So wie jedes Jahr wollte ich viele Worte zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus schreiben.
Aber nun ist gestern mein Großvater gestorben. Jahrgang 1935, nach dem Krieg aus Schlesien vertrieben, kein Opfer der Nationalsozialisten, aber ein von der kriegsbedingten Vertreibung lebenslang Geprägter.
Am Totenbett wurde mir einmal mehr klar: Erinnerung und ehrendes Gedenken sind gut und schön, nur leider ersetzen sie nicht das Gespräch.
Montag, 27. Januar 2020
Samstag, 25. Januar 2020
Kafarnaum und Višegrad. Herkunft bei Jesus und Saša Stanišić
"Ich sehe zum
verfallenen Haus meiner Urgroßeltern, ich verstehe so vieles nicht.
Nicht, wie das Knie funktioniert. Ernsthaft religiöse Menschen so
wenig wie Menschen, die Geld und Hoffnung in Magie, Wettbüros,
Globuli oder Hellseherei (außer Nena Mejrema) setzen. Ich verstehe
das Beharren auf dem Prinzip der Nation nicht und Menschen, die süßes
Popcorn mögen. Ich verstehe nicht, dass Herkunft Eigenschaften mit
sich bringen soll, und verstehe nicht, dass manche bereit sind, in
ihrem Namen in Schlachten zu ziehen. Ich verstehe Menschen nicht, die
glauben, sie könnten an zwei Orten gleichzeitig sein (falls das aber
wirklich jemand kann, möchte ich es gern lernen)."1
So schreibt Saša Stanišić
in seinem preisgekrönten Buch "Herkunft" von seiner
Skepsis gegenüber bestimmten Vorstellungen von Abstammung und
Herkunft. Ihn scheint das Fluide und nicht Festgelegte mehr zu
faszinieren und zu überzeugen. Und ich muss sagen, dass ich mir viel
von dieser Skepsis einerseits und Faszination andererseits zu eigen
machen kann. Wenn auch nicht alles.
Donnerstag, 23. Januar 2020
"Leb wohl, mein Herz." Helmuth James von Moltke schreibt den letzten Brief an seine Frau.
Helmuth James von Moltke gehört zu den
großen Persönlichkeiten des Widerstandes gegen den
Nationalsozialismus. Als Mitinitiator des Kreisauer Kreises wollte er
eine andere gesellschaftliche und ethische Ordnung errichten als
jene, die vom NS-Regime erzwungen wurde.
Dafür bezahlte er am 23. Januar 1945,
heute vor 75 Jahren, mit dem Leben. Er wurde hingerichtet in
Plötzensee, dem Gefängnis, in dem ich derzeit als
Gefängnisseelsorger arbeite.
Die letzten Monate vor seinem Tod stand
er noch einmal in intensivem Kontakt mit seiner Frau Freya von
Moltke. Nach der Verhaftung im Januar 1944 verbrachte Moltke die
meiste Haftzeit im Gefängnis des Konzentrationslagers Ravensbrück.
Seit dem 28. September 1944 war er in Tegel inhaftiert.
Dort half der evangelische
Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter der beständigen Gefahr
entdeckt und selbst hingerichtet zu werden, fast täglich die Briefe
zwischen Freya und Helmuth zu schmuggeln. Sie sind ein Dokument der
Liebe, publiziert als "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel.
September 1944 – Januar 1945."1
Mittwoch, 22. Januar 2020
Regeltreue ist kein christliches Primärziel. Drei Fragen zum Tagesevangelium
Eigentlich sollte
ich heute einen Gottesdienst im Haftkrankenhaus feiern. Aber durch
verschiedene Umstände sitze ich nun zu Hause und stelle die Fragen,
die sich aus dem Tagesevangelium (Mk
3,1-6) ergeben, einfach hier im Blog.
Freitag, 17. Januar 2020
"Seht das Lamm Gottes" – Kurze Gedanken zu einem Satz von Johannes dem Täufer
Ich bin gerade nicht fähig, lange
Sätze zu geistlichen Themen zu schreiben. Würde auch gern aktuelle
Bezüge zu kirchlichen und weltlichen Geschehnissen herstellen,
kann's nur nicht.
Darum bloß einige kurze Sätze zum
Evangelium am 2. Sonntag im Jahreskreis (Joh 1,29-34):
Mittwoch, 15. Januar 2020
"Die Welt ist dumm" - Eine Lyrikbetrachtung von damals für heute.
Dieser Tage habe ich nicht die Ruhe und Muße, aktuelle Texte zu schreiben, darum bringe ich ihn hier noch einmal (minimal redigiert).
Dazu passt, dass sich Ende Januar mein Ausscheiden aus dem Orden jährt. Wahrscheinlich war dieser Text schon ein Vorgeschmack auf die Entscheidung zum Austritt. Aber lest selbst:
Sonntag, 5. Januar 2020
Aufbruch – Unglaube – Veränderung. Oder: Was ich dem Kinde bringen kann
Die Geschenke der drei Weisen aus
dem Morgenland sind bekannt. Sie machten sich auf den Weg zum
neugeborenen König der Juden und brachten ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhe. So berichtet es der Evangelist Matthäus (Mt 2,1-12).
Mit Blick auf die in der Bibel überlieferte Geschichte können wir uns inspirieren lassen, was unsere Geschenke sein könnten, die wir Gott bringen.
Mittwoch, 1. Januar 2020
Erhebet die Herzen. Eucharistie am Jahresanfang
Ich liebe es, das Jahr mit einer Eucharistiefeier zu beginnen. Die Haltungen des Hörens, Betens, Singens, Kniens, Empfangens sollen mein Jahr prägen.
Heute war ich besonders berührt, als von Versöhnung und Frieden die Rede war. Aber auch die liturgischen Dialoge haben mich angesprochen: Priester und Gemeinde sagen sich am Beginn des eucharistischen Hochgebets gegenseitig Gottes Gegenwart zu. Dann fordert der Priester die Versammelten auf: „Erhebet die Herzen!“ und alle antworten: „Wir haben sie beim Herrn.“
Nur gelingt das recht selten.
Heute war ich besonders berührt, als von Versöhnung und Frieden die Rede war. Aber auch die liturgischen Dialoge haben mich angesprochen: Priester und Gemeinde sagen sich am Beginn des eucharistischen Hochgebets gegenseitig Gottes Gegenwart zu. Dann fordert der Priester die Versammelten auf: „Erhebet die Herzen!“ und alle antworten: „Wir haben sie beim Herrn.“
Nur gelingt das recht selten.
Montag, 30. Dezember 2019
Von Umbruch und Neuanfang. Geistliche Gedanken zum Jahreswechsel
Dieser Radiobeitrag ist als eine Art Mini-Feature am 31.12. um 19:05 Uhr auf rbb Kultur zu hören. Wer viel Zeit hat, kann ihn hier lesen:
Musik 1:
Leonard Cohen, "It seemed the better way" (Anfang,
Instrumental)
O-Ton 1: "Was mich
immer wieder umtreibt, ist, dass ich nicht nur einmal, sondern
mehrfach schon Äußerungen gehört habe, in denen es hieß: "Naja,
das hättste Dir ja vorher überlegen sollen, ne? Jetzt biste ja im
Gefängnis, ne?"
Der Inhaftierte Winfried, der in
Wirklichkeit einen anderen Vornamen hat, lebt seit mehr als zwei
Jahren in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee. Er hat die
Reaktionen seiner Umwelt erlebt, die meistens nicht freundlich waren:
Und das ist so 'ne Art
Abwehrhaltung gegenüber Wünschen oder Zielen, die man hier im
Vollzug erreichen möchte, um einen dadurch halt zu stoppen.
Und man braucht mir nicht sagen,
dass ich mir das hätte früher überlegen müssen, da ich seit
zweieinhalb Jahren jeden Tag 24 Stunden drüber nachdenke und es mich
quält, hier zu sein. Aber ich möchte ja auch weiterkommen, mich
weiter entwickeln, mich persönlich da rausarbeiten, ja, aber es
führt halt, es führt halt, es führt kein Weg da raus. Man muss die
Zeit absitzen und dann schauen, wie man zurecht kommt."
Samstag, 28. Dezember 2019
Von wahrer Größe. "Marriage Story" und die Heilige Familie
Es ist der beste Film, den ich in
diesem Jahr gesehen habe. Zugegeben, es waren insgesamt nicht viele
Filme, aber "Marriage Story" war wirklich toll.
Auch wenn es herzerweichend und zu
Tränen rührend war, wie dort die Liebe und die Trennung von Nicole
(Scarlett Johansson) und Charlie (Adam Driver) gezeigt wurde. Es sind
zwei, die noch im Auseinanderleben versuchen, vernünftig miteinander
umzugehen und sich gegenseitig mit Respekt zu begegnen. Doch sie
geraten in einen juristischen Kampf hinein, der mit ihren
anfänglichen Wünschen anscheinend nicht viel zu tun hat, in dem
aber jede Kleinigkeit plötzlich eine Rolle spielt.
Dienstag, 24. Dezember 2019
Ich will hier raus! - Gott will hier rein! Oder: Weihnachten macht verletzlich
Wer will dort schon hin? –
Mitten in der Provinz, nicht in der Stadt, nicht mal auf dem Dorf,
sondern irgendwo außerhalb der menschlichen Siedlungen in einem
heruntergekommenen Stall kommt das Kind zur Welt, das die Welt retten
soll.
Wer will hier schon hin? –
Keine Privatsphäre, kein Lieblingsessen, kein Internet, kein
S-Bahnhof, keine Familienzimmer, keine Weihnachtsamnestie. Hier
müssen Sie Weihnachten verbringen, im Haftkrankenhaus am Rande des
Berliner S-Bahnrings, direkt neben der Stadtautobahn.
Aber was soll ich Ihnen
sagen? Das, was Sie sich nicht ausgesucht haben, hat Gott sich
ausgesucht.
Wenn Sie sagen: Ich will
hier raus! - muss ich Ihnen antworten: Gott will hier rein.
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Geliebt 24 – Telefon in "Die Liebe im Ernstfall" von Daniela Krien
Daniela Krien (die schon im
Eingangstext zu Wort kam) beschreibt in mehreren ineinander
verwobenen Geschichten von verschiedenen Gesichtern der Liebe. Paula
und Wenzel lieben einander. Wenzel schreibt Paula regelmäßig:
Montag, 23. Dezember 2019
Geliebt 23 – Pferdeschwänze in "Monster" von Yishai Sarid
Yishai Sarids beeindruckendes Buch über
die Erinnerung an den Holocaust ist als Brief eines Tourguides an
seine Auftraggeber gehalten. Schonungslos erzählt er von seinen
Eindrücken der israelischen Gruppen, die in Polen die Lager und
Erinnerungsstätten besuchen. Hier spricht er über einen Besuch an
den Orten des Aufstands im Warschauer Ghetto:
Sonntag, 22. Dezember 2019
Geliebt 22 – Thron in "Marzahn Mon Amour" von Katja Oskamp
Eine Glanzleistung
der Menschenfreundlichkeit ist das Buch von Katja Oskamp, das in
vielen kleinen "Geschichten einer Fußpflegerin"
liebevoll die Menschen von Marzahn, dem riesigen DDR-Neubaugebiet im
Nordosten Berlins, porträtiert. Das gut eingespielte Zusammenwirken
von Stammkundschaft und Fußpflegerin zeigt sich auch als sich eine
der ersten beschriebenen Kundinnen auf dem Fußpflegestuhl
niederlässt:
Samstag, 21. Dezember 2019
Josef überlegt, liebt und lebt in Gemeinschaft. Drei Adventsgedanken
In der Adventszeit erscheinen viele
Personen rings um die Geburt Jesu, die uns eine Hilfestellung geben
können zu unserem Gehen durch den Advent. Heute ist es Josef, der
seine schwangere Freundin eigentlich verlassen will, sich aber noch
einmal anders entscheidet, als ihm ein Engel des Herrn rät, Maria zu
sich zu nehmen.
1. Josef denkt nach
Das klingt normal, ist es aber nicht.
Wenn ich nur daran denke, wie oft ich
spontan Sachen entscheide oder impulsiv reagiere, wenn ich eine
schlechte Nachricht mitbekomme.
Aber Josef ist einer, der sich die
Entscheidung nicht leicht macht. Ob er betet, ist nicht überliefert. Er bricht es jedenfalls nicht übers Knie,
sondern überlegt noch einmal. Er scheint fast schon entschlossen,
als noch eine Wende kommt. Als er Gottes Stimme das erste Mal hörte, brachte sie ihm Frieden, sagt ein anderer Joseph, nämlich Anthony Hopkins als Benedikt XVI. in dem aktuellen Film "Die zwei Päpste". Manchmal ist der Friede tatsächlich ein Kriterium. Aber nicht immer hören wir Gott so. Manchmal kann die Stimme Gottes auch in Unruhe versetzen. So war es sicher auch bei dem biblischen Josef, als der Engel Gottes ihm bei der Entscheidung half.
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