Ich
denke gerade oft an einen Zeitungsartikel, den ich vor einigen Wochen
las und in dem es darum ging, wie Menschen in Deutschland sich selbst
und die Gesellschaft sehen. Es handelte sich um einen Bericht zur so
genannten "
Vermächtnisstudie".
Demnach zeichnet die
Deutschen aus, dass sie gern stabile Verhältnisse haben, aber keine
großen Visionen. Es geht ihnen eher um ein "überschaubares
Glück, eine Idylle im Kleinformat."
Eine der Verantwortlichen
für die Studie, die Soziologin Jutta Allmendinger, sagt dazu, die
Deutsche seien "Menschen, die das Behagliche und Maßvolle
schätzen."
Alle haben "ihre kleinen Kokons" und richten sich
darin irgendwie ein. Insgesamt geht aus der Studie eine
erstaunliche Gelassenheit der Deutschen in Bezug auf die aktuellen
sozialen und politischen Verhältnisse hervor.
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Eng begrenztes Licht.
An der Dahme bei Zeuthen, 2019. |
Angesichts der vielen
Krisen, in der sich die Weltpolitik und auch die deutsche politische
Landschaft gerade befinden, ist das erstaunlich. Denn Grund für
Sorge und Unruhe gibt es ja mehr als genug und nicht selten wird
medial auch genau diese Haltung befeuert.
Aus theologischer Sicht
halte ich aber für besonders bemerkenswert, dass dieses Tendenz,
sich im Nahbereich des Alltäglichen einzurichten, einhergeht mit
einer zunehmenden Relevanzlosigkeit des Religiösen.
Die Frage nach Gott oder
einem überfassenden Sinn, die großen Fragen nach Leben und Tod
verschwinden hinter dem hohen Wert einer ruhigen gesicherten Existenz
mit Jahresurlaub und Bonusmeilen.
Ist also, so frage ich
mich am Fest Christi Himmelfahrt, die Sehnsucht nach dem Himmel
hierzulande verschwunden? Gibt es keinen Wunsch mehr nach einem
Aufbruch aus der Welt, wenn wir hier nur genug zum Leben finden?
Es scheint fast so.
Ein Sinn des heutigen
Festes dagegen ist das Vertrauen darauf, dass Jesus Christus uns nur
vorangegangen ist, dass wir nachkommen und dass also auch unsere
Zukunft der Himmel ist.
Wer sich diesen weiten
Horizont aber nicht zu eigen macht, wird sich in der eigenen Enge
festhalten.
Mir selbst fehlt in dieser
ganzen Behaglichkeit das Abenteuerliche.
Grenzen austesten, sich
mit dem Status quo nicht zufrieden geben und ausbrechen aus dem
Trott, das sind Dinge, die mir sehr wichtig sind.
Auch dafür steht
Himmelfahrt für mich – das Leben besteht nicht aus Rumhängen im
eigenen Bett und nicht aus dem Kleben am Sessel, sondern im
Aufbruch.
Vielleicht ist das ein
Gedanke, der Ihnen hier im Knast auch nicht ganz fremd ist.
Die meisten können diese
vier Wände, die Fenster mit den Gittern, die zuknallenden Türen,
den immer gleichen Hofgang kaum mehr ertragen.
Die Hoffnung darauf, dass
es irgendwann noch mehr gibt, ist hier essenziell. Im Gefängnis lebt
der Wunsch nach Freiheit, nach einem weiten Horizont, nach dem
Jenseits – auch wenn es vorerst nur das Jenseits der Mauern ist.
Vielleicht ist der
Aufstieg Jesu aus der Enge der irdischen Möglichkeiten, vielleicht
ist Himmelfahrt also auch ein sehr passendes Fest im Gefängnis.
Ich wünsche Ihnen diese
Sehnsucht, die Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi so
ausdrückte:
"
Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach
dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem
Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. ...
Denn unsere Heimat ist im Himmel." (Phil 3,13f.20)
Richten Sie sich weder im
Gefängnis noch in der Welt zu sehr ein!
Gott ruft Sie hinaus ins
Weite – jetzt in diesem Leben und danach ebenso.
Amen
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Sehnsucht nach Licht.
Universitätsbibliothek Warschau, 2015. |