesliebe in einem
Satz – das ist vermintes Gelände.
Denn zu schnell entsteht der Eindruck,
dass über die kirchlichen Missbrauchstäter wieder einmal der Mantel
des barmherzigen Schweigens und Vergessens gelegt werden soll. Die
"Feinde", das wären in dieser Assoziationskette all die
Täter, Vertuscher, schweigenden Mitwisser.
Auch sie müssten doch geliebt werden,
darum wäre ihnen zu verzeihen.
Doch bei der Feindesliebe geht es nicht
um Barmherzigkeit. Auch Schuld und Antipathie werden nicht negiert,
Gegnerschaft und Unterschiedlichkeit nicht wegretuschiert. Ein
Gewalttäter wird unter dem Blick der Liebe nicht plötzlich zum
unschuldigen Lamm.
Samstag, 16. Februar 2019
Nichts für Mittelschichtschristen. Eine Auslegung zum Sonntagsevangelium
Sind wir gemeint, wenn das Evangelium
vorgelesen wird?
Es ist möglich, mit
etwas geistlichem Balsam viele Aussagen der Heiligen Schriften für
uns Heutige fruchtbar zu machen. Aber wenn wir uns fragen, zu wem
Jesus (jedenfalls im heutigen
Evangelienabschnitt) wirklich spricht, dann müssen wir uns
eingestehen, dass wir es nicht sind.
Und das nicht deshalb, weil Zeit und
Raum und Kultur uns trennen, sondern weil Jesus Menschen in einer
komplett anderen existenziellen Lage anspricht.
Die Frohe Botschaft dieses Predigers
aus Nazareth, seine Seligpreisungen, richten sich an die Abgehängten, Überrollten,
Marginalisierten, Randständigen, Geängstigten, Hungrigen.
Donnerstag, 14. Februar 2019
Bekehrung? "Der Widersacher" von Emmanuel Carrère und die Rolle des Gefängnisseelsorgers
Der Gefängnisseelsorger habe ihm sehr
geholfen, "zur Wahrheit zurückzukehren. Doch die
Wirklichkeit ist so grauenhaft und unerträglich, dass ich befürchte,
mich aufs Neue in eine imaginäre Welt zu flüchten".1
In seinem Roman "Der
Widersacher" erzählt Emmanuel Carrère sein Ringen mit der
Geschichte von Jean-Paul Ramond, einem Mann, der 18 Jahre lang sein
engstes familiäres Umfeld über seine beruflichen und finanziellen
Verhältnisse belogen hat. Kurz bevor alles aufgeflogen wäre, tötete
er seine Frau, seine Kinder und seine Eltern.
Freitag, 8. Februar 2019
Welche Berufungen wünscht sich die Kirche? Kritik an den Sonntagslesungen
Dieser Sonntag präsentiert uns drei
Texte zum Thema Berufung.
Da ist einmal der mit einer gigantischen Vision begnadete Jesaja, der die Frage hört, wer mit der göttlichen Botschaft gesandt werden solle und trotz seiner eingestandenen Unwürdigkeit bereitwillig antwortet: „Hier bin ich, sende mich.“ (Jes 6,8)
Augenscheinlich spricht hier ein besonders Eifriger.
Ähnlich tritt Paulus auf, der in der zweiten Lesung aus dem Ersten Korintherbrief jedoch betont, dass er der Letzte der Apostel und alles nur „durch Gottes Gnade“ sei, denn dessen „gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ (1 Kor 15,10)
Trotz seines Eifers scheint Paulus die entscheidende Wirkkraft also bei Gott zu sehen.
Da ist einmal der mit einer gigantischen Vision begnadete Jesaja, der die Frage hört, wer mit der göttlichen Botschaft gesandt werden solle und trotz seiner eingestandenen Unwürdigkeit bereitwillig antwortet: „Hier bin ich, sende mich.“ (Jes 6,8)
Augenscheinlich spricht hier ein besonders Eifriger.
Ähnlich tritt Paulus auf, der in der zweiten Lesung aus dem Ersten Korintherbrief jedoch betont, dass er der Letzte der Apostel und alles nur „durch Gottes Gnade“ sei, denn dessen „gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ (1 Kor 15,10)
Trotz seines Eifers scheint Paulus die entscheidende Wirkkraft also bei Gott zu sehen.
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