Was wäre von den beiden Tagesheiligen Petrus und Paulus zu lernen für unsere konkrete Kirche in diesem konkreten Moment ihrer Geschichte?
Zum Einen ist da immer wieder die Frage nach dem Verhältnis der Kirche zu allen anderen Menschen und Menschengruppen.
Bei Paulus finden sich exemplarisch zwei spannende Aussagen, die auf den ersten Blick allerdings widersprüchlich erscheinen.
Im Römerbrief fordert er die Adressaten auf: „gleicht euch nicht dieser Welt an" (12,2). Mithin: Christen, unterscheidet euch vom Rest, seid anders, werdet nicht wie die Anderen!
Doch den Korinthern gesteht er:
„Allen bin ich alles geworden, um auf jeden Fall einige zu retten." (1Kor 9,22)
Samstag, 29. Juni 2019
Sonntag, 23. Juni 2019
Johannes der ... - Zum Geburtstag eines Mannes, der seine Rolle in der Welt gefunden hat
Eigentlich hätte er auch Johannes der Lebensberater heißen können. Immerhin hat er den Zöllnern und den Soldaten gute Tipps für ihre Lebensführung gegeben (vgl. Lk 3,12-14).
Oder Johannes der Wütende, hat er die Pharisäer und Sadduzäer doch beschimpft, dass die Köpfe glühten (vgl. 3,7ff). Oder Johannes der Verheißene, von dem schon der Prophet Jesaja sprach (Lk3,3ff). Oder Johannes der Prediger, Johannes der Enthauptete oder oder oder.
Nichts von alledem gab den Ausschlag für seinen Eingang in die biblischen Geschichten.
Was ihn für die ersten Christen so einzigartig machte, war das Taufen.
Er lebte und wirkte in der Wüste und am Jordan und „verkündete die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden" (Lk 3,3).
Also wurde er - der Täufer.
Neben all dem, was ich in meinem Leben auch noch bin - Vater, Ehemann, Seelsorger, Deutscher, Brillenträger und Wurstesser - frage ich mich manchmal, als wer ich einem Menschen im Gedächtnis bleibe.
Johannes der Täufer hatte seine Rolle gefunden. Er ist als Vorläufer Jesu für immer der Täufer.
Wir Lebenden müssen uns das noch fragen und können es auch bisweilen mitgestalten:
Was macht mein Leben aus?
Als wer werde ich meinem Gegenüber im Gedächtnis bleiben?
Welche Rolle prägt mich am meisten?
Oder Johannes der Wütende, hat er die Pharisäer und Sadduzäer doch beschimpft, dass die Köpfe glühten (vgl. 3,7ff). Oder Johannes der Verheißene, von dem schon der Prophet Jesaja sprach (Lk3,3ff). Oder Johannes der Prediger, Johannes der Enthauptete oder oder oder.
Nichts von alledem gab den Ausschlag für seinen Eingang in die biblischen Geschichten.
Was bleibt von mir? Zinnowitz, 2019. |
Er lebte und wirkte in der Wüste und am Jordan und „verkündete die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden" (Lk 3,3).
Also wurde er - der Täufer.
Neben all dem, was ich in meinem Leben auch noch bin - Vater, Ehemann, Seelsorger, Deutscher, Brillenträger und Wurstesser - frage ich mich manchmal, als wer ich einem Menschen im Gedächtnis bleibe.
Johannes der Täufer hatte seine Rolle gefunden. Er ist als Vorläufer Jesu für immer der Täufer.
Wir Lebenden müssen uns das noch fragen und können es auch bisweilen mitgestalten:
Was macht mein Leben aus?
Als wer werde ich meinem Gegenüber im Gedächtnis bleiben?
Welche Rolle prägt mich am meisten?
Samstag, 22. Juni 2019
"Herrscher der Welt, lass mich heute Glück haben!" Ein Aspekt des alttestamentlichen Gottesbildes
Ich bin in Hinsicht auf biblische
Befunde nicht mehr so leicht zu überraschen.
Aber mit Blick auf
das Gottesbild der Bibel wurde mir vor einiger Zeit noch einmal etwas
Ungeheuerliches klar, das ich aus Anlass der Frage Jesu "Für
wen haltet ihr mich?" (Lk 9,20 im
Sonntagsevangelium)
benennen will.
Wer sich in der
Glaubenswelt der Nachbarvölker Israels umschaut, wird die Abdrücke
jener Gottesvorstellungen auch in der Bibel wiederfinden. In der
alttestamentlichen Darstellung Gottes gehen verschiedene Anteile von
Götterpersönlichkeiten aus dem Umfeld der Bibel auf, wie Jack
Miles in seiner Biographie Gottes aus den 1990ern schreibt.
Zwei
dieser Anteile seien hier genannt.
Mittwoch, 19. Juni 2019
Fronleichnam und die Zerstörung der Globuli
Als in der letzten Sendung des Neo
Magazin Royale über die Homöopathie hergezogen wurde, musste ich
kurz schmunzeln. Insgesamt war die Sendung ja gar nicht sehr aufs
Schmunzeln angelegt, sondern auf Böhmermann-typische Weise
aufklärerisch-provokativ, nicht zuletzt durch den Besuch von Rezo
und einem politisch angehauchten Gespräch.
Grund meines Schmunzelns aber war der
Gedanke an die mögliche innere Verbindung zwischen den geschmähten
Globuli und dem heutigen Hochfest Fronleichnam, bei dem Katholiken
Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein verehren.
Samstag, 15. Juni 2019
Living out of the box. Predigt am Dreifaltigkeitssonntag.
Wenn wir Christen heute die Heilige
Dreifaltigkeit feiern, dann frage ich mich, ob das etwas ist, was uns
heute etwas Wichtiges zu sagen hat. Ich versuche es - passenderweise - in drei Schritten.
1. Vater
Ich weiß nicht, was in Ihnen für
Gedanken und Gefühle entstehen, wenn ich "Vater" sage.
Vielleicht denken Sie "Idiot". Oder Sie bringen "Vater"
mit "Vorbild" zusammen. Vielleicht denken Sie aber auch:
"Trinker".
Vielleicht entsteht Sehnsucht. Oder
Wehmut. Oder aber Wut. Oder Traurigkeit.
Jeder macht andere Erfahrungen mit dem
Wort Vater.
Mir fällt bei dem Wort "Vater"
ein Mann ein, der vor vier Jahren mit dem großen Strom der
Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kam und den ich in einem
Nest in Brandenburg kennengelernt habe, als ich ein paar
Freizeitangebote für die Bewohner der dortigen Unterkunft machen
wollte.
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Samstag, 8. Juni 2019
Pfingsten: Die "stages of change" und der Geist
"Viele Beratungsaktivitäten
basieren auf der Annahme, dass die Adressaten bereit sind, ihr
Verhalten zu ändern ... Dies trifft aber nur für einen ganz kleinen
Teil der Bevölkerung wirklich zu. Wesentlich mehr Menschen befinden
sich zum Zeitpunkt der Beratung in Stadien der Absichtslosigkeit
(Precontemplation) oder der Absichtsbildung (Contemplation)."1
Mit anderen Worten: Es passiert nichts,
weil die Betreffenden einfach nicht motiviert sind. Veränderung ist
gar nicht gewollt, es existiert kein Problembewusstsein.
Wer mit diesen Gedanken aus der
Motivationspsychologie im Hinterkopf auf die Anfänge der Kirche
schaut, wie sie am Pfingstfest gefeiert werden, dem kann ein Licht
aufgehen.
Mittwoch, 5. Juni 2019
Komm, großer Verflüssiger
Jede Rede aber, wenn sie nur einmal geschrieben,
treibt sich allerorts umher,
gleicherweise bei denen, die sie verstehen,
wie auch bei denen, für die sie nicht passt,
und sie selber weiß nicht, zu wem sie reden soll, zu wem nicht.
(Platon, Phaidros)
Im Lebensatem Gottes wohnt das Wort
Als Hauch verhallt auf Golgotha
Geronnen zur Schrift durchwohnt es die Zeit.
Komm, Geisthauch, großer Verflüssiger
Mach das Wort lebendig in meiner Brust
Bring es zurück ins Gespräch
Lass schmelzen die Härten, durchtöne den Sturm
Küss wach die Seiten, die Zeilen, das Wort
Entdecke es mir im Meer der Zeit
Und kräftige mich mit seiner Kraft
Durch dich lebt es neu von Mensch zu Mensch
Trauben vor der Reife. Gau Algesheim, 2019. |
Samstag, 1. Juni 2019
Ohne Legitimität und Glaubwürdigkeit. Kirchen und Parteien im Angesicht der Jugend
Kirchen und Parteien haben
die Jugend verloren.
In den Gotteshäusern ist
das schon seit langer Zeit zu besichtigen. Für die in Parteien
organisierte Politik zeigt sich der Riss gerade besonders schmerzhaft
anhand der Fridays for future, des Wahlverhaltens der
Erstwählerschaft, der Debatte um die Uploadfilter und zuletzt der
Rezo-AKK-Krise.
Auch wenn SPD und CDU sich
weiterhin Volksparteien nennen und die Kirchen sich in manchen
Regionen immer noch volkskirchlich fühlen, würde ein gesunder
Realismus doch gebieten, den Relevanzverlust der großen
Institutionen einfach anzuerkennen.
Mittwoch, 29. Mai 2019
Die fehlende Sehnsucht nach dem Himmel. Predigtgedanken an Christi Himmelfahrt
Ich
denke gerade oft an einen Zeitungsartikel, den ich vor einigen Wochen
las und in dem es darum ging, wie Menschen in Deutschland sich selbst
und die Gesellschaft sehen. Es handelte sich um einen Bericht zur so
genannten "Vermächtnisstudie".1
Demnach zeichnet die
Deutschen aus, dass sie gern stabile Verhältnisse haben, aber keine
großen Visionen. Es geht ihnen eher um ein "überschaubares
Glück, eine Idylle im Kleinformat."2
Eine der Verantwortlichen
für die Studie, die Soziologin Jutta Allmendinger, sagt dazu, die
Deutsche seien "Menschen, die das Behagliche und Maßvolle
schätzen."3
Alle haben "ihre kleinen Kokons" und richten sich
darin irgendwie ein. Insgesamt geht aus der Studie eine
erstaunliche Gelassenheit der Deutschen in Bezug auf die aktuellen
sozialen und politischen Verhältnisse hervor.
Eng begrenztes Licht. An der Dahme bei Zeuthen, 2019. |
Angesichts der vielen
Krisen, in der sich die Weltpolitik und auch die deutsche politische
Landschaft gerade befinden, ist das erstaunlich. Denn Grund für
Sorge und Unruhe gibt es ja mehr als genug und nicht selten wird
medial auch genau diese Haltung befeuert.
Aus theologischer Sicht
halte ich aber für besonders bemerkenswert, dass dieses Tendenz,
sich im Nahbereich des Alltäglichen einzurichten, einhergeht mit
einer zunehmenden Relevanzlosigkeit des Religiösen.
Die Frage nach Gott oder
einem überfassenden Sinn, die großen Fragen nach Leben und Tod
verschwinden hinter dem hohen Wert einer ruhigen gesicherten Existenz
mit Jahresurlaub und Bonusmeilen.
Ist also, so frage ich
mich am Fest Christi Himmelfahrt, die Sehnsucht nach dem Himmel
hierzulande verschwunden? Gibt es keinen Wunsch mehr nach einem
Aufbruch aus der Welt, wenn wir hier nur genug zum Leben finden?
Es scheint fast so.
Ein Sinn des heutigen
Festes dagegen ist das Vertrauen darauf, dass Jesus Christus uns nur
vorangegangen ist, dass wir nachkommen und dass also auch unsere
Zukunft der Himmel ist.
Wer sich diesen weiten
Horizont aber nicht zu eigen macht, wird sich in der eigenen Enge
festhalten.
Mir selbst fehlt in dieser
ganzen Behaglichkeit das Abenteuerliche.
Grenzen austesten, sich
mit dem Status quo nicht zufrieden geben und ausbrechen aus dem
Trott, das sind Dinge, die mir sehr wichtig sind.
Auch dafür steht
Himmelfahrt für mich – das Leben besteht nicht aus Rumhängen im
eigenen Bett und nicht aus dem Kleben am Sessel, sondern im Aufbruch.
Vielleicht ist das ein
Gedanke, der Ihnen hier im Knast auch nicht ganz fremd ist.
Die meisten können diese
vier Wände, die Fenster mit den Gittern, die zuknallenden Türen,
den immer gleichen Hofgang kaum mehr ertragen.
Die Hoffnung darauf, dass
es irgendwann noch mehr gibt, ist hier essenziell. Im Gefängnis lebt
der Wunsch nach Freiheit, nach einem weiten Horizont, nach dem
Jenseits – auch wenn es vorerst nur das Jenseits der Mauern ist.
Vielleicht ist der
Aufstieg Jesu aus der Enge der irdischen Möglichkeiten, vielleicht
ist Himmelfahrt also auch ein sehr passendes Fest im Gefängnis.
Ich wünsche Ihnen diese
Sehnsucht, die Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi so
ausdrückte:
"Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach
dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem
Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. ...
Denn unsere Heimat ist im Himmel." (Phil 3,13f.20)
Richten Sie sich weder im
Gefängnis noch in der Welt zu sehr ein!
Gott ruft Sie hinaus ins
Weite – jetzt in diesem Leben und danach ebenso.
Amen
Sehnsucht nach Licht. Universitätsbibliothek Warschau, 2015. |
1 "Die
Vermächtnis-Studie
versteht sich als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen in
allen Lebensbereichen – wie Arbeit, Wohnen, Liebe, Gesundheit,
Kommunikation, Besitz. Sie wurde 2015 zum ersten Mal durchgeführt.
Nun haben DIE ZEIT, das Wissenschaftszentrum Berlin für
Sozialforschung (WZB) und das infas institut für angewandte
Sozialwissenschaft eine Neuauflage der Studie entwickelt und
finanziert. Für die neue Runde befragten Interviewer 2.070
Bürgerinnen und Bürger in Einzelgesprächen. Die Ergebnisse wurden
im Mai 2019 vorgestellt". In:
https://www.zeit.de/serie/das-vermaechtnis
2 DIE
ZEIT Nr. 20 vom 09. Mai 2019, 69. S.a.
https://www.zeit.de/2019/20/vermaechtnis-studie-deutschland-ergebnisse-gelassenheit-heimat-vertrauen
3 Alle
Zitate von J. Allmendinger ebenda, 70.
Mittwoch, 22. Mai 2019
Großartiges Ich. Unverlierbare Würde. Über Maria und das Grundgesetz
Das Grundgesetz feiert Geburtstag.
„Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ (Lk 1,49)
Ich mag das Grundgesetz, also
gratuliere ich gern.
Besonders denke ich, wie so Viele, an
den ersten Satz.
"Die Würde des Menschen ist
unantastbar." (Art 1, Abs. 1, Satz 1, GG)
Ein hoher Anspruch, der trotz der
scheinbar einfachen Botschaft missverständlich bleibt.
So richtig klar ist schließlich nicht,
was genau diese Würde überhaupt sein soll.
Mir fällt dazu ein Satz ein, den der
Evangelist Lukas Maria in den Mund legt.
„Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ (Lk 1,49)
Freitag, 17. Mai 2019
Leichte Liebe, schwere Liebe. Über religiöse Erkennungszeichen
Manchmal erlebe ich unter muslimischen
Inhaftierten Diskussionen dieser Art: Wann ist jemand ein echter Muslim? Wenn er kein Schweinefleisch isst? Wenn er fünfmal am Tag
betet? Wenn er im Ramadan fastet? Wenn er den Koran wörtlich
versteht?
Dienstag, 14. Mai 2019
Lektionen voll undifferenzierter Hybris. Unzufriedenheit nach einem Buch von Y. N. Harari
Alle lesen ihn, alle reden
von ihm – also dachte ich vor einigen Monaten, dass ich doch auch
mal so ein Buch von Yuval Noah Harari lesen müsste. Da fiel mir in
der Öffentlichen Bibliothek "21 Lektionen für das 21.
Jahrhundert"1
in die Hände. Und ich nahm an, nun könnte ich eine Bildungslücke
stopfen.
Denn wenn es um die großen
Fragen unserer Zeit, also um Krieg und Frieden, Gerechtigkeit,
Technologie, Digitalisierung, Migration, Terrorismus etc. geht, kann
ich mir hier, so meine Hoffnung, sicher einen guten Einblick
verschaffen.
Aber ich wurde schwer
enttäuscht. Und ich schreibe hier im Normalfall positiv-kritisch,
über Dinge, die mir gefallen und die ich empfehlen will. Nur ist
hier eine Ausnahme angebracht.
Samstag, 11. Mai 2019
Christus ist mitten unter uns – Zur Theologie des Gottesdienstes
Gott will bei den Menschen
sein – das ist der Kern des Christentums.
Es ist der Kern von
Weihnachten, wenn wir feiern, dass Gottes Wort ein Mensch wird.
Es ist der Kern des
Osterfestes, wenn wir feiern, dass Jesus über den Tod hinaus bei den
Seinen ist.
Es ist der Kern von
Pfingsten, wenn wir feiern, dass Gott im Heiligen Geist bei uns
bleibt.
Immerzu feiert die
Christenheit Gottes Gegenwart unter den Menschen.
Es ist auch der Kern
unseres Gottesdienstes.
Heute sollen darum ein
paar Gedanken zur Feier unserer Gottesdienste als Predigt dienen.
1. Versammlung
Das, womit der
Gottesdienst beginnt, ist kein Wort, ist kein Lied, ist kein Zeichen.
Das Erste ist, dass wir
zusammenkommen.
Denn wir können zwar auch
jeder allein für sich beten, doch am Sonntag kommen wir zusammen.
Wir stehen dann nicht allein vor Gott, sondern als Gemeinde.
Versammelt und vorbereitet. Erkner, 2018. |
Sie sind hier, im
Gottesdienstraum der JVA Plötzensee, die versammelte Gemeinde Gottes
an diesem Sonntag. Ob Sie nun getauft sind oder nicht, ob Sie glauben
oder nicht, ob Sie katholisch sind oder evangelisch oder orthodox –
Sie haben sich zum Gottesdienst versammelt.
Weshalb Sie genau gekommen
sind, ist deshalb auch gar nicht so wichtig – wichtig ist, dass wir
uns heute hier versammelt haben.
Denn Gott meint und ruft
zwar jeden einzeln und persönlich, und wir können auch einzeln und
persönlich mit ihm in Kontakt kommen, aber darüber hinaus ruft er
uns zur Gemeinschaft. Wir sollen nicht allein bleiben.
Vielmehr will Gott die
Menschen zusammenrufen, er will in ihrer Mitte wohnen, er will, wie
es die Osterberichte zeigen, in ihre Gemeinschaft kommen und
Gemeinschaft unter uns Menschen stiften.
Und wenn wir uns
versammelt haben, dann können wir uns auch unter ein gemeinsames
Zeichen stellen. Für uns Christen ist es das Kreuzzeichen – das
Zeichen, das uns verbindet und zeigt, dass wir zu Jesus Christus
stehen, der sich aus Liebe für die Menschen hat kreuzigen lassen.
Unter diesem Zeichen haben
wir uns versammelt.
Wir bleiben nicht allein,
weil wir mit den Anderen zusammen hier stehen. Und wir bleiben nicht
allein, weil Gott dann selbst zu uns kommen will.
2. Sich selbst vor Gott
bringen
Wenn wir uns versammeln,
dann kommt jeder anders in diesen Raum. Der eine hat gut geschlafen,
der andere nur mit schweren Medikamenten, einer schaut auf die
Lockerung, die hoffentlich bald kommt, ein anderer macht sich Sorgen
um die Familie draußen, einer musste gerade noch einen Konflikt auf
der Piste austragen, ein anderer konnte in Ruhe den Tag beginnen...
Wir kommen mit
unterschiedlichen Gefühlen und Erfahrungen, mit unterschiedlichen
Hoffnungen und Ängsten. Und all das können wir mitbringen in diesen
Gottesdienst.
Wer sich am Beginn des
Gottesdienstes etwas Zeit nimmt und in Stille vor Gott tritt, der
sammelt sich sozusagen selbst ein und legt all das, was er ist und
hat, vor Gott hin.
All das, was in einem
Leben misslungen ist, was zerbrochen ist, was steckengeblieben ist,
aber auch das, was gelungen ist, was leuchtet und glänzt, was nur so
schnurrt, kann dann beim Gottesdienst dabei sein.
Jeder ist gerufen, als
ganzer Mensch in der Gegenwart da zu sein. Denn nur wenn wir ganz da
sind, kann auch Gott ganz bei uns sein – wenn wir verstreut und mit
vielen anderen Dingen beschäftigt sind, werden wir auch Gottes
Gegenwart nicht bemerken. (Das gilt natürlich nicht nur für den
Gottesdienst, sondern auch sonst...)
3. Lobgesang und Gebet
In dieser gesammelten
Gegenwart kommen wir natürlich auch zu Gesang und Gebet zusammen.
Wir wenden uns Gott zu und
nehmen Kontakt mit ihm auf. So tasten wir über uns hinaus und
hoffen, dass da jemand ist, der uns hört.
Besonders intensiv kann
dieses Gebet werden, wenn es gesungen wird. Nicht nur ein Stammeln
und Verhaspeln, sondern der Versuch, Gott mit Klang und Stimme zu
erreichen.
Zwar könnten wir auch
aussprechen, was uns wichtig ist, aber wenn wir singen, dann klingt
es im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal völlig anders.
Denn der Ton macht, wie
man so sagt, die Musik. Und er macht eben auch das Gebet.
Wenn wir die Stimme
erheben, dann gehen wir über uns hinaus – wir strengen uns an, wir
bringen unser Anliegen zum Klingen, wir bringen es festlicher und
feierlicher vor.
Boden. Auch bereitet. Sonnenallee, Berlin, 2019. |
Schließlich kann uns der
Gesang auch in meditative Stimmung versetzen – wie das bei den
Troparien oder dem Trishagion der byzantinischen Liturgie in der
Ostkirche der Fall ist, oder auch bei den vielmals wiederholten
Gesängen in Taizé.
Deshalb singen wir immer
wieder während des Gottesdienstes – es ist das gemeinsame Gebet,
ist ein Einstimmen in das Gebet der vielen Mitfeiernden – und, wie
wiederum in der Ostkirche stark betont wird, es ist ein Mitsingen mit
den Chören der Engel im Himmel. Vielleicht klingt es nicht so
himmlisch, aber wir dürfen uns einklinken und darauf vertrauen, dass
wir in einem gewaltigen Chor mitsingen und Gott loben.
4 Hören und Bekennen
Stille und Besinnung
gehören also in den Gottesdienst ebenso wie Gesang und Gebet.
Aber nun kommt ein
weiterer Punkt, den viele mit Kirche besonders stark assoziieren: das
Hören.
Und natürlich sind es die
Lesungen aus der Heiligen Schrift, die im Zentrum stehen, wenn es um
das Hören geht. Wenn wir aus den Schriften der Bibel vorgelesen
bekommen, dann wird eine Verbindung hergestellt zwischen uns und den
damals Lebenden mit ihren Gotteserfahrungen. Das, was damals eine
Bedeutung hatte, kann es auch für uns haben.
Denn wir glauben:
Christus ist in seinem
Wort mitten unter uns.
In diesem Sinne wurde die
Bibel auch als eine Art Brief Gottes an den Lesenden oder Hörenden
bezeichnet. Denn so wie ein Briefschreiber in dem anwesend ist, was
er ganz persönlich einem anderen schreibt, so ist auch Gott
anwesend, wenn wir biblische Lesungen hören.
Und noch mehr: Gott
schenkt sich uns in seinem Wort.
Denn beim Hören können wir uns darauf verlassen, dass er uns meint und uns
aufrichten oder aufrütteln, trösten oder ermahnen will. Dass er uns
einlädt, uns ansprechen zu lassen und verwandelt zu werden.
Gott schenkt sich auch in
Brot und Wein. Das ist sozusagen die handfeste Variante. Wo er
einsteht für das, was er uns im Wort verspricht. Die Verwirklichung
des Wortes in Fleisch und Blut.
Das können wir hier nicht
in dieser Form feiern.
Aber beides – Gottes
Anwesenheit im Wort und seine Anwesenheit im Mahl – soll uns
verwandeln.
Dann können wir antworten
auf dieses Wort, das Gott uns an diesem Tag gesagt hat.
Klassischerweise kommt
nach der Auslegung der Lesungen (also der Predigt) deshalb das
Glaubensbekenntnis. Das Bekenntnis ist sozusagen die bestätigende
Antwort auf das, was Gott durch die Bibel zu den Feiernden sagt.
5 Versöhnung
Ein weiteres Element des
Gottesdienstes ist die Versöhnung, der Friedensgruß.
Dazu lädt Gott uns ein:
Dass wir uns mit einander und mit ihm versöhnen.
Es geht also wiederum
nicht nur um Gott und mich allein, sondern darum, dass wir mit den
Menschen um uns in ein besseres Verhältnis kommen.
In einem Gottesdienst wird
dann nicht ausdiskutiert, was schief gelaufen ist, man wird nicht
anklagen und verteidigen oder bitterlich um Verzeihung bitten. Aber
man kann ein Zeichen setzen.
Es ist ein Zeichen des
guten Willens, eine Geste. Wir reichen einander die Hand.
Man könnte sagen: NUR
eine Geste, NUR ein Zeichen. Man kann aber auch sagen: Immerhin ein
Zeichen, immerhin ein Anfang.
Und tatsächlich bitten
wir Gott ja um den Frieden, wir hoffen auf Kraft für einen neuen
Anfang mit denen, die um uns herum sind. Schließlich hoffen wir,
dass wir diesen Frieden auch ausbreiten können.
Damit erbitten wir
eigentlich eine Aufgabe von Gott. Er soll uns seinen Frieden geben,
damit wir friedliche Menschen werden.
Ob das nun jemandem im
Gottesdienst Kraft gibt – oder ob es vielmehr Kraft kostet, das ist
eine interessante Frage, die ich an anderer Stelle gern noch einmal
näher betrachten will.
Im weiteren Sinne ist das
sogar eine politische Aufgabe. Der Frieden, den wir im Gottesdienst
nur in der Geste des Friedensgrußes weitergeben, soll außerhalb des
Gottesdienstes unser Leben bestimmen.
Nicht dass das oft
geklappt hätte in der Geschichte der Kirche: Aber immerhin ist
dieser Wunsch des Friedens eines der durchgehenden Worte, die der
auferstandene Jesus in vielen Erscheinungsgeschichten sagt. Es
scheint damals genauso wie heute nötig gewesen zu sein, Frieden
zu empfangen und Frieden weiterzugeben.
Was sonst? Moabit, Berlin, 2016. |
6 Für Andere bitten
An den Friedensgruß
schließen sich bei uns die Bitten an.
Versöhnt mit Gott und den
Menschen können wir das vorbringen, was uns auf dem Herzen liegt.
Sicher sind das in vielen
Fällen Anliegen, die uns betreffen oder jene, mit denen wir eng
verbunden sind.
Aber die Bitten sind auch
ein Moment im Gottesdienst, wo sich die Gemeinde, wo sich die
einzelne Person öffnen kann für Dinge, die sonst außerhalb des
eigenen Horizonts liegen.
Auch alle anderen werden nun mit in den Blick genommen, besonders die Notleidenden, die Schwachen,
diejenigen, die nicht glauben können oder die bei allen anderen
hinten runterfallen.
Ich persönlich finde es
deshalb sehr schön, wenn in Gemeindegottesdiensten bisweilen auch an
jene erinnert werden, die im Gefängnis sitzen. Wer denkt sonst schon
in dieser Weise an Sie – außer Ihren Angehörigen?
Und auch Sie können hier
an jene denken, die sonst vergessen werden. Oder an die, die unsere
Bitten besonders nötig haben.
Hinter der Bitte steht die
Einsicht, dass wir nicht alles selber schaffen.
So wenden wir uns an
jemandem, dem wir zutrauen, dass unser Anliegen bei ihm gut
aufgehoben ist.
Wenn wir unsere Bitte vor
Gott formulieren, vertrauen wir ihm diese Sache oder diese Person an.
Weil wir ihn gegenwärtig glauben, legen wir ihm das vor, was uns
bewegt.
Damit geben wir Sorge und Angst aus der Hand, damit sie uns nicht mehr so
stark bedrängen wie vielleicht zuvor.
Am Rande sei erwähnt:
Eine Hochform des Bittgebets stellt das Vaterunser dar. Und hier
fällt auf, dass die Hälfte der Bitten sich auf etwas beziehen, das
eigentlich Gott betrifft – „geheiligt werde Dein Name, Dein Reich
komme, Dein Wille geschehe." In diesen Formulierungen zeigt sich,
dass das klassische Bittgebet nicht um sich selbst und die eigene
kleine Welt kreist, sondern sich öffnet für Andere.
7. Sendung
Am
Schluss steht schließlich die Sendung.
Nichts
anderes nämlich ist der Segen: Er ist das Ausgesendetwerden in die
Welt, damit das, was im Gottesdienst an uns geschehen ist, auch eine
Auswirkung in unserem Alltag und unseren Beziehungen hat.
Gott
wollte uns bestärken und ausrichten, trösten und halten, damit wir
nun in seinem Sinne leben und handeln können.
Der
Segen ist ein Auftrag. Und er steht unter demselben Zeichen wie der
Beginn des Gottesdienstes: Wir werden unter dem Zeichen des Kreuzes
in die Welt gesandt: Liebe bedeutet Schwachheit, aber Liebe
überwindet vieles, was wir mit Gewalt und Willen nicht erreichen
können. Liebe ist stärker als Leid und Tod.
Der
Segen verheißt uns, dass wir Gottes Gegenwart auch dort entdecken
können, dort in der Welt, wo unser Alltag ist. Dort, wo Leid und
Ärger, Tod und Abschied, Trauer und Angst und Versagen sind.
So werden wir gesandt als Gesammelte, als Hörende, als Lobende, als
Bekennende und nicht zuletzt als Boten des Friedens. Und hoffentlich auch als Verwandelte und Erneuerte, obwohl wir doch zu oft die Alten
bleiben.
--
Mehr zu Eucharistie und Wortgottesdienst hier, mehr zum Liturgieablauf hier, mehr zur Hirtenthematik des Sonntags hier und hier, mehr zum Muttertag hier.
--
Mehr zu Eucharistie und Wortgottesdienst hier, mehr zum Liturgieablauf hier, mehr zur Hirtenthematik des Sonntags hier und hier, mehr zum Muttertag hier.
Erneuerung. Kirche in Niedergrunstedt, 2017. |
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Mittwoch, 8. Mai 2019
"Bin ich das gewesen?" Arno Geiger und die Ambivalenzen des Kriegsendes
In Arno Geigers letztem Roman verbringt
der österreichische Soldat Veit den größten Teil des Zweiten
Weltkriegs auf dem Land im Salzkammergut. Dort lebt er "Unter
der Drachenwand" (so der Buchtitel) und unter der ständigen
Angst, doch noch für verwendungsfähig erklärt und erneut
eingezogen zu werden.
Während einer Diskussion mit seinem in
der Ortsverwaltung eingesetzten Onkel versucht er in einem kritischen
Ausfall sich vom fernen Krieg innerlich zu distanzieren. Aber der
Onkel steht dagegen – und schließlich gibt Veit zu:
Samstag, 4. Mai 2019
Jesus lieben. Überforderung oder Einladung?
Wie oft hat mich diese
Frage überfordert!
"Liebst du mich
mehr als diese?" (Joh 21,15)
Wann immer ich in
der Vergangenheit bei Schriftbetrachtungen oder Exerzitien mit dieser
Frage Jesu an Petrus aus dem heutigen Sonntagsevangelium
(Joh 21,1-19) konfrontiert war, fühlte ich mich in der Pflicht. Damals, als
Seminarist oder Ordensmann, hatte ich das Bedürfnis, ebenso wie
Petrus antworten zu können. Und hinter dem Bedürfnis stand ein
unausgesprochener Druck, genauso müsse es sein – wenn ich Jesus
folgen will, dann muss ich auf die Frage nach der Liebe auch
antworten können wie der Erste der Apostel: "Ja,
Herr, du weißt, dass ich dich liebe."
(Joh 21,15)
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