Samstag, 12. September 2020

Wie lerne ich, gern zu vergeben? Predigt im Gefängnis

Mitten in die Predigtvorbereitung über das heutige Evangelium von der Vergebung (Mt 18,21-35) wird mir in der Nacht zu Freitag mein Fahrrad aus dem Hof geklaut. Das vierte geklaute Rad in acht Jahren in Berlin.
Da fällt es mir schwer, über Vergebung nachzudenken.
Weil ich selbst betroffen bin.
Sitze ich in der JVA jemandem gegenüber, der von seinen Straftaten erzählt, kann ich leichter Verständnis aufbringen. Ich bin ja nicht der Geschädigte, nur der Seelsorger, der dann die Lebensumstände und den Suchtdruck des Inhaftierten bedenkt und sich wohlwollend verhalten kann.
Aber wenn es um mich selbst geht, werde ich aggressiv.
Und dann dieses Evangelium!

Mittwoch, 9. September 2020

"Boże Ciało" heißt Leib Christi. Eine theologische Filmkritik

"Boże Ciało" heißt übersetzt Leib Gottes, verstanden als Leib Christi. Deshalb ist die Übersetzung des polnischen Films "Boże Ciało" (2019) mit dem lateinischen "Corpus Christi" für die deutsche Vermarktung richtig.

Aber "Boże Ciało" heißt auch noch etwas anderes. Es ist nämlich der volkstümliche polnische Name für das "Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi", das im deutschen Sprachraum in der Regel "Fronleichnam" genannt wird.

Wenn polnische Zuschauer sich den Film von Jan Komasa ansehen, werden sie darum sicher auch an besagtes Fest denken, an dem die Handlung des Filmes zu einem Höhepunkt kommt. Mit dem für Deutschland gewählten Titel gerät die zweite Bedeutung stärker in den Blick. Leider geht dabei aber die Doppeldeutigkeit, die dem polnischen Titel eignet, verloren.

Worum geht es im Film nun?

Sonntag, 6. September 2020

Zurechtweisung als Mittel der Konfliktlösung? Über das Evangelium Mt 18,15-20

Wie soll eine Problemlösung aussehen, wenn sie christlichen Idealen folgt?

Das Sonntagsevangelium (Mt 18,15-20) bietet eine Schrittfolge an, wie mit ungehörigem Verhalten unter Christen umgegangen werden soll, damit der einen Seite Vergebung, der anderen Umkehr zu möglich wird. Der Konflikt, also "wenn dein Bruder gegen dich sündigt" (v15), soll, wenn er nicht gelöst werden kann, immer weiter ins Öffentliche gebracht, um es dem, der da Unruhe in eine Gruppe gebracht hat, zu erleichtern, ohne (allzu großen) Gesichtsverlust sein Verhalten zu ändern. Erst wenn auch die immer größere Öffentlichkeit nichts gebracht hat, heißt es, „sei er für dich wie ein Heide oder Zöllner“ (v17), also nicht mehr zur Gemeinschaft dazugehörig.

Sicher geht es in manchen, seltenen Fällen, nicht anders. Aber Leute hinauszuwerfen ist ja auf Dauer keine Lösung.

Mittwoch, 2. September 2020

Ganz großes Theater. "Jesus kommt" von Nora Gomringer

Vor wichtigen Gesprächen bügle ich meistens noch ein Hemd. Auch rasiere ich mich. Versuche, einen guten Eindruck zu machen aus lauter Furcht, vielleicht nicht gut dazustehen.

Ähnliches schreibt die Lyrikerin Nora Gomringer in folgendem Gedicht1:

Freitag, 28. August 2020

"Trotzdem!" lesen! Eine Rezension zu Christiane Florins neuem Buch

Vielleicht steht Christiane Florin bis zu einem gewissen Punkt für einen Großteil westdeutscher Katholiken um die 50: Aufgewachsen in einem katholischen Umfeld und darin leidlich engagiert, wird der Blick auf die Kirche mit der Zeit immer kritischer.
Doch bei Florin ist es noch mehr: Sie befasst sich in unterschiedlicher Weise beruflich mit Religion und Glaube und nicht zuletzt mit der Kirche; erst bei Christ & Welt, seit vier Jahren im Deutschlandfunk bei "Religion und Gesellschaft".
Nach dem Buch "Weiberaufstand" von 2017 (und einer dazugehörigen Website) hat sie nun ein neues Buch mit einem breiteren Fokus vorgelegt: "Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben"1

Und dieses Buch trifft ins Mark.

Samstag, 22. August 2020

Berufung als felsiges Gelände. Eine Auslegung zu Mt 16,13-20

Es kommt, wie es so oft kommt in der Kirche, oder auch in einer Jugendgruppe oder Schulklasse. Wer aktiv ist und sich gern einbringt, dem wird auch zugemutet, noch mehr zu tun. Ich rede hier aus leidvoller Erfahrung.

Und ich gebe zu: ich möchte im Sonntagsevangelium (Mt 16,13-20) nicht unbedingt in der Haut von Petrus stecken. Da sagt er einmal was Richtiges und schon bekommt er eine Aufgabe übergeholfen.

Ob er aber überhaupt ein Fels sein will, wie Jesus ihm da zusagt, wird er nicht gefragt.
Mir ist, als würde mit dem Erstbekenntnis zu Jesus als dem Gesalbten Gottes gleich eine Unmenge an Funktionen verbunden sein, die im Bekenntnis gar nicht direkt angelegt sind.

Freitag, 14. August 2020

Betteln verboten?! Oder: Dieser Jesus stößt mich ab.

Es fällt mir sehr schwer, dem Evangelium etwas Positives über die Haltung Jesu abzugewinnen (vgl. Mt 15,21-28).

Da kommt eine heidnische Frau drei Mal für ihre kranke Tochter zu Jesus und seinen Jüngern – und wird immer wieder abgewiesen, bis Jesus sich bei ihrem dritten Einwand endlich erbarmt.

Oft wird darauf hingewiesen, dass Jesus hier als Lernender dargestellt sei. Er geht schließlich über sich und seinen Auftrag hinaus. Das mag sein, aber es tröstet mich nicht über seine Schroffheit hinweg.

Mittwoch, 12. August 2020

"There is a crack in everything" - "damit die Kraft Christi auf mich herabkommt." Ein Gedanke zu Paulus und Leonard Cohen

Auf der Suche nach einem tröstlichen Kalenderspruch für eine schwierige Situation (ja, auch das gehört manchmal zu meiner seelsorglichen Tätigkeit) fiel mir neulich eine Verwandtschaft zwischen Paulus und Leonard Cohen auf.

Sonntag, 9. August 2020

Edith Stein, fromme Feministin

Wäre das heute denkbar: Eine kritisch denkende Atheistin, die für Frauenrechte streitet und sich als Vernunftmensch versteht, wird katholisch?

1891 in Breslau in eine jüdische Familie geboren, erklärt Edith sich als 15jährige, sie habe sich "auch das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt."1 Das Judentum sagt ihr nichts mehr. Ab 1911 studiert sie Philosophie und promoviert 1917 bei Edmund Husserl in Freiburg.
Dabei beginnt ihre intensive existenzielle Suche, die sie 1922 zur Entscheidung für die Taufe und damit in die katholische Kirche führt. 1933 schließlich tritt sie in den Kölner Karmel ein.

Natürlich war sie auch damals eine Ausnahmegestalt.

Samstag, 8. August 2020

Der sinkende Fels in der Nacht. Drei Auslegungen zum Sonntagsevangelium

Kurzgefasst die wesentlichen Inhalte des aktuellen Sonntagsevangeliums (Mt 14,22-33):
Die Jünger sind in der Nacht allein im Boot auf dem See. Jesus kommt über das wilde Wasser und sagt: "Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!" (Mt 14,27) Petrus wagt es und will über das Wasser zu Jesus gehen. Doch er bekommt Angst und sinkt, als er um Hilfe ruft, hilft ihm Jesus.

Und drei Lesevorschläge:

Als eine Geschichte der Freundschaft lässt sich das Sonntagsevangelium lesen.
Seit Jesus die Brüder Petrus und Andreas am Anfang seines öffentlichen Auftretens gerufen hat (Mt 4,18ff), wuchs ihre Beziehung immer tiefer und enger. Petrus lernte Jesus kennen, Jesus lernte Petrus kennen. Jesus zeigt sich vornehmlich als Prediger, als selbstbewusst über dem Sabbat Stehender, als Wunderheiler. Und Petrus geht mit, er steht meist dabei und lernt. Später wird er sich noch mehr exponieren, vorerst ist er einer unter den anderen Jüngern.
Und hier tritt er zum ersten Mal im Matthäusevangelium stärker hervor.
Besonders in Männergruppen gibt es ja immer einige, die ein bisschen auftrumpfen müssen. Auch Petrus scheint auf dem See eine besondere Nähe zu Jesus herstellen zu wollen und verlässt vor den Augen der anderen Jünger das sichere Boot, um dem Freund auf dem Wasser entgegen zu gehen.

Samstag, 1. August 2020

Die Brotvermehrung. Oder: Wie Jesus mit seiner Massendemo umgeht und was gute MitarbeiterInnen ausmacht

Eine Klärung gleich zu Beginn: Diese Massenaufläufe, die Jesus laut Evangelium (Mt 14,13-21) verursacht hat, hätten unter Corona-Bedingungen natürlich sofort aufgelöst werden müssen. Keiner hatte eine Maske dabei, Brot wird von Hand zu Hand weitergereicht, Abstand wurde nicht eingehalten. Immerhin trug wohl niemand eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge oder einen Aluhut.

Kurz: Das Evangelium hat wieder einiges an Stoff zu bieten. Es zeigt Jesus als Freund eines Knackis; präsentiert eine Basisanweisung für Christen; weist auf die Wichtigkeit von guten Mitarbeitern hin.

Freitag, 31. Juli 2020

Shutdown für Ignatius. Über die Neuordnung des Lebens

Es war fast der größtmögliche Schaden, den es für einen aufstrebenden Ritter überhaupt geben konnte: Als Ignatius von Loyola 1521 mit einer kleinen Schar von Mitstreitern die Festung von Pamplona vor der Übernahme durch die französische Übermacht bewahren wollte, zerschmetterte ihm eine Kanonenkugel das Bein. All sein höfischer Ehrgeiz, seine Eitelkeit und sein Streben nach Fortkommen durch Kampf und Kraft war von einem Moment auf den nächsten dahin.
Nachdem der Schwerverletzte ins heimatliche Schloss nach Loyola zurück transportiert worden war, begann die lange Zeit der Heilung (mehr zu seinem Leben hier).
Für Ignatius war es eine Art Shutdown, den er brauchte, um sein Leben neu zu ordnen.

Samstag, 25. Juli 2020

Für meinen Schatz investiere ich was. Ein Radiobeitrag zum Sonntagsevangelium

So ähnlich werde ich morgen früh um ca. 10 vor 10 im Radio auf rbb 88,8 zu hören sein:

Die Geschichte beginnt wie im Märchen:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker.“ (Mt 13,44)
Jesus erzählt diese Geschichte, um zu verdeutlichen, was er mit dem Himmelreich meint. Etwas, das uns fasziniert und unsere ganze Aufmerksamkeit und unsere ganze Energie beansprucht.

Einen Schatz zu finden ist dabei das eine. Und es muss gar keine Schatztruhe voller Gold und Silber sein. Wenn ich aufmerksam für die kleinen Dinge bin, die mein Leben wertvoll machen, finde ich schnell eine Reihe Beispiele – und sei es nur ein saftiges Stück Wassermelone, ein Sonnenstrahl, der auf den Baum vor dem Fenster fällt oder das Lächeln meines Gegenübers.
Der Genuss solcher kleinen Gelegenheiten ist eine wichtige Sache. Viel wichtiger aber ist es, einen Schatz auch für mein Leben fruchtbar werden zu lassen – das meint Jesus, wenn er sagt, dass der Mann den Acker mit dem Schatz darin kaufte.

Montag, 20. Juli 2020

Widerstand und Solidarität. Bonhoeffer entscheidet sich für beides

Unterscheiden können ist eine Kunst, die eingeübt sein will. Nicht jeder ist dazu bereit und fähig. 
Leider gilt das auch für die, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, heute wie damals.

Einer aber, der es konnte, sei hier noch einmal benannt, heute, an dem Tag, an dem ich auf meinem Blog jedes Jahr Gedanken aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus notiere. 
Dietrich Bonhoeffer ist der Gemeinte, der zwischen den Nazis und seinen Landsleuten, den Deutschen, unterscheiden konnte.

Freitag, 17. Juli 2020

Umarme das Unkraut! Ein Gleichnis Jesu gegen den Strich gelesen

Es gibt durchaus andere Möglichkeiten, mit Unkraut umzugehen als Jesus es tut. Da wuchert es zum Ärger der Bauern fröhlich zwischen dem guten Weizen und Jesus verbietet den Jüngern, die störenden Gewächse auszureißen. 

Der Fokus Jesu ist bei diesem Beispiel darauf gerichtet, dass nicht Menschen zu entscheiden haben, wer oder was bei Gott Ansehen findet, sondern dass es Gottes ureigene Sache ist. Außerdem neigen wir Menschen (siehe chemische Schädlingsbekämpfung) dazu, mit dem Unkraut auch noch alles andere auszurotten (vgl. Mt 13,24-30).

Doch man hätte den Fokus auch anders legen können, wie mit dem „Schlechten“ umzugehen ist, das sich da heimlich unters „Gute“ mischt.