Gestern habe ich den
Gemeindegottesdienst mit äußerst ambivalenten Gefühlen verlassen.
Denn der Prediger in
meiner Ortsgemeinde bot zwar eine sehr schöne Auslegung des
Sonntagsevangeliums, aber er fügte auch noch einige Bemerkungen an,
die mich nachdenklich zurückließen.
Es ging darum, dass er als
Priester, der im Pfarrhaus neben der Kirche wohnt, aber nicht für
die Pfarrseelsorge eingesetzt ist, sich nicht als Notnagel der
Gemeindepastoral gebrauchen lassen wolle. Konkret gedenke er, lieber
auch in den (bei uns regelmäßig stattfindenden) sonntäglichen
Wortgottesdiensten in der Bank zu sitzen und auf diese Weise mit zu feiern, zumal er
bei seiner Ankunft einen Wortgottesdienst erlebte, der ihn positiv beeindruckt hat.
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Alte Kirchenteile, neu verpackt.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018. |
Ich stelle mir schon jetzt
den Aufschrei vor, der durch die hiesigen Gemeinden gehen wird,
nachdem monatelang um eine Gottesdienstordnung für die kommende
Großpfarrei Nordneukölln mit ihren zwei Priestern, drei
Hauptkirchen und fünf Gottesdienstorten insgesamt gerungen wurden.
Der Wunsch nach Eucharistiefeiern und die gefühlte Not, nicht
genügend Priester für das bisherige Gottesdienstangebot zu haben,
war in den Diskussionen deutlich spürbar. Und nun ist da ein Priester, der im Zweifelsfalle aber nicht als Zelebrant zur Verfügung steht.
Persönlich finde ich die
Haltung eines Priesters, der am Sonntag lieber einen Wortgottesdienst
besucht, statt selbst eine Eucharistiefeier anzubieten, mindestens
merkwürdig.
Aber ich kann die
dahinterstehenden (und in den Bemerkungen des Geistlichen
angedeuteten) Gründe teilweise verstehen.
Denn man kann diese
Haltung von den verschiedenen möglichen Effekten her und damit in
mehrfacher Hinsicht ansehen.
1: Pro I
Wenn es darum geht, Laien
zu selbstverantwortlichem, auch liturgisch eigenständigem, Handeln
zu motivieren und sich damit einem Klerikalismus entgegenzustellen,
der ja oft von auf Priester fixierten Laien ausgeht, dann halte ich
es für gut, wenn sich nicht in jede mögliche Gottesdienstform ein
Priester hineindrängt.
Dann halte ich es auch für
akzeptabel, wenn ein Priester an einem Sonntagvormittag in einer
Kirche Eucharistie mit der Gemeinde feiert und anschließend zum
Gemeindekaffee bleibt, dafür in einer anderen Kirche ein
Wortgottesdienst gefeiert wird (so hier vor Ort zum Teil die künftige
Praxis). Meiner Meinung nach muss ein Priester nicht von Messe zu
Messe hetzen, damit nur ja unter allen Umständen keine
eucharistiefreie Zone am Sonntag entsteht (auch wenn ich selbst eher
geneigt bin, dann lieber einen weiteren Weg für eine
Sonntagseucharistie auf mich zu nehmen).
Schließlich ist ein
Priester keine Sakramentenmaschine, sondern ein Mensch.
Unter der Hinsicht der
Ermutigung von Laien zu selbstmächtigen Handeln im Kirchenraum kann
ich also nachvollziehen, dass nicht auf Druck immer eine Eucharistie
gefeiert werden muss. (Darüber hinaus kann in einer Eucharistiefeier
ruhig immer mal ein qualifiziertes Glaubenszeugnis oder eine
persönliche Auslegung der Lesungen statt Predigt "im Angebot"
sein, denn an der fehlenden Predigtvorbereitung des Priesters soll es
nun nicht scheitern.)
2: Pro II
Zugleich wird der
Eigenwert von Wortgottesdiensten hervorgehoben, wenn dort das Wort
Gottes in einer schönen Form gefeiert, zu Gehör gebracht und
ausgelegt wird. Wider die eucharistische Monokultur!
Das wäre die Bejahung
dieser Haltung unter Hinsicht der gottesdienstlichen Vielfalt.
Andersherum wird durch die
Feier von Wortgottesdiensten auch der Wert der Eucharistiefeier
wieder mehr betont. Denn logischerweise steigt das Rare im Wert, wird
man sich dessen, was man aktuell nicht hat, stärker bewusst und
schätzt es mehr.
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Alles ist fast schon bereitet.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018. |
3: Contra I
Demgegenüber steht beim
Priester die Weihe zum Dienst.
Nicht für die persönliche
Heiligung oder zur Erbauung der Hierarchie oder für das Erbringen
wissenschaftlicher Leistungen wird jemand zum Priester geweiht,
sondern für den Dienst am Volk Gottes.
Das Amtspriestertum ist
ein Dienstamt!
Das bedeutet (wie oben
schon erwähnt) nicht, dass Priester nur für liturgische und
sakramentale Belange da wären (auch wenn das im Zeitalter von
Verwaltungsleitern einer Pfarrei, die nicht Priester sind, praktisch
im Vordergrund steht).
Der Dienst des Priesters
besteht in solchen Situationen jedoch darin, sich auch dann für
liturgische Feiern zur Verfügung zu stellen, wenn er eigentlich
keine Lust dazu hat oder aus oben genannten (und möglicherweise noch
anderen) Gründen der Meinung ist, dass keine Eucharistiefeier
angeboten werden muss.
Unter der Hinsicht der
grundsätzlichen Zielstellung des Amtspriestertums in der
katholischen Kirche wäre es also mehr als angemessen, für die
sonntägliche Feier der Eucharistie bereit zu sein.
(Aus privatem
Erleben als Seelsorger mit Familie kann ich sagen, dass hier ein
äußerst praktischer Grund für den Zölibat liegt - auch ich möchte gern mal am Sonntag frei haben und mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen und nicht immer selbst vorn stehen.)
4: Contra II
Noch mehr gilt dies in
Hinsicht auf die Ausbildung. Die Priester nämlich wurden, im
Gegensatz zu den meisten Gläubigen, genau für diese liturgischen
Feiern ausgebildet.
Während viele engagierte
Laien, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, vor großen Problemen
stehen, wenn sie einen Gottesdienst leiten oder einen Segen spenden
oder eine Predigt halten sollen, gehört es für den Priester zum
Alltag, in kompetenter Weise liturgische Präsenz zu zeigen (was,
zugegeben, mal mehr und mal weniger gut gelingt...).
Nur mal zum Vergleich:
Würde der Busfahrer sich lieber nach hinten in den Bus setzen und
stattdessen einen Fahranfänger ans Steuer lassen, würden wir uns
doch sehr wundern. Der anwesende, aber nicht aktiv werdende Arzt
würde im Fall der Fälle sogar vor Gericht kommen.
Aber in der Kirche soll
der Heilige Geist nun in allen gleichermaßen wehen, egal wie
professionell sie der liturgischen Aufgabe gerecht werden können.
Bei aller Liebe: die Ausrichtung an den verschiedenen Talenten
schließt eine Förderung dieser Talente gerade mit ein.
Ich halte es deshalb unter
dieser Hinsicht nötiger, nicht vorgebildete Laien mehr auszubilden
und zu befähigen, als sie irgendetwas machen zu lassen. Das würde
Wortgottesdienste nämlich wirklich entwerten.
5: Conclusio
Mir persönlich liegt die
Betonung des Dienstcharakters der Priesterweihe (s. 3) besonders am
Herzen. Wenn ein Priester demütig Gott und dem Volk Gottes dient,
wird Klerikalismus (s. 1) auch kein Problem werden. Ein solcher
Priester wird die nichtgeweihten Gläubigen gern ermutigen und
befähigen (s. 4), im rechten Moment das ihnen Gemäße zu tun –
und selbst seine eigenen Aufgaben wahrnehmen.
Damit bin ich vom
konkreten Erlebnis sehr weit ins Allgemeine gerutscht – aber so ist
das eben.
Ich hoffe auf gedeihliches
Gemeindeleben.
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Alles im Umbau.
Kulturkirche, Neuruppin, 2017. |