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Dienstag, 11. Februar 2020

Politik vs. Familie. Im Gedenken an Nelson Mandela

Welche Prioritäten setzt ein Freiheitskämpfer, wenn er zugleich noch eine Familie hat?

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Freilassung von Nelson Mandela aus seiner Haft am 11. Februar 1990 möchte ich diesen Gedanken aus seiner Autobiographie aufgreifen.

Nach einigen Jahren der Arbeit als Anwalt und der politischen Tätigkeit in Johannesburg besuchte Mandela seine Mutter in der alten Heimat und fragte sich, wie er selbst gesteht "nicht zum erstenmal -, ob es gerechtfertigt sei, das Wohlergehen der eigenen Familie zu vernachlässigen, um für das Wohlergehen anderer zu kämpfen."1

Samstag, 8. Februar 2020

Was für ein Licht? - Was für ein Licht! Drei Reflexionen zu Mt 5,14

"Ihr seid das Licht der Welt." (Mt 5,14), sagt Jesus im Evangelium des Sonntags (Mt 5,13-16).

1.
Es muss am Mittwoch eine Menge geborstener Leuchtstoffröhren im Thüringer Landtag gegeben haben.
Jedenfalls kann ich mir nur so die moralische Verdunkelung erklären, die sich in den Fraktionen von CDU und FDP breitgemacht hatte. Blindheit und Borniertheit waren anscheinend so groß, dass die Abgeordneten dieser beiden Parteien sich lieber für ein Spiel mit Nazis entschieden haben, als den gemütlich-linken Ramelow zu wählen.

Montag, 30. Dezember 2019

Von Umbruch und Neuanfang. Geistliche Gedanken zum Jahreswechsel

Dieser Radiobeitrag ist als eine Art Mini-Feature am 31.12. um 19:05 Uhr auf rbb Kultur zu hören. Wer viel Zeit hat, kann ihn hier lesen:


Musik 1: Leonard Cohen, "It seemed the better way" (Anfang, Instrumental)

O-Ton 1: "Was mich immer wieder umtreibt, ist, dass ich nicht nur einmal, sondern mehrfach schon Äußerungen gehört habe, in denen es hieß: "Naja, das hättste Dir ja vorher überlegen sollen, ne? Jetzt biste ja im Gefängnis, ne?"

Der Inhaftierte Winfried, der in Wirklichkeit einen anderen Vornamen hat, lebt seit mehr als zwei Jahren in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee. Er hat die Reaktionen seiner Umwelt erlebt, die meistens nicht freundlich waren:

Und das ist so 'ne Art Abwehrhaltung gegenüber Wünschen oder Zielen, die man hier im Vollzug erreichen möchte, um einen dadurch halt zu stoppen.
Und man braucht mir nicht sagen, dass ich mir das hätte früher überlegen müssen, da ich seit zweieinhalb Jahren jeden Tag 24 Stunden drüber nachdenke und es mich quält, hier zu sein. Aber ich möchte ja auch weiterkommen, mich weiter entwickeln, mich persönlich da rausarbeiten, ja, aber es führt halt, es führt halt, es führt kein Weg da raus. Man muss die Zeit absitzen und dann schauen, wie man zurecht kommt."

Sonntag, 15. Dezember 2019

Dürfen wir uns denn freuen? Notiz zum Dritten Advent

Johannes der Täufer stellt die entscheidende Frage an Jesus:
"Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten?" (Mt 11,3)

Oder anders gefragt: Ist denn Grund zur Freude da? Bist du der Messias? Sind die Erfolge groß genug? Ist das Entscheidende endlich passiert? Können wir aufatmen?

Wenn wir heute den Sonntag "Gaudete" feiern, also "Freut euch!", dann stellt sich diese Frage durchaus ernsthaft: Dürfen wir uns denn freuen?
Können wir uns freuen angesichts der Weltlage, angesichts der Armut, angesichts der Wohnungsnot, angesichts der Klimaveränderungen...?
Ist das Schlechte nicht so viel stärker und größer als das Gute?

Montag, 9. Dezember 2019

Geliebt 9 – Psalmen in "Geronimo" von Leon De Winter

Die Geschichte der Ermordung Osama bin Ladens wird bei Leon De Winter eingebettet in einen größeren Rahmen, der teils Drama, teils Thriller, teils Sozialstudie und teils Liebesgeschichte ist. Nachdem die Amerikaner ihr Werk im pakistanischen Abbottabad vollbracht haben, spinnt der Autor die Geschichte weiter, in der es um ein gerettetes muslimisches Mädchen im Haus pakistanischer Christen geht:

Samstag, 9. November 2019

In Freude und Bitterkeit: Die Erinnerung an den 09. November 1989.

Die Erinnerung an das große Ereignis von 1989 ist in diesem Jahr von Enttäuschung durchsetzt.

Enttäuscht sind die Ossis über jahrelang fehlende Wertschätzung, enttäuscht sind die Wessis über die Undankbarkeit nach massiven Investitionen in die marode Infrastruktur. Und drei Viertel der ganzen Republik sind 2019 enttäuscht über die Wahlergebnisse im scheinbar abgerutschten Osten.

Dabei begann alles so hoffnungsfroh.
Die nach Massenfluchten und Massendemonstrationen unter größtem inneren Druck vollzogene Öffnung der Grenzen, "sofort, unverzüglich", sie gab der DDR den Todesstoß.
Freiheit konnte neu beginnen.

Sonntag, 3. November 2019

Jesus begegnet Donald Trump

Wir lesen die Geschichte von Zachäus (Lk 19,1-10) ja immer aus der Sicht von danach. Wissend, dass er sich bekehrt, sein Geld verschenkt und sein Leben ändert.
Aber die eigentliche Herausforderung liegt doch vorher, als noch nicht klar ist, wie sich dieser Typ, der sich so oft als mieses Arschloch erwiesen hat, benehmen wird!
Kurzes Gedankenexperiment: Angenommen, Jesus würde sich mit einem Donald Trump, inzwischen weltweit ein Symbol für Lüge, Brutalität und Korruption, gemeinsam an einen Tisch setzen und mit ihm schwatzen. Einzige Voraussetzung: Er muss vorher aus seinem Haus kommen und interessiert sein.

Samstag, 26. Oktober 2019

Alles richtig machen reicht nicht. Predigt am 30. Sonntag im Jahreskreis

1. Der Pharisäer

Die kommen doch alle nur wegen dem Kuchen“ ist der Satz, der mir zu diesem Evangelium (Lk 18,9-14) als erstes einfällt.
Manchmal sagt ein Inhaftierter diesen Satz zu mir über diejenigen, die hier im Gottesdienst sitzen – aber der das sagt, kommt selbst nicht. Möglicherweise betet er tatsächlich selbst, wie mancher das behauptet. Möglicherweise ist er wirklich ein frommer Mensch.
Aber trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl dabei. Das hängt auch mit diesem Evangelium zusammen – denn selbst wenn einer alles richtig macht, was man an religiösen Übungen so probieren kann, so wertet er doch einen anderen durch diese Aussage ab.

Ich weiß weder, ob die Einen nur wegen des Kuchens hier sind, noch ob der Andere tatsächlich betet. Und das ist auch nur begrenzt wichtig.

Dienstag, 24. September 2019

Welcher Ruf? Welche Heilung? Welcher Staub?

Am 25. September feiern wir einen Heiligen, der es in sich hat: den heiligen Nikolaus von Flüe. Er ist der Nationalheilige der Schweiz und wird als Einsiedler, als Visionär, als Friedensstifter verehrt.

Ich beziehe mich in meiner Predigt im Berliner Haftkrankenhaus auf das Evangelium vom Tage (Lk 9,1-6).

1. Jesus ruft und sendet
"Jesus rief die Zwölf zu sich" und gab ihnen "Kraft" und "Vollmacht" (v1).
Wenn katholische Christen von den Aposteln (denn das sind die "Zwölf") sprechen, dann geht es ihnen in der Regel darum, auf Menschen hinzuweisen, die etwas besonderes sind.
Aber wenn wir uns anschauen, wen Jesus da zu sich ruft, können wir uns leicht wieder erkennen: da sind Betrüger, Aufschneider, Vordrängler, Angsthasen, Vorlaute, Spätzünder, Jähzornige und Lachnummern aller Art dabei. Man denke nur den mit den römischen Besatzern kollaborierenden Zöllner Matthäus, an den Petrus, der Jesus belehren will und zurechtgewiesen wird, an die beiden Söhne des Zebedäus, die sich an den anderen vorbei den besten Platz bei Jesus sichern wollen und so fort.

Sonntag, 11. August 2019

Jetzt ist die Zeit, bereit zu sein! Parallelen in Politik und Evangelium

Energiewende, Verkehrswende, nachhaltige Landwirtschaft – es brennt an allen Ecken und Enden. Klares und energisches Handeln ist nötiger denn je.
Doch wenn man die deutsche Politik anschaut, fragt man sich, ob die Verantwortlichen wirklich begriffen haben, dass die Zeit von Klientelpolitik und Kuschen vor der Autoindustrie vorbei ist.
Die Zeit, sich zu bewegen ist jetzt!

Samstag, 13. Juli 2019

Lass den Samariter nicht im Regen stehen!

Stellen wir uns für einen Moment vor, dass der Wirt den barmherzigen Samariter mit dem geretteten Mann nicht aufgenommen hätte. Stattdessen wäre der Wohltäter abgewiesen worden mit Worten wie:

Davon hatte ich schon zu viele!
Ist er doch selbst schuld, wenn er diesen Weg geht!
Du sammelst den Typen auf und willst ihn hier loswerden?!
Ich bin doch nicht das Sozialamt für ganz Palästina!

Was wäre die Barmherzigkeit des Guten Samariters dann noch wert gewesen, wenn sich keine langfristige Lösung für den Geretteten findet?

Samstag, 1. Juni 2019

Ohne Legitimität und Glaubwürdigkeit. Kirchen und Parteien im Angesicht der Jugend

Kirchen und Parteien haben die Jugend verloren.

In den Gotteshäusern ist das schon seit langer Zeit zu besichtigen. Für die in Parteien organisierte Politik zeigt sich der Riss gerade besonders schmerzhaft anhand der Fridays for future, des Wahlverhaltens der Erstwählerschaft, der Debatte um die Uploadfilter und zuletzt der Rezo-AKK-Krise.

Auch wenn SPD und CDU sich weiterhin Volksparteien nennen und die Kirchen sich in manchen Regionen immer noch volkskirchlich fühlen, würde ein gesunder Realismus doch gebieten, den Relevanzverlust der großen Institutionen einfach anzuerkennen.

Mittwoch, 29. Mai 2019

Die fehlende Sehnsucht nach dem Himmel. Predigtgedanken an Christi Himmelfahrt

Ich denke gerade oft an einen Zeitungsartikel, den ich vor einigen Wochen las und in dem es darum ging, wie Menschen in Deutschland sich selbst und die Gesellschaft sehen. Es handelte sich um einen Bericht zur so genannten "Vermächtnisstudie".1

Demnach zeichnet die Deutschen aus, dass sie gern stabile Verhältnisse haben, aber keine großen Visionen. Es geht ihnen eher um ein "überschaubares Glück, eine Idylle im Kleinformat."2
Eine der Verantwortlichen für die Studie, die Soziologin Jutta Allmendinger, sagt dazu, die Deutsche seien "Menschen, die das Behagliche und Maßvolle schätzen."3 Alle haben "ihre kleinen Kokons" und richten sich darin irgendwie ein. Insgesamt geht aus der Studie eine erstaunliche Gelassenheit der Deutschen in Bezug auf die aktuellen sozialen und politischen Verhältnisse hervor.

Eng begrenztes Licht.
An der Dahme bei Zeuthen, 2019.
Angesichts der vielen Krisen, in der sich die Weltpolitik und auch die deutsche politische Landschaft gerade befinden, ist das erstaunlich. Denn Grund für Sorge und Unruhe gibt es ja mehr als genug und nicht selten wird medial auch genau diese Haltung befeuert.

Aus theologischer Sicht halte ich aber für besonders bemerkenswert, dass dieses Tendenz, sich im Nahbereich des Alltäglichen einzurichten, einhergeht mit einer zunehmenden Relevanzlosigkeit des Religiösen.
Die Frage nach Gott oder einem überfassenden Sinn, die großen Fragen nach Leben und Tod verschwinden hinter dem hohen Wert einer ruhigen gesicherten Existenz mit Jahresurlaub und Bonusmeilen.

Ist also, so frage ich mich am Fest Christi Himmelfahrt, die Sehnsucht nach dem Himmel hierzulande verschwunden? Gibt es keinen Wunsch mehr nach einem Aufbruch aus der Welt, wenn wir hier nur genug zum Leben finden?

Es scheint fast so.

Ein Sinn des heutigen Festes dagegen ist das Vertrauen darauf, dass Jesus Christus uns nur vorangegangen ist, dass wir nachkommen und dass also auch unsere Zukunft der Himmel ist.
Wer sich diesen weiten Horizont aber nicht zu eigen macht, wird sich in der eigenen Enge festhalten.

Mir selbst fehlt in dieser ganzen Behaglichkeit das Abenteuerliche.
Grenzen austesten, sich mit dem Status quo nicht zufrieden geben und ausbrechen aus dem Trott, das sind Dinge, die mir sehr wichtig sind.

Auch dafür steht Himmelfahrt für mich – das Leben besteht nicht aus Rumhängen im eigenen Bett und nicht aus dem Kleben am Sessel, sondern im Aufbruch.

Vielleicht ist das ein Gedanke, der Ihnen hier im Knast auch nicht ganz fremd ist.
Die meisten können diese vier Wände, die Fenster mit den Gittern, die zuknallenden Türen, den immer gleichen Hofgang kaum mehr ertragen.

Die Hoffnung darauf, dass es irgendwann noch mehr gibt, ist hier essenziell. Im Gefängnis lebt der Wunsch nach Freiheit, nach einem weiten Horizont, nach dem Jenseits – auch wenn es vorerst nur das Jenseits der Mauern ist.

Vielleicht ist der Aufstieg Jesu aus der Enge der irdischen Möglichkeiten, vielleicht ist Himmelfahrt also auch ein sehr passendes Fest im Gefängnis.

Ich wünsche Ihnen diese Sehnsucht, die Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi so ausdrückte:

"Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung Gottes in Christus Jesus. ... Denn unsere Heimat ist im Himmel." (Phil 3,13f.20)

Richten Sie sich weder im Gefängnis noch in der Welt zu sehr ein!
Gott ruft Sie hinaus ins Weite – jetzt in diesem Leben und danach ebenso.
Amen

Sehnsucht nach Licht.
Universitätsbibliothek Warschau, 2015.

1   "Die Vermächtnis-Studie versteht sich als Seismograf gesellschaftlicher Entwicklungen in allen Lebensbereichen – wie Arbeit, Wohnen, Liebe, Gesundheit, Kommunikation, Besitz. Sie wurde 2015 zum ersten Mal durchgeführt. Nun haben DIE ZEIT, das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) und das infas institut für angewandte Sozialwissenschaft eine Neuauflage der Studie entwickelt und finanziert. Für die neue Runde befragten Interviewer 2.070 Bürgerinnen und Bürger in Einzelgesprächen. Die Ergebnisse wurden im Mai 2019 vorgestellt". In: https://www.zeit.de/serie/das-vermaechtnis
3   Alle Zitate von J. Allmendinger ebenda, 70.

Dienstag, 14. Mai 2019

Lektionen voll undifferenzierter Hybris. Unzufriedenheit nach einem Buch von Y. N. Harari

Alle lesen ihn, alle reden von ihm – also dachte ich vor einigen Monaten, dass ich doch auch mal so ein Buch von Yuval Noah Harari lesen müsste. Da fiel mir in der Öffentlichen Bibliothek "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert"1 in die Hände. Und ich nahm an, nun könnte ich eine Bildungslücke stopfen.
Denn wenn es um die großen Fragen unserer Zeit, also um Krieg und Frieden, Gerechtigkeit, Technologie, Digitalisierung, Migration, Terrorismus etc. geht, kann ich mir hier, so meine Hoffnung, sicher einen guten Einblick verschaffen.

Aber ich wurde schwer enttäuscht. Und ich schreibe hier im Normalfall positiv-kritisch, über Dinge, die mir gefallen und die ich empfehlen will. Nur ist hier eine Ausnahme angebracht.

Dienstag, 5. Februar 2019

Pedro Arrupe – Prophet einer „Gesellschaft der Genügsamkeit"

Heute wird in Rom der Seligsprechungsprozess von Pedro Arrupe eröffnet.
Neben vielen innerkirchlichen Themensetzungen hat er schon vor vierzig Jahren er den Finger in jene Wunden gelegt, die uns heute besonders schmerzen. Ich beziehe mich im Folgenden auf einen Vortrag, der am 21.11.1977 in Montreal1 gehalten wurde:

Der Raubbau an den Gütern der Erde und die ungleiche Verteilung von Lasten und Erträgen ist ein anhaltender Skandal. Arrupe legt Wert darauf, dass dieser Skandal Ausdruck einer Kultur ist, die den Menschen zum "homo consumens" degradiert. Für diesen sind Profitmaximierung und Effizienz die entscheidenden Maßstäbe, sogar die Beziehungen sind dem Nützlichkeitsdenken untergeordnet. Darunter leiden in besonderer Weise die Armen und die Natur.
Der Ordensmann resümiert im Anschluss an seine Problemanzeige grundsätzlich:
"Nach all dem scheint es klar, daß Genügsamkeit oder ein eingeschränkter Lebensstil für das materielle und soziale Überleben der Menschen unbedingt notwendig sind."

Da fehlt doch was!?
Neukölln, Berlin, 2019.
Arrupe empfiehlt deshalb eine "Gesellschaft der Genügsamkeit", in der die Menschen "sich nicht mehr nach Besitz, sondern nach mehr Leben" sehnen. 

Allerdings weiß er um die Stolpersteine:
"Jeder gibt die Notwendigkeit von wirkungsvollen Schritten zu. Das kann nicht ohne große Opfer geschehen, aber wer ist bereit, sie zu bringen? Niemand unternimmt etwas, weil niemand eine genügend starke und überzeugende Motivation für die Art von Opfern hat, die ein genügsameres Leben erfordert. Der Arme sagt: 'Laß den Reichen beginnen; ich lebe schon genügsam genug!' Der Reiche fragt: 'Warum soll ich aufgeben, was ich mir rechtmäßig erworben habe? Es wird niemandem nutzen, wenn andere nicht genauso handeln. Sollen sie anfangen, dann werden wir ja sehen!' Und auf diese Weise unternimmt niemand etwas."

Einen ähnlichen Eindruck kann man auf den einschlägigen Konferenzen gewinnen und die Frustration darüber bewegt (nicht nur) junge Menschen wie die Schwedin Greta Thunberg und Tausende Schülerinnen und Schüler weltweit ("friday for future").
Denn das Dilemma ist natürlich allbekannt: Warum soll gerade ich auf meinen Urlaub im Süden verzichten? Muss denn alles gleich mit Verzicht zu tun haben?
Eine ganze Industrie ist damit beschäftigt, uns Konsumenten das Umweltgewissen ruhigzustellen und die persönlichen Kosten erträglich zu halten. Und einen Lebensstil pflegen, der gesellschaftlich möglichst anerkannt ist. Damit es nur ja nicht zu sehr weh tut und sich wie Verzicht oder Entbehrung anfühlt.

Hier ist Widerstand geboten. Denn wir werden nicht drumherum kommen. In den Siebzigern sprach Arrupe zu Ordensleuten, aber die Botschaft, um die es damals wie heute geht, betrifft auch uns und bleibt ein Stein des Anstoßes:
"Wir sollten auf viele Dinge, die uns notwendig erscheinen, verzichten."

Eigentlich ist es so einfach wie einleuchtend. Allein, die Umsetzung...!
Dabei folgt diese Aufforderung einer Logik, für die weder Religion noch Weltanschauung vonnöten sind, es ist einfach der Menschenverstand, der Genügsamkeit gebietet.
Das Christentum bietet jedoch eine naheliegende Motivation – statt als "homo consumens" zu leben, sind die Gläubigen aufgerufen, in den Spuren Jesu zu "homines servientes" zu werden, zu dienenden Menschen, die in ihrem Leben glaubwürdig die "Bekehrung zur Genügsamkeit" vorleben.
Und diese Bekehrung haben wir alle nötig.

Ich bin Pedro Arrupe sehr dankbar für diese hochaktuellen Gedanken.

Was brauche ich davon wirklich?
Holz im Hinterhof, Treptow, Berlin, 2016.

1   Über die Aufgabe der Orden in der modernen Konsumgesellschaft. Aus dem Vortrag zur Eröffnung des Dritten Interamerikanischen Kongresses für Ordensleute. In: P. Arrupe, Unser Zeugnis muss glaubwürdig sein. Ein Jesuit zu den Probleme von Kirche und Welt am Ende dees 20. Jahrhunderts. Ostfildern 1981, 143-156.

Samstag, 22. Dezember 2018

Ankunftszeit 22 – Eingekerkert in "Gott ist nicht schüchtern“ von Olga Grjasnowa

Der Roman erzählt auf beklemmend realistische Weise die Geschichte zweier erfolgsverwöhnter Syrer in der Zeit der ersten Aufstände gegen Assads Regime. Hammoudi reist von Paris, wo er wohnt, nach Syrien, um seinen Pass verlängern zu lassen – und scheitert an diesem eigentlich formalen Procedere. Amal, die junge Schauspielerin, wird nach einer Demonstration auf offener Straße verhaftet und ins Gefängnis verbracht.

Samstag, 13. Oktober 2018

"Fromm warst du ja, aber..." Oscar Romero und die Kirche der Armen

Du hast dich sehr bemüht, bist fromm gewesen, warst Rom treu und hast alle Regeln befolgt, dich mit den wichtigen Leuten gut verstanden und bist damit in der kirchlichen Hierarchie weit gekommen. Aber das Entscheidende fehlt dir noch - die Nähe zur Armut und den Armen!“

Ganz im Sinne des Sonntagsevangeliums (Mk 10,17-30) hätte Jesus mit solchen Worten zu Erzbischof Oscar Romero sprechen können, als dieser noch ein „guter“, und das heißt ein in schon lang vorhandenen Bahnen agierender Bischof in El Salvador war.
Dass Romero allerdings an diesem Sonntag heiliggesprochen wird, hat nicht damit zu tun, wie er bis Anfang 1977 sein Bischofsamt in dem von sozialen Verwerfungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen erschütterten Land in Mittelamerika ausübte.

Samstag, 1. September 2018

Es ist das Herz, das zählt! Jesus, Chemnitz und das Händewaschen

"...von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein."
(aus dem Sonntagsevangelium, hier Mk 7,21-23)

Ein Text, der wie gemacht ist für diese Tage, in denen Deutschland nach den Ausschreitungen in Chemnitz in Aufruhr ist.
Es gibt keinen plausiblen Grund, der die Attacken auf den Rechtsstaat, die Toleranz sowie unbeteiligte Personen und Polizisten rechtfertigte. Denn neben Gebrüll, pauschalen Schuldzuweisungen, rassistischen Ausfälle und Wut auf "die da oben" war sogar echte Sorge zu vernehmen – aber Ausdruck der Trauer um einen Getöteten, wie anfangs noch behauptet, waren die pogromartigen Szenen ganz sicher nicht.

Samstag, 21. Juli 2018

Einfach wegfahren. Bodo Kirchhoffs Kreuzfahrt und die Flüchtlingsboote

Das ist der Wunsch, der sich mit Urlaub verbindet: einfach nur mal wegfahren und allein sein, seine Ruhe haben und aus den Zwängen der Arbeit herauszukommen.
Jesus und seine Jünger versuchen dasselbe im Evangelium des heutigen Sonntags (Mk 6,30-34), als sie ein Boot besteigen und an einen anderen Ort fahren.
Aber sie entkommen der Mühle nicht.
Denn irgendjemand kriegt raus, wo sie sind, und schon kommen die Leute ihnen hinterher.

Auch das ist eine Erfahrung des Urlaubs – wir werden den Alltag nicht so leicht los.
Und uns selbst noch viel weniger.

Zwei Assoziationen zum Text.

Montag, 11. Juni 2018

Gespalten 2 – "agree to disagree" und Frank Richters Aufruf "Hört endlich zu!"

Da sich mir die Parallelen nur so aufdrängen, hier noch ein Beispiel zu dem Jesuswort des letzten Sonntagsevangeliums: Wenn etwas "in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben." (Mk 3,24)
Frank Richter, ehemaliger Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, macht die zentrale Aufforderung seines aktuellen Büchleins auch zu dessen Titel: "Hört endlich zu!"1
 Darin beklagt er vornehmlich die weitgehende Diskursunfähigkeit sowohl vieler liberaler Bürger als auch jener "besorgten Bürger", die sich von der Globalisierung und allem Fremden unter Druck gesetzt fühlen, in ihrer Auseinandersetzung mit den Positionen der je andern Seite.