Freitag, 26. April 2019

Ein neues Leben für Annie Ernaux. Von Ostern und sozialem Aufstieg

Passend zur Osterwoche habe ich gerade das Buch "Der Platz"1 von Annie Ernaux gelesen. Es passt deshalb zu Ostern, weil die Autorin in diesem schmalen Bändchen die wachsende Kluft zwischen sich selbst und ihrer Herkunft, vor allem die soziale Distanz zu ihrem Vater thematisiert.

Anders gesagt: Sie ist eingetaucht in ein neues Leben und hat dabei jene zurückgelassen, mit denen sie so lang unterwegs war.
Das ist für beide Seiten nicht leicht und vielleicht wirft manche der geschilderten Erfahrungen ein Streiflicht auf die Beziehung des auferstandenen Jesus zu seinen Jüngern.

Dienstag, 23. April 2019

„Geburt des Morgens“ - Österliche Natur bei Andreas Knapp

In der Natur zeigen sich gerade im Frühjahr Andeutungen und Zeichen dessen, was wir als Christen unter Auferstehung und neuem Leben verstehen1 – kein Wunder, dass Ostern in der Blüte des Jahres gefeiert wird.

In seinem Gedichtband „Beim Anblick eines Grashalms“ hat Andreas Knapp „Naturgedichte“ versammelt, die oftmals mehr oder weniger deutlich eine spirituelle Lesart enthalten.
So auch hier2:

Geburt des Morgens
Neue Farben in der Stadt.
Neukölln, Berlin, 2019.

der letzte Stern
gibt der Amsel den Einsatz

im Crescendo des Lichts
wächst die Erwartung des neuen Tages
der erste Sonnenstrahl
bricht sich in den Nachttränen

tausendfaches Aufblitzen im Tau
als habe sich der Sternenhimmel

in den Grashalmen verfangen
alle Farben werden neu erfunden

ein Atemzug Ahnung
vom ersten Schöpfungstag


Was mich sofort anspricht: das Bild der neu erfundenen Farben.

So verstehe ich Auferstehung sofort:
Neues Leben bedeutet neue Farben.
Das sind zunächst einmal Negierungen: Nicht matt, nicht altbekannt, nicht verblasst, nicht schwarz-weiß, nicht althergebracht, nicht rosig, nicht von früher übernommen, nicht grau, nicht wiederholt.
Sondern: neu.

Alles wird neu, denn Auferstehung ist eine Neuschöpfung. Daran erinnern die letzten Zeilen: Ahnung der Frische des Urzustands.
Was wir bisher gesehen haben, ist nicht vergleichbar mit dem Neuen. Unsere Kategorien greifen nicht mehr, die Augen können nicht fassen, was Auferstehung von Gott her meint, nämlich das gänzlich Neue für uns: neue Farben, ein neuer Morgen, neue Schöpfung, neue Lebendigkeit.



1   Siehe dagegen aber auch: Die Auferstehung ist kein Schmetterling.
2   A. Knapp, Beim Anblick eines Grashalms. Naturgedichte. Würzburg 2017, 78.

Sonntag, 21. April 2019

Ostern – Rückkehr mit Umkehr. Predigtgedanken zu Maria Magdalena

1. Zurückkehren ohne Tröstung
Am Ostermorgen ist Maria von Magdala zum Grab zurückgekehrt (Joh 20,1.11-18). Im Schutz der Dunkelheit kam sie und wollte beim Grab allein um ihren Meister trauern. Da sah sie, dass der Stein fortgerollt war. Sie weint, weil sie nun auch den Leichnam verloren meint und mit ihm die letzte fassbare Spur Jesu.

Ich glaube, das ist vergleichbar mit der Erfahrung, die viele Menschen kennen, wenn sie sich neu auf die Suche nach Sinn, nach irgendeiner Bedeutung im Leben, vielleicht sogar nach Gott oder nach Religion machen:
Nachdem eine Zeitlang Funkstille herrschte und kein Kontakt mit religiösen Fragen vorhanden war, kommt diese Frage irgendwann wieder.

Samstag, 20. April 2019

Karsamstag: Blick in den Abgrund mit Andrea Mantegna

Die aktuelle Ausstellung "Mantegna und Bellini – Meister der Renaissance" in der Berliner Gemäldegalerie zeigt einige eindrucksvolle Karsamstagsbilder. Unter dem Titel "Der Abstieg Christi in die Vorhölle" hat Andrea Mantegna ein bemerkenswertes Motiv kreiert und in vielen Variationen ausgeführt, das der heute gängigen Betonung der karsamstäglichen Grabesruhe entgegensteht.

Vielmehr zeigt der oberitalienische Künstler, was die theologische Spekulation hinter den Kulissen des Todes vermutet: Christus steigt zu den Toten hinunter. Er, der am Karfreitag als Mensch gestorben war, hat nun die erlösende Aufgabe, zu all den anderen Toten hinunterzusteigen und sie teilhaben zu lassen an der kommenden Auferstehung.

Freitag, 19. April 2019

Karfreitag – Zweimal berührt. Bildbetrachtungen

Liebe will den Anderen berühren. Hass leider auch.

Am Karfreitag treffen sich beide Formen körperlicher Berührung auf intensivste Weise. Sie machen besonders deutlich, was Passion alles heißen kann: passiv, erleidend, zulassend...

Zuerst bei der Kreuzigung.

Donnerstag, 18. April 2019

Gründonnerstag – Selbsteinsatz mit Berührung

Um das Geschehen von Ostern und besonders das Mahl zu verstehen, das Jesus am Abend vor seinem Tod mit seinen Jüngern feiert, ist es gut, auf die zusätzliche Handlung Jesu zu schauen, die nur bei Johannes überliefert wird.
Dort steht im Zentrum des Zusammenseins, dass Jesus seinen Jüngern die Füße wäscht.

1
Das ist jene Tätigkeit, die sonst dem Hauspersonal, in reichen römischen Häusern der damaligen Zeit also den Sklaven zukam. Und diesen Platz des Sklaven nimmt nun Jesus ein.
Er dient seinen Jüngern – jenen, die ihm hinterhergingen, weil sie in ihm etwas Besonderes, einen Propheten oder Wundertäter oder sogar den Sohn Gottes sahen.
Durch Jesu Rollenwechsel werden sie selbst nun zu etwas Besonderem, zu Auserwählten, denen sich dieser besondere Mann zuwendet.

Zergehender Weihrauch.
Grünheide, 2019
Er macht sich selbst klein, um zu zeigen, wie Gott sich den Menschen nähert: er kommt ihnen nahe als einer, der sie bedient und sie dadurch groß macht. Indem er sich selbst zu einem Sklaven macht.
Und genau das ist auch der Kern des Mahles.

Es mag beim Letzten Abendmahl in gewisser Weise auch darum gehen, dass Jesus sich mit allen an einen Tisch gesetzt hat, auch mit den Sündern, dass sie miteinander gegessen und getrunken haben und dass sie teilen.

Das Wichtigste aber ist, dass Jesus sich auch hier selbst einsetzt. Durch Mahl und Fußwaschung deutet er seinen bevorstehenden Tod. Denn im Mahl reicht er ihnen nicht irgendetwas, sondern er verspricht, dass er sich ihnen künftig in Brot und Wein selbst reicht: "Das ist mein Leib für euch." (1Kor 11,24)

Darin liegt auch der Kern von Ostern: Gott schenkt uns in seinem Sohn sein Leben.

2
Das hat Konsequenzen für das Leben der Christen, besonders für das Leben derer, die Jesu Botschaft weitertragen wollen, also für die Seelsorger, die Priester, Diakone, Ordensschwestern, Bischöfe, Päpste...
"Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen", betont Jesus im Anschluss an sein ungewöhnliches Tun (Joh 13,14).
Das kann man nun wortwörtlich nehmen, wie heute am Gründonnerstag.
Man kann und sollte es aber vor allem in einem weiteren Sinne verstehen – und zwar jeden Tag.
Einander die Füße zu waschen heißt dann, sich vor dem Anderen nicht aufzuplustern, sondern ihm gut zu tun; sich nicht bedienen zu lassen, sondern selbst zu helfen und zu dienen; nicht fromm zu reden, sondern hilfreich zur Seite zu stehen.

Dazu gehören Realismus und Selbstüberwindung: Jesus wusste, dass seine Jünger ganz normale Menschen mit Schwächen und Ängsten, Fehlern und Macken waren. Und er hat sich trotzdem vor sie hingekniet und ihre staubigen Füße gewaschen. Es war ihm in diesem Moment nicht wichtig, dass sie ihn nur halbwegs verstanden, wenn er vom Reich Gottes sprach oder von sich selbst, dass sie ihn enttäuschten, wenn er sie brauchte, dass sie am Ende sogar verängstigt weglaufen würden.
Er will ihnen trotzdem Gutes, setzt sich für sie ein, zeigt ihnen seine Bereitschaft, für sie da zu sein, kurz: wäscht ihnen trotzdem die Füße.

Für uns ist klar: Das ist im Alltag schwer zu verwirklichen. Einmal im Jahr jemandem die Füße zu waschen, ist dagegen leicht. Einmal im Jahr eine Karte schreiben, ein Geschenk besorgen oder anrufen, das ist kein Problem. Aber alltäglich für jemanden da zu sein mit seinem ganzen Leben, ist eine echte Herausforderung. Um diese Herausforderung geht es.

Berührend.
Pflanze an Kosmetikregal, Linum, 2019.
3
Und im Alltag geht es um Berührung.
Wenn Menschen, die wenig mit Religion zu tun haben, sich Gedanken machen, was es heißt, religiös zu sein, dann geht es oft darum, ob man dies oder jenes wirklich glauben kann, ob man dies oder jenes nicht zu anstrengend finden würde und so weiter.
Entscheidend ist jedoch nicht die Theorie, entscheidend ist, die Praxis, also ob wir uns berühren lassen.
Anders gesagt: Jesus quatscht nicht nur, sondern er berührt seine Jünger.
Auch dies ist wieder doppelt zu verstehen, im wörtlichen und im übertragenen Sinn.
Körperliche Berührung ist eine menschliche Grunderfahrung, die wir als Erwachsene jedoch manchmal, besonders in Situationen wie einer Haft, beiseite schieben (müssen). Nicht jeder darf mich anfassen, nicht von jedem möchte ich berührt werden.
Jesus berührt seine Jünger dort, wo sie einerseits festen Stand in ihrem Leben fassen, wo sie andererseits vorwärtskommen in der Welt. Eben an den Füßen.

Im übertragenen Sinn: Lasse ich mich von Gott berühren, lasse ich ihn an mein Herz? Lasse ich ihn an meine Fundamente? Lasse ich ihn dort ran und mir helfen, wo ich festen Stand brauche? Lasse ich ihn an die Pläne, wie ich in meinem Leben fortkommen möchte?

Wenn ich zulasse, dass Gott mich berührt, dann werde ich auch bereit, mir sein Leben schenken zu lassen. Dann werde ich selbst bereiter, mich praktisch für Andere einzusetzen.

Samstag, 13. April 2019

Palmsonntag - Gedanken aus der Menge

Ein Jünger, der mit Jesus in die Stadt einzieht (J)
Ein Pharisäer, der schon seine Meinung zu Jesus hat (P)
Ein Mensch in der Menge, der mal schauen will (M)


J:    Wow, wie die Leute UNS zujubeln!
P:    Da vorne ist er also, der Hampelmann, so sehe ich ihn jetzt auch endlich mal!
M:    Wer ist das? Lasst mich doch mal durch, ich sehe überhaupt nichts!

Mittwoch, 10. April 2019

Freiheitsgewinn 4 – "Die Welt wird besser, wenn wir miteinander reden" von Alex

Es gibt im Gefängnis einige junge Männer, die ich immer wieder treffe.
Sie tauchen alle paar Monate für einige Zeit im Knast auf, meist wegen Beschaffungskriminalität.
Ich habe den Eindruck, dass nicht wenige von ihnen draußen mit der Freiheit überfordert sind, aber drinnen, in der Unfreiheit der Knastwelt, können sie ebensowenig leben.
Ob es für diese jungen Männer einen Platz gibt, an dem sie auf Dauer glücklich werden können – ich weiß es nicht.

Außerhalb der Gefängnismauern warten die Drogen und das dazugehörige Milieu, die mit aller Macht an ihnen ziehen, auch weil da einfach keine anderen Dinge sind, die Farbe in ihr Leben bringen könnten. Oft ohne einen Schulabschluss und Ausbildung, selten mit guter Bindung zur Familie, werden sie kaum einen Fuß auf den Boden bekommen.
In Haft wiederum fühlen sie sich (nicht ohne Grund) gegängelt und verfangen sich auf Schritt und Tritt in Restriktionen, sobald sie nur den Mund aufmachen.

Samstag, 6. April 2019

Vergeben kann, wer Vergebung erfährt. Jesus und die Ehebrecherin

Schriftgelehrte und Pharisäer wollen Jesus im Sonntagsevangelium (Joh 8,1-11) auf die Probe stellen und degradieren dafür die sowieso schon beim sexuellen Akt erwischte Frau nun auch noch zum Instrument ihres Ärgers auf Jesus.
Durch Jesu bekannte Antwort auf die Frage, was angesichts des eindeutigen Gesetzesverstoßes zu tun sei, ergibt sich ein klarer Fokus auf das Thema Schuld: Jesus fordert die Schuldlosen auf, die Schuld zu sühnen und die Strafe zu vollziehen (v7). Die betretene Reaktion und der Verzicht auf die Bestrafung seitens der Männer (v9) zeigt, dass sie sich ihrer Schuld bewusst werden.
Ob dies auch auf die Schuld der Instrumentalisierung eines Menschen zutrifft, bleibt unklar.

Schaut man die ganze Szene aber nicht aus der Perspektive der Schuld, sondern aus Sicht der Vergebung an, dann verschiebt sich etwas.

Dienstag, 2. April 2019

Freiheitsgewinn 3 - Frei durch Freiheitsentzug? Konferenznotizen

Auf der bundesweiten Fachtagung der Gefängnisseelsorge waren in diesem Jahr u.a. der ehemalige Anstaltsleiter Dr. Thomas Galli und die Juniorprofessorin Dr. Edeltraud Koller als ReferentInnen anwesend.
Themen des gestrigen Tages waren der Blick auf Inhaftierte und der Umgang mit Schuld und dem Sinn des derzeitigen Justizvollzugs, zu denen ich hier einige Gedanken im Anschluss an die Referate präsentieren möchte.
Mögliche Aktualisierungen auf die Fastenzeit hin möge die geneigte Leserschaft selbstbestimmt vornehmen.

1. Frei durch Reue?
Das Strafgesetzbuch gibt in § 46 Abs. 1 vor: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe." Wenn die Strafe als Freiheitsstrafe angesetzt ist, dann führt sie in konkrete Unfreiheit, nämlich in die Haft. Aus dieser heraus kommen Inhaftierte entweder nach voller Verbüßung oder aber zuvor schon, dann jedoch u.U. durch Reue.

Montag, 1. April 2019

Darf ein Priester am Sonntag in der Bank sitzen?

Gestern habe ich den Gemeindegottesdienst mit äußerst ambivalenten Gefühlen verlassen.
Denn der Prediger in meiner Ortsgemeinde bot zwar eine sehr schöne Auslegung des Sonntagsevangeliums, aber er fügte auch noch einige Bemerkungen an, die mich nachdenklich zurückließen.
Es ging darum, dass er als Priester, der im Pfarrhaus neben der Kirche wohnt, aber nicht für die Pfarrseelsorge eingesetzt ist, sich nicht als Notnagel der Gemeindepastoral gebrauchen lassen wolle. Konkret gedenke er, lieber auch in den (bei uns regelmäßig stattfindenden) sonntäglichen Wortgottesdiensten in der Bank zu sitzen und auf diese Weise mit zu feiern, zumal er bei seiner Ankunft einen Wortgottesdienst erlebte, der ihn positiv beeindruckt hat.

Alte Kirchenteile, neu verpackt.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
Ich stelle mir schon jetzt den Aufschrei vor, der durch die hiesigen Gemeinden gehen wird, nachdem monatelang um eine Gottesdienstordnung für die kommende Großpfarrei Nordneukölln mit ihren zwei Priestern, drei Hauptkirchen und fünf Gottesdienstorten insgesamt gerungen wurden. 
Der Wunsch nach Eucharistiefeiern und die gefühlte Not, nicht genügend Priester für das bisherige Gottesdienstangebot zu haben, war in den Diskussionen deutlich spürbar. Und nun ist da ein Priester, der im Zweifelsfalle aber nicht als Zelebrant zur Verfügung steht.

Persönlich finde ich die Haltung eines Priesters, der am Sonntag lieber einen Wortgottesdienst besucht, statt selbst eine Eucharistiefeier anzubieten, mindestens merkwürdig.
Aber ich kann die dahinterstehenden (und in den Bemerkungen des Geistlichen angedeuteten) Gründe teilweise verstehen.
Denn man kann diese Haltung von den verschiedenen möglichen Effekten her und damit in mehrfacher Hinsicht ansehen.

1: Pro I
Wenn es darum geht, Laien zu selbstverantwortlichem, auch liturgisch eigenständigem, Handeln zu motivieren und sich damit einem Klerikalismus entgegenzustellen, der ja oft von auf Priester fixierten Laien ausgeht, dann halte ich es für gut, wenn sich nicht in jede mögliche Gottesdienstform ein Priester hineindrängt.
Dann halte ich es auch für akzeptabel, wenn ein Priester an einem Sonntagvormittag in einer Kirche Eucharistie mit der Gemeinde feiert und anschließend zum Gemeindekaffee bleibt, dafür in einer anderen Kirche ein Wortgottesdienst gefeiert wird (so hier vor Ort zum Teil die künftige Praxis). Meiner Meinung nach muss ein Priester nicht von Messe zu Messe hetzen, damit nur ja unter allen Umständen keine eucharistiefreie Zone am Sonntag entsteht (auch wenn ich selbst eher geneigt bin, dann lieber einen weiteren Weg für eine Sonntagseucharistie auf mich zu nehmen).
Schließlich ist ein Priester keine Sakramentenmaschine, sondern ein Mensch.

Unter der Hinsicht der Ermutigung von Laien zu selbstmächtigen Handeln im Kirchenraum kann ich also nachvollziehen, dass nicht auf Druck immer eine Eucharistie gefeiert werden muss. (Darüber hinaus kann in einer Eucharistiefeier ruhig immer mal ein qualifiziertes Glaubenszeugnis oder eine persönliche Auslegung der Lesungen statt Predigt "im Angebot" sein, denn an der fehlenden Predigtvorbereitung des Priesters soll es nun nicht scheitern.)

2: Pro II
Zugleich wird der Eigenwert von Wortgottesdiensten hervorgehoben, wenn dort das Wort Gottes in einer schönen Form gefeiert, zu Gehör gebracht und ausgelegt wird. Wider die eucharistische Monokultur!
Das wäre die Bejahung dieser Haltung unter Hinsicht der gottesdienstlichen Vielfalt.
Andersherum wird durch die Feier von Wortgottesdiensten auch der Wert der Eucharistiefeier wieder mehr betont. Denn logischerweise steigt das Rare im Wert, wird man sich dessen, was man aktuell nicht hat, stärker bewusst und schätzt es mehr.

Alles ist fast schon bereitet.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
3: Contra I
Demgegenüber steht beim Priester die Weihe zum Dienst.
Nicht für die persönliche Heiligung oder zur Erbauung der Hierarchie oder für das Erbringen wissenschaftlicher Leistungen wird jemand zum Priester geweiht, sondern für den Dienst am Volk Gottes.
Das Amtspriestertum ist ein Dienstamt!

Das bedeutet (wie oben schon erwähnt) nicht, dass Priester nur für liturgische und sakramentale Belange da wären (auch wenn das im Zeitalter von Verwaltungsleitern einer Pfarrei, die nicht Priester sind, praktisch im Vordergrund steht).
Der Dienst des Priesters besteht in solchen Situationen jedoch darin, sich auch dann für liturgische Feiern zur Verfügung zu stellen, wenn er eigentlich keine Lust dazu hat oder aus oben genannten (und möglicherweise noch anderen) Gründen der Meinung ist, dass keine Eucharistiefeier angeboten werden muss.

Unter der Hinsicht der grundsätzlichen Zielstellung des Amtspriestertums in der katholischen Kirche wäre es also mehr als angemessen, für die sonntägliche Feier der Eucharistie bereit zu sein. 
(Aus privatem Erleben als Seelsorger mit Familie kann ich sagen, dass hier ein äußerst praktischer Grund für den Zölibat liegt - auch ich möchte gern mal am Sonntag frei haben und mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen und nicht immer selbst vorn stehen.)

4: Contra II
Noch mehr gilt dies in Hinsicht auf die Ausbildung. Die Priester nämlich wurden, im Gegensatz zu den meisten Gläubigen, genau für diese liturgischen Feiern ausgebildet.
Während viele engagierte Laien, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, vor großen Problemen stehen, wenn sie einen Gottesdienst leiten oder einen Segen spenden oder eine Predigt halten sollen, gehört es für den Priester zum Alltag, in kompetenter Weise liturgische Präsenz zu zeigen (was, zugegeben, mal mehr und mal weniger gut gelingt...).

Nur mal zum Vergleich: Würde der Busfahrer sich lieber nach hinten in den Bus setzen und stattdessen einen Fahranfänger ans Steuer lassen, würden wir uns doch sehr wundern. Der anwesende, aber nicht aktiv werdende Arzt würde im Fall der Fälle sogar vor Gericht kommen.
Aber in der Kirche soll der Heilige Geist nun in allen gleichermaßen wehen, egal wie professionell sie der liturgischen Aufgabe gerecht werden können. Bei aller Liebe: die Ausrichtung an den verschiedenen Talenten schließt eine Förderung dieser Talente gerade mit ein.

Ich halte es deshalb unter dieser Hinsicht nötiger, nicht vorgebildete Laien mehr auszubilden und zu befähigen, als sie irgendetwas machen zu lassen. Das würde Wortgottesdienste nämlich wirklich entwerten.

5: Conclusio
Mir persönlich liegt die Betonung des Dienstcharakters der Priesterweihe (s. 3) besonders am Herzen. Wenn ein Priester demütig Gott und dem Volk Gottes dient, wird Klerikalismus (s. 1) auch kein Problem werden. Ein solcher Priester wird die nichtgeweihten Gläubigen gern ermutigen und befähigen (s. 4), im rechten Moment das ihnen Gemäße zu tun – und selbst seine eigenen Aufgaben wahrnehmen.

Damit bin ich vom konkreten Erlebnis sehr weit ins Allgemeine gerutscht – aber so ist das eben.
Ich hoffe auf gedeihliches Gemeindeleben.

Alles im Umbau.
Kulturkirche, Neuruppin, 2017.

Samstag, 30. März 2019

Die Heimkehr des Sohnes. Ein meditatives Puzzle

Heute mal eine Art Puzzle, aus dem ich die mir gemäßen Sätze zum Evangelium am Sonntag Laetare mit der Geschichte vom barmherzigen Vater herauspicken und zusammenstellen kann. 


Es sind noch Plätze frei.
Tübke-Villa, Leipzig, 2018.
Ich komme nach Hause.
Das heißt:

ich habe genug
ich brauche mich nicht mehr mit fremden Menschen umgeben
ich habe es geschafft
ich muss nicht mehr arbeiten
ich kann endlich ausruhen
ich darf mich anlehnen
ich muss nicht mehr funktionieren


Allerdings hatte ich ursprünglich nicht vor, zu dir zurück zu kommen.
Das heißt:

ich habe mich verschätzt
ich konnte mich nicht zurecht finden
ich musste aufgegeben
ich bin ein Versager
ich habe dich enttäuscht
ich fürchte mich vor dem, was jetzt kommt 
ich will mich nicht länger verkriechen
ich will dich eigentlich nicht sehen
ich erwarte nicht, dass du mich annimmst


Unerwartet stehst du in der Tür und wartest auf mich.
Das heißt:

Du hast mich nicht aufgegeben
Du willst dich nicht rächen
Du freust dich auf mich
Du möchtest mich bei dir haben
Du bist nachsichtig
Du gibst mir noch eine Chance
Du stehst auf meiner Seite
Du schaust großzügig auf meine Fehler 


Was ist meine Antwort darauf? 

Angebrannt und trotzdem schön.
Neukölln, 2017.

P.S. Ein titelgleicher Beitrag zu einem gänzlich anderen Thema findet sich hier.

Dienstag, 26. März 2019

Freiheitsgewinn 2 - Der Frauenbefreier Jesus in "Maria Magdalena" von Garth Davis

Ein Film über Maria Magdalena muss viele Klippen umschiffen.
Eine erste Klippe besteht darin, die Beziehung von Jesus und Maria als Liebesgeschichte zu erzählen und aus dem Verhältnis von Jüngerin und Meister eine Seifenoper zu machen. Dann kann es sein, dass die phantasievoll ausgemalten sozialen Konflikte (Maria als Prostituierte am Rand der Gesellschaft etc.) breiten Raum einnehmen und die religiöse Botschaft des Jesus von Nazareth dahinter verschwindet. Manchmal werden auch ahistorisch die heutigen Probleme (beispielsweise mit religiösen Autoritäten) in einen Film hineingetragen.

Samstag, 23. März 2019

Jesus und der Vampirbaum. Ein Gedanke zum Sonntagsevangelium (Lk 13,1-9)

Warum sollte ein Baum, der keine Früchte bringt, weiter im Garten stehen? Der Baum entzieht dem Boden Nährstoffe und schädigt auf diese Weise die früchtetragenden Nachbarn. Ein solcher Baum schwächt seine Umwelt – er ist wie ein Vampir, der seinen Opfern die Lebenskraft aussaugt.
Also: "Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen?" (Lk 13,7)
Diese Frage jedenfalls stellt sich dem Besitzer des Gartens im Evangelium des Sonntags. Der kann und will es sich wirtschaftlich nicht leisten, einen solchen Nichtsnutz stehen zu lassen.

In unserer Gesellschaft stellen sich ähnliche Fragen.

Donnerstag, 21. März 2019

Freiheitsgewinn 1 – "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche" von Doris Wagner

In den letzten Themenreihen der Fastenzeit habe ich mich stark auf die Passion fokussiert – 2016 "Der Gekreuzigte" und 2018 "Das Sterben spüren".
Das Thema in diesem Jahr soll "Freiheitsgewinn" lauten, denn Fasten hat ja auch zu tun mit dem Heraustreten aus der eigenen Begrenztheit hinein in die Weite Gottes.
Es soll in den Beiträgen unter diesem Titel darum gehen, Abhängigkeiten und Enge zu erspüren und Freiheitspotenziale auszuloten.

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Am Beginn stehen im vorliegenden Beitrag die Analysen und Schlussfolgerungen von Doris Wagner, ehemalige Ordensfrau und (inzwischen verheiratete) Autorin des bemerkenswerten Buches "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche".1