Wolfgang Herrndorfs ausgezeichnetes Buch „Sand“ hält auch neun Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen aufschlussreich aktuelle Reflexionen bereit. In diesem Fall die Gedanken eines sich am eigenen Job berauschenden Spions.
Aus diesem Mund erhellen sie auf humorvolle Weise den Zusammenhang von Masken und Verschwörungstheorien:
Mittwoch, 27. Mai 2020
Samstag, 23. Mai 2020
Immer und überall. Christi Himmelfahrt und die Weisen der göttlichen Präsenz
Wir feiern an Christi
Himmelfahrt ein Fest der Zwischenzeit – zwischen Ostern und
Pfingsten, zwischen Frühling und Sommer, in diesem Jahr außerdem
zwischen Corona-Shutdown und dem noch unklaren Danach.
Für heutige Christen ist
klar, dass unser ganzes religiöses Leben ebenso eine Zwischenzeit
ist: Jesus können wir nicht mehr sehen, wir leben alle nach seiner
Himmelfahrt. Vom Heiligen Geist spüren wir mal mehr und mal weniger.
Das Weltende ist noch fern. Dieser Zustand der Zwischenzeit kennt
wenig Klarheit und fördert die Unsicherheit, wo Gott denn in unserem
Leben zu finden sei.
In der Bibel und der
christlichen Tradition kommen verschiedene Vorstellungen zum Tragen,
wo Gott zu finden ist. Hier können wir auch einiges lernen für
unsere persönliche Beziehung zu Gott.
Montag, 18. Mai 2020
Der 100. Geburtstag von Johannes Paul II. Eine persönliche Rückschau
1.
Zuerst war da nur der in jeder
Messfeier genannte Name des Papstes, für den gebetet wurde. Sonntag
für Sonntag, Jahr für Jahr der gleiche. Da ich es nicht anders
kannte, fiel mir erst später auf, dass Johannes Paul II. auf diese
Weise in meiner ganzen Kindheit und Jugend präsent war.
2.
Dann beschäftigte ich mich mit seinen
Schriften,
da ich (immer noch) der Meinung bin, dass es gut ist, sich mit
grundlegenden Texten der eigenen Tradition auseinanderzusetzen. Die
päpstlichen Lehrschreiben des aktuellen Pontifex zählte ich dazu.
Ich muss zugeben, dass ich den Stil der Enzykliken von Johannes Paul
II. schätze. Nicht an jedem Punkt teile ich seine theologische
Meinung, aber er bringt seine Themen elegant auf den Punkt und hat
eine überaus spirituelle Perspektive auf alle Fragestellungen.
Außerdem bildete er mit der Vielzahl seiner Äußerungen zu den
unterschiedlichsten Fragestellungen – von der menschlichen Arbeit
über die Ostkirchen und die Frage der Mission bis hin zu Trinität
und Eucharistie – eine gute Basis zum Verständnis des
Katholischen, jedenfalls des Katholischen aus seiner Sicht. Es ist
ein sehr kirchliches Katholischsein, das aber gleichzeitig eine große
Weite über die Grenzen der Kirche hinaus kennt.
Samstag, 16. Mai 2020
Ich höre auf den, den ich liebe. Gedanke zum Evangelium am 6. Sonntag der Osterzeit
„Wenn ihr mich liebt, werdet ihr
meine Gebote halten.“ (Joh 14,15) am Anfang und "Wer
meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt"
(v21) am Ende.
Oder auch ein Kapitel später:
„Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“ (Joh 15,14)
Oder auch ein Kapitel später:
„Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage.“ (Joh 15,14)
Die Verknüpfung von Liebe und
Freundschaft mit dem Einhalten von Regeln zu verbinden, ist mir auf
den ersten Blick nicht wirklich sympathisch.
Das klingt wie: Regeln
einhalten ist ein Zeichen von Zuneigung. Und: Nähe gibt’s nur bei
Gehorsam.
Dienstag, 12. Mai 2020
"Sind Gräber Atempause für die Sehnsucht?" Zum 50 Todestag von Nelly Sachs
Ich weiß nicht viel von
ihr, und das wenige, das ich weiß, lässt sich überall
zusammenlesen:
Nelly Sachs wurde 1891 in
Berlin in einer jüdischen Familie geboren und lebte bis zu ihrem
Exil 1940 ein recht stilles Leben, abseits vom Kulturbetrieb der
flimmernden Großstadt. Sie veröffentlichte einige wenige Gedichte
und konnte 1940 nach Schweden fliehen. Dieses Exil wurde "ihr
buchstäblich zur künstlerischen Neugeburt",1
so schreibt es Hilde Domin in ihrem Nachwort zu einer Gedichtauswahl
der Suhrkamp Bibliothek.
Samstag, 9. Mai 2020
Dreimal W: Den Weg kennen. Große Werke tun. Eine Wohnung finden.
Wir feiern wieder Gottesdienst. Aber
kann man das wirklich eine Feier nennen – unter diesen vom
Pandemieplan diktierten Bedingungen ? Ohne gemeinsamen Gesang, mit
riesigen Abständen zwischen uns, ohne anschließendes Beisammensein?
Es ist das, was wir daraus machen! Wir
können feiern, weil wir glauben, dass Gott in unserer Mitte sein
will, wenn wir uns treffen. Egal unter welchen Umständen.
Mit meinen Gedanken war ich in den
letzten Tagen immer wieder bei den Geschehnissen der letzten Tage des
Krieges, an dessen Ende vor 75 Jahren vielerorts erinnert wurde.
Unter welchen Umständen dort manchmal Gottesdienste gefeiert wurden.
Wie wird es diesen Menschen zumute
gewesen sein, wenn sie in den Gottesdienst gegangen sind? Waren sie
dankbar und erleichtert, dass alles vorbei ist? Oder doch eher
verbittert über die Niederlage? Ängstlich angesichts der Besatzung
und der vielen Unsicherheiten?
Auch wir haben einige der aktuellen
Einschränkungen schon hinter uns – aber gerade hier im Gefängnis
bestehen noch viele besondere Begrenzungen fort, vom Besuchsverbot
bis zum Ausfall der Gruppenangebote.
Wie die Menschen damals stehen auch wir
mit unseren unterschiedlichen Gefühlen vor Gott.
Freitag, 8. Mai 2020
Ausschleichen. Kriegsende, Corona-Lockerungen und die Religion
Deutschland befindet sich nicht im
Krieg.
Auch nicht gegen ein Virus. Angesichts
der martialischen Kriegsrhetorik anderer Staatsführer bin ich sehr
froh über das besonnene und zugleich verantwortliche Vorgehen
unserer Politikerinnen und Politiker in der Corona-Krise.
Jetzt, da wesentliche Lockerungen in
dieser Sache beschlossen und zum Teil schon eingeführt sind, drängt
sich mir trotzdem der Vergleich mit dem heutigen Feiertag auf.
Samstag, 2. Mai 2020
Ein guter Hirte zeigt neue Perspektiven. Drei Punkte für den Knast
Ich brauche ab und zu einen, der weiß,
wo es lang geht.
Nicht nur in Krisenzeiten wie jetzt,
sondern auch sonst bin ich manchmal froh, wenn ich nicht alles selber
wissen und machen muss.
Das ruft mir das Evangelium vom Guten
Hirten (Joh
10,1-10) von diesem Sonntag ins Gedächtnis. Jesus stellt sich
darin als Hirte vor, dem die Schafe vertrauen und folgen.
Ein erster Gedanke dazu:
Vertrauen ist entscheidend – wenn
jemand Macht über mein Leben hat, will ich mich darauf verlassen
können, dass er (oder sie) es gut mit mir meint.
Besonders in einem Kontext wie dem
Justizvollzug, in dem die Inhaftierten den Bediensteten in besonderer
Weise ausgeliefert sind, ist es essenziell, dass der Inhaftierte
weiß, er kann sich auf die Anweisungen und Entscheidungen des Personals verlassen.
Mittwoch, 29. April 2020
"Vertigo" – Eine Auferstehungsversion an Alfred Hitchcocks 40. Todestag
"Aus dem Reich der
Toten" (1958) ist einer der besten und bekanntesten Filme
von Alfred Hitchcock. Der Originaltitel "Vertigo" bedeutet
übersetzt "Schwindel" – und das kann hier durchaus im
doppelten Sinn als Störung des Gleichgewichts einerseits und als
lügnerischer Betrug andererseits verstanden werden.1
Im Hintergrund aber geht
es um eine Auferstehungsgeschichte der besonderen Art.
Sonntag, 26. April 2020
Jesus bringt keine Botschaft vom Leben nach der Auferstehung.
All die Erzählungen von
den Erscheinungen des auferstandenen Jesus in den Evangelien haben
eines gemeinsam: Jesu bringt keine Botschaft von der "anderen
Seite":
"Stattdessen die
vage Wiederanwesenheit nach drei Tagen, um die so viel Aufhebens
gemacht worden ist. Die Schwierigkeiten beim Erkennen auf dem Weg
nach Emmaus: Ist er das? Ist der das nicht? Warum sagt er nicht
einfach: Ich bin wieder da? Fragt mich, was ihr wissen wollt! Aber
vielleicht ist es Jesus nicht anders gegangen als ihm: Da war nichts,
wo er gewesen ist. Nichts, woran er sich erinnert."1
Das überlegt sich der
sterbende Protagonist, ein evangelischer Pfarrer, in Sibylle Knauss'
Roman "Der Gott der letzten Tage".
Donnerstag, 23. April 2020
Unterirdisch: „wunder des weizenkorns“ von Andreas Knapp
Die Corona-Krise wird von
religiös denkenden Menschen sehr unterschiedlich gedeutet. Manche
sehen sie als eine Chance,
was auch ich zum Teil tue, Andere sagen, dass aus dieser sinnlosen
Lage nicht
viel Gutes wachsen kann – und beides auch quer zu sonstigen
Debattenlagen. Wahrscheinlich hängt die jeweilige Einschätzung sehr
vom Charakter ab.
Ich selbst suche nach dem Positiven –
in meinen Begegnungen im Gefängnis, in der Heiligen Schrift, in den
Verlautbarungen meiner Kirche und auch in dem, was in den politischen
und gesellschaftlichen Realitäten der Welt sonst so geschieht. Was
meine gleichzeitige kritische Sicht auf viele Ereignisse nicht
ausschließt.
Will Gott uns in den "Zeichen
der Zeit" (GS 4) etwas sagen – und wenn, ja, in welcher
Weise?
Samstag, 18. April 2020
Jesus empfiehlt Corona-Glauben
"Selig sind, die nicht sehen
und doch glauben." (Joh 20,29)
So lautet das berühmte Diktum Jesu am
Ende des Evangeliums vom "ungläubigen Thomas" (Joh
20,19-31), das eine Woche nach Ostern in den Kirchen gelesen
wird.
Eine der traditionellen Deutungen
dieses Wortes besagt, dass die Christen, die keinen Kontakt mehr mit
dem leiblichen Jesus haben konnten, auf diese Weise gestärkt werden
sollten. Denn ihr Glaube basiert nun mal nicht auf dem Sehen, sondern
"nur" auf dem Zeugnis derer, die Jesus noch mit eigenen
Augen sehen konnten.
Für die jetzige Zeit empfiehlt sich
eine adaptierte Deutung:
Freitag, 17. April 2020
Schäbig, aber Zukunft. Von den Zeichen des neuen Lebens in Lutz Seilers "Stern 111"
Ostern erinnert uns daran, dass der Tod
in Leben verwandelt wird.
Dass etwas, das gestorben ist,
auferstehen kann in Neues.
Doch wie den Jüngern in den
Evangelien, so fällt es auch uns nicht immer leicht, die Zeichen des
Neuen richtig zu lesen.
Einer der es konnte, ist die Figur des
jungen Carl in "Stern 111", der Ende 1989 aus Gera
nach Berlin gekommen ist und in seiner besetzten Ost-Berliner Wohnung
auf sein armseliges Hab und Gut schaut:
Montag, 13. April 2020
Ostermontag – Hasenbrot, das vom Leben erzählt, in "Am Tag davor"
Die Emmausjünger können ihre Trauer
und ihre Verzweiflung nur schwer durchbrechen. Sie erkennen den
Auferstandenen endgültig erst dann, als er mit ihnen das Brot
bricht.
Auch Sorj Chalandon berichtet in "Am
Tag davor", das im Milieu der französischen Bergleute
spielt, von einem solchen Brot:
Sonntag, 12. April 2020
Ostersonntag – Verwechselt und trotzdem auferstanden, in "Serpentinen"
Das ist ein Osterbuch!
Zwar enthält es sehr viele karge,
anstrengende, sich in sich selbst verwirbelnde Motive und Gedanken.
Bov Bjerg hat die "Serpentinen" des Titels in die
Handlung eingewoben.
Doch letztendlich spricht das Buch von
einem großen Aufbruch: Ein Mann versucht, aus der Suizid-Spirale
seines Vaters und seines Großvaters auszubrechen. Dazu wagt er mit
seinem Sohn ein Experiment. Sie reisen in die schon lang verlassene
Heimat und entdecken dabei nicht nur die dunkle Vergangenheit. Nein,
sie erleben einige Krisen, Gefährdungen und Neuaufbrüche.
Eine Entdeckung machen sie bei der
Lektüre der biblischen Geschichte vom verlorenen Sohn (vgl. Lk 15,11-32):
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