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Sonntag, 10. März 2019

Meine Versuchungen im Gottesdienst. Gedanken zum Evangelium am Ersten Fastensonntag

Wenn Jesus im Evangelium des heutigen ersten Fastensonntags auf die Probe gestellt wird, dann frage ich mich, was diese Versuchungen für mich bedeuten.

(Leider gab es traditionell keine Auslegung dieses Textes durch den Gemeindepfarrer – aber dafür den in diesem Jahr äußerst hörens- und lesenswerten Fastenhirtenbrief von Erzbischof Koch. Ich kann ihn an dieser Stelle nur empfehlen und betonen, wer ihn liest und bisweilen auch in diesen Blog hineinschaut, kann dort viele Gedanken entdecken, die hier auch auftauchen: Ambivalenzen aushalten, Vielfalt würdigen, Aufmerksam durch den Alltag gehen...)

Besonders wenn ich selbst einen Gottesdienst gestalte, gibt es eine Reihe von Versuchungen, denen ich standzuhalten habe.

"Befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden" (Lk 4,3), beginnt der Teufel bei Jesus.
Auch meine Versuchung ist oft genug, zu glauben, dass ich durch meine eigenen Kräfte und Möglichkeiten die Gottesdienstbesucher satt machen könnte.

Dienstag, 5. März 2019

Um Vergebung bitten - Predigt an Aschermittwoch

Ein wichtiges Thema der beginnenden Fastenzeit ist der Aufruf zur Umkehr.

Dort, wo ich falsch gegangen bin, dort, wo ich meinen Nächsten verletzt habe, dort, wo ich Schuld auf mich geladen habe, dort bin ich aufgefordert, umzukehren.

Oft genug gehört dazu, um Vergebung zu bitten.
Aber es müssen mehrere Hindernisse bewältigt werden, wenn ich diese Bitte aussprechen will:

1. Oft genug versuche ich als erstes, mich zu entschuldigen.
Hinauf! Ins Licht!
Wilmersdorf, Berlin, 2018.
Doch ich kann mir meine Schuld nicht selbst wegnehmen – was "mich entschuldigen" ja genau genommen heißt.
Vielmehr bitte ich die Person, an der ich schuldig geworden bin, darum mir zu verzeihen.
Das kostet enorme Überwindung - und führt damit zum zweiten Hindernis.

2. Oft genug schaffe ich es nicht, um Vergebung zu bitten.
Ich selbst kenne das, wenn die Situation einfach noch zu aufgeheizt ist und der Andere maulend rausgeht oder mit der Tür knallt, so dass ich jetzt erst recht keine Lust mehr habe, meinen Teil der Schuld einzugestehen. Dann muss ich erst einmal tief durchatmen und emotional runterkommen.
Besonders anstrengend finde ich das im Straßenverkehr, wo die Einsicht, selbst etwas falsch gemacht zu haben, gerade in einer Stadt wie Berlin nur selten vorhanden ist.
In solchen Situationen rege ich mich besonders schnell auf und werde auch aggressiv, aber bevor sich die Sache entspannen kann, ist die Person auch schon wieder weg.
Das korrespondiert mit einem weiteren Hindernis:

3. Oft genug gibt es gar keine Instanz, bei der ich Vergebung finden kann.
Im Straßenverkehr (und auch sonst manchmal) ist die Person, an der ich schuldig geworden bin, schon wieder fort.
Auch bei manch anderer Art von Schuld, wie zu hoher Alkoholkonsum oder Steuerhinterziehung, haben keinen direkten Adressaten, der dies verzeihen kann.
Doch dieses Hindernis geht noch tiefer: Wohin wendet sich ein Mensch, der an keine göttliche Instanz über sich glaubt, wenn er mit Schuld und Vorwürfen seines Gewissens zu kämpfen hat? Wo findet er Vergebung?

Manche Menschen, die für eine Straftat verurteilt wurden, gehen davon aus, dass die Vollstreckung eines Urteils dafür sorgt, dass sie anschließend "ent-schuldigt" aus dem Gefängnis gehen. Im juristischen Sinne mag das auch stimmen. Allerdings ist es zwar die Aufgabe der Justiz, Verbrechen zu ahnden, und demzufolge sitzen viele Verurteilte im Knast dann ihre Strafe ab, aber der Freiheitsentzug schenkt keine Vergebung – höchstens das Gefühl, nun lang genug gesessen zu haben.

Wenn sich jemand also mit seiner Schuld, sei sie nun strafrechtlich relevant oder nicht, auseinandersetzt, dann wird er (oder sie) irgendwann an den Punkt kommen, dass bei allen Relativierungen, bei aller Schuld der Gegenseite, bei allen zwecklosen Versuchen, Vergebung zu erlangen, irgendwann die Frage im Raum steht, wie man dieses Geschenk der Vergebung denn nun bekommen kann.
Für nicht wenige wird dies zu einer existenziellen Frage: Wer vergibt mir all den Mist, den ich in meinem Leben falsch gemacht habe? Wie finde ich die innere Freiheit wieder, die Vergebung mir schenken kann?

Garben, stehend.
Neuendorf, Hiddensee, 2018.
4. Ein barmherziger Vater
Wenn wir uns die Geschichte vom verlorenen Sohn anschauen (Lk 15,11-32), die Jesus im Lukasevangelium erzählt, dann hören wir von einem Draufgänger, der sich mit seinem Erbe davonmacht und den Vater sitzen lässt. Das Geld, das ihm eigentlich erst nach dem Tod des Alten zusteht, zieht der Junge ihm aus der Tasche, während er noch am Leben ist und es selbst benötigt. Für den Sohn ist der Vater nichts mehr wert, er braucht ihn nicht mehr, jetzt, wo er das Geld hat.
So mit Geld und Schuld beladen, geht er von dannen und macht sich ein schönes Leben. Als dieses mangels Geld endet, steht er allein da. Er versucht noch kurz, mit Arbeit über die Runden zu kommen, aber merkt schnell, dass er dort nicht weiterkommt.

Nun kommt die entscheidende Stelle (v18f): Der Sohn im Gleichnis weiß, wohin er gehen kann, um Vergebung zu erbitten!

"Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt. Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein; mach mich zu einem deiner Tagelöhner!" (Lk 15,18f.)

Obwohl er seinen Vater so furchtbar behandelt hat, ist die innere Verbindung zu ihm noch nicht ganz abgerissen und er will um Verzeihung bitten.
Obwohl der Vater nicht anwesend ist, macht er sich Gedanken – und schließlich auf den Weg.
Obwohl er dem Vater gesagt hat, dass der für ihn schon nicht mehr existiert – wagt er es dennoch.

Der Sohn macht also das, was Fastenzeit will: Er kehrt um. Außerdem will er sich vor seinem Vater erniedrigen, weil ihm klar wird, wie furchtbar sein Verhalten war.

Aber er weiß nicht, was wir schon wissen:
Es erwartet ihn ein Vater, der ihn in die Arme nimmt. Der nicht straft. Nicht schimpft. Nicht Genugtuung und Sühne und Erniedrigung will.
Sondern sich einfach freut, dass der Verlorene zurückkehrt.

Das ist toll. Denn dieses Gottesbild kann sehr befreiend sein. 

5. Und wir
Unser Problem ist nur:
Wir erwarten schon die Vergebung vom "lieben Gott". Wir rechnen heimlich schon mit einem Gott, der uns vergibt. 
Nicht wie der Sohn, der sich noch voll Angst und Zittern auf dem Weg machte.
Wir glauben, dass der liebe Gott schon kommen wird, wenn es ihm so wichtig ist. Dass er uns schon aus der Scheiße ziehen wird, in die wir uns noch einmal extra reinsetzen.

Und tatsächlich hat er das in Jesus getan. Hat sich auf den Weg gemacht, um uns zu suchen.

Aber wozu braucht es dann noch unsere Umkehr?

Umkehr kann dann nur noch bedeuten, dass wir uns nicht mehr verstecken vor ihm.
Dass wir unsere Schuld anerkennen. Dass wir sie loswerden wollen.
Dasss wir ihm unser stolzes, unser ärgerliches, unser liebloses und unser neidisches Herz hinhalten. Und ihn bitten: Vergib mir.

Dann kann er uns befreien und heilen. Uns Auferstehung schenken.

Neuer Aufgang.
Kirchmöser, 2017.

Samstag, 16. Februar 2019

Nichts für Mittelschichtschristen. Eine Auslegung zum Sonntagsevangelium

Sind wir gemeint, wenn das Evangelium vorgelesen wird?

Es ist möglich, mit etwas geistlichem Balsam viele Aussagen der Heiligen Schriften für uns Heutige fruchtbar zu machen. Aber wenn wir uns fragen, zu wem Jesus (jedenfalls im heutigen Evangelienabschnitt) wirklich spricht, dann müssen wir uns eingestehen, dass wir es nicht sind.

Und das nicht deshalb, weil Zeit und Raum und Kultur uns trennen, sondern weil Jesus Menschen in einer komplett anderen existenziellen Lage anspricht.
Die Frohe Botschaft dieses Predigers aus Nazareth, seine Seligpreisungen, richten sich an die Abgehängten, Überrollten, Marginalisierten, Randständigen, Geängstigten, Hungrigen.

Freitag, 8. Februar 2019

Welche Berufungen wünscht sich die Kirche? Kritik an den Sonntagslesungen

Dieser Sonntag präsentiert uns drei Texte zum Thema Berufung.

Da ist einmal der mit einer gigantischen Vision begnadete Jesaja, der die Frage hört, wer mit der göttlichen Botschaft gesandt werden solle und trotz seiner eingestandenen Unwürdigkeit bereitwillig antwortet: „Hier bin ich, sende mich.“ (Jes 6,8)
Augenscheinlich spricht hier ein besonders Eifriger.

Ähnlich tritt Paulus auf, der in der zweiten Lesung aus dem Ersten Korintherbrief jedoch betont, dass er der Letzte der Apostel und alles nur „durch Gottes Gnade“ sei, denn dessen „gnädiges Handeln an mir ist nicht ohne Wirkung geblieben.“ (1 Kor 15,10)
Trotz seines Eifers scheint Paulus die entscheidende Wirkkraft also bei Gott zu sehen.

Samstag, 2. Februar 2019

Deine Zukunft gehört dir nicht! Visionen an Darstellung des Herrn

Das Evangelium am Fest der „Darstellung des Herrn" hat eine doppelte Botschaft:
Es sagt nämlich, dass unser Leben eigentlich Gott gehört – aber auch, dass er uns mit einer vollen Zukunft beschenken will. Gott erhebt Anspruch auf unser Leben – und zugleich gibt er uns das Versprechen, dass er eine wunderbare Vision dafür hat.

1. Erläuterung zum jüdischen Hintergrund1
Wenn die Eltern Jesu etwas mehr als einen Monat nach seiner Geburt in den Tempel kommen, um ihren Sohn vor Gott hinzubringen („darzustellen", wie es im Namen des Festes heißt), dann erfüllen sie damit zwei Gebote, die in der Torah zu finden sind.
Das ist sperrige Kost, die ich hier gern nur kurz erläutern und stehen lassen möchte:

Im Tempel.
Propsteikirche, Leipzig, 2018.
Zum einen geht das Denken jener Zeit davon aus, dass eine Frau sich nach der Geburt rituell reinigen, das heißt in einen Zustand versetzen muss, in dem sie vor Gott hintreten kann. Für diese Wiedereingliederung in das religiöse Leben bringt sie im Tempel eine Gabe dar (vgl. Lev 12,1-8).
Das zweite mit dem Besuch erfüllte Gebot besagt, dass der Erstgeborene bei Gott „ausgelöst", also sozusagen umgetauscht werden muss. Dahinter wiederum steht der Gedanke, dass jede männliche Erstgeburt Gott gehört.
Dieser Anspruch Gottes auf das erste Kind zweier Menschen geht nach der biblischen Überlieferung zurück auf die Verschonung der Erstgeborenen der Juden beim Auszug aus Ägypten (im Gegensatz zu den Erstgeborenen der Ägypter). Während die einen (die Juden) gerettet wurden, mussten die anderen (die Ägypter) sterben (Ex 13,12-15).
Diese historische Bevorzugung soll nun gewissermaßen von den einzelnen Gläubigen wieder aufgeholt werden.
Abgesehen von den Hinweisen auf die Exodus-Geschichte stecken aber auch noch grundsätzlichere Hinweise im Text:
Der Evangelist betont außerdem die Gesetzestreue der Eltern Jesu, die sich ganz in der Frömmigkeit ihrer Religion bewegen, die ja nicht die Religion der ersten Leserschaft ist. So zeigt er Kontinuität und Differenz zur Religion Israels auf.
Dazu kommt, dass im Hereinbringen des Kindes in den Tempel die Zugehörigkeit Jesu zu Gott besonders herausgestellt wird – bemerkenswert ist, dass dies eigentlich für alle gilt, der Evangelist (der den Tempel vermutlich nicht mehr gekannt hat) stellt Jesu Verbindung zu seinem im Tempel verehrten Vater jedoch noch einmal besonders heraus, wenn er betont, dass sie das Kind brachten, "um es dem Herrn zu weihen." (v22)

Ein weiteres Motiv taucht auf, nämlich dass Kinder, und zwar alle Kinder, als eine Gottesgabe angesehen werden.
Die Eltern kommen zu Gott und bitten ihn mit dem Opfer gewissermaßen noch einmal um ihr Kind, das sie doch schon haben – das zeigt, dass Kinder nicht ihren Eltern gehören. Sie sind, trotz aller Abhängigkeit von den Eltern und trotz der engen Blutsbande, freie Wesen und stehen nicht nur als Kinder von irgendwem, sondern direkt als sie selbst vor Gott.
Das betont die individuelle Freiheit jeder Person vor Gott. 

2. Die Zukunft vorhersagen
Der greise Simeon sagt Jesus etwas Großes voraus. Seit Jahren wartet er darauf, den Erlöser zu sehen und nun wird dieser Wunsch ihm erfüllt. Er sagt vom Kind, dass es das Heil und das Licht der Heiden sei, dass es Herrlichkeit für Israel bedeute (vgl. v31.32) und dass es die Verhältnisse umkehren werde: viele sollen "durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden". (v34)

Aber dieses Vorhersagen ist zutiefst zwiespältig:
Auch in der Situation der Haft gibt es immer wieder Leute, die Ihnen sagen, wo es für Sie - höchstwahrscheinlich – hingeht. Jedes Mal, wenn der Plan für den weiteren Verlauf des Vollzugs geschrieben wird, muss eine Diagnose erstellt werden. Dann entscheidet irgendwer, dass Sie jetzt bereit sind, stundenweise frei hinauszugehen – oder dass es eben noch nicht so weit ist.
Oder es geht gar darum, dass eine Verlegung in den Offenen Vollzug ansteht – auch hier muss jemand sagen: „Ja, er wird es unter den Bedingungen größerer Freiheit schaffen." Oder: „Nein, das kann er nicht."
Was die Zukunft bringt.
Werbetafeln am S-Bahnhof Sonnenallee, Berlin, 2018.
Wir alle wissen, dass Vorhersagen über das Leben eines Menschen unmöglich sind. Alle, die das trotzdem tun müssen, tun es (hoffentlich) im Wissen um ihre eigene Beschränktheit bezüglich solcher Aussagen.

Simeon scheint sich jedoch sehr sicher zu sein, ihm wird vom Evangelisten jedenfalls bescheinigt, dass der Geist ihn in den Tempel geführt habe (vgl. v27).

Als Erwachsener fragen Sie sich natürlich, ob sich das, was andere da über Sie sagen, auch mit dem deckt, was Sie selbst in sich sehen. Im positiven Fall, wenn Ihnen etwas zugetraut wird, ist das wahrscheinlich eher so. 
Man muss ja ehrlicherweise sagen: Wenige Leute möchten gern über sich hören, dass sie zu bestimmten Dingen, die sie tun sollen, nicht in der Lage sind. Mir scheint oft, dass nur selten jemand ausspricht (um im Kontext Haft zu bleiben): Ja, Sie haben recht, es stimmt, für den Offenen Vollzug bin ich doch gar nicht bereit.

Das Schöne ist nun, dass es eine Perspektive gibt, die noch unendlich viel weiter geht als die Perspektive eines Sozialarbeiters oder einer Sozialarbeiterin. Es ist die Perspektive Gottes.

Denn Gott hat Großes mit Ihnen vor! Nicht nur mit einigen Wenigen, sondern mit jedem, der hier sitzt.
Gott sieht in Ihnen etwas äußerst Wichtiges und er möchte eine Zukunft für Sie, die Sie erfüllt und zum Heil führt. Und er will Sie zum Heil machen, auch für jene, die nicht zum auserwählten Volk gehören. 
Sie können ein Licht sein! 
Sie können Herrlichkeit für einen Menschen sein! 
Sie können Menschen retten!

Und seien Sie beruhigt: Auch für Jesus war das nicht leicht. 
Gott verspricht uns kein Leben ohne Leiden, wenn er uns eine große Zukunft und eine Leben in Fülle verheißt.
Wenn jemand für seinen Glauben eintritt, Gottes Liebe zu allen verkündet und danach lebt, dann wird oft genug genau das passieren, was von Jesus gesagt wurde: "er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird." (v34)

Aber darauf muss man sich einlassen. Oder sich ehrlich entscheiden, dass das nichts ist. Sie dürfen sich aber sicher sein: Gott traut es Ihnen zu, er will Sie dabei sogar unterstützen. Allerdings macht er nichts aus Ihnen, wenn Sie nicht mitmachen. Auch Jesus hat sich auf den Weg seines göttlichen Vaters gemacht und ist nicht sein Leben lang der Zimmermann geblieben, der er hätte sein können.
Denn dieser Weg verändert eine Person. Auch dafür muss man bereit sein. Wenn Sie Ihr Leben in die Spur Gottes stellen, dann gehört Ihnen Ihre Zukunft nicht mehr.
Dann lassen Sie sich darauf ein, dass Gott Sie und die Zukunft Ihres Lebens verwandelt.

Das aber fordert Mut, Geduld und das tiefe Vertrauen darauf, dass Gottes Plan für Sie wirklich gut ist.
Wenn Sie das probieren wollen, dann ist der erste Schritt, dass Sie darauf hören, was Gott eigentlich mit Ihnen ganz konkret vorhat – mit Ihren Erfahrungen, Ihrer Lebensgeschichte, Ihren Talenten, Ihren Schwächen, Ihren Wünschen.
Fragen Sie ihn ruhig: Gott, was willst Du von mir? Welche Zukunft siehst Du für mich?
(Manchmal kann auch die Perspektive der Sozialarbeiterin bei der Beantwortung dieser Fragen helfen!)

3. Das Leiden der Eltern
Ein kurzes Wort noch zu Jesu Eltern: Von Maria wird noch gesagt, dass ihr ein Schwert durchs Herz fahren werde (vgl. v35).
Das ist ein bekanntes Thema: Besonders die Mütter haben es schwer mit ihren Kindern und sie leiden besonders daran, wenn ihre Söhne Wege gehen, die nicht mit den Erwartungen übereinstimmen…
Sicher geht oder ging es Ihren Müttern nicht viel besser als der Mutter Jesu.
Manchmal sind die Situationen dann auch schon so festgefahren, dass weitere Erklärungen oder Beteuerungen nichts bringen.
Dann – und auch sonst – ist es eine gute Möglichkeit, für die eigenen Eltern zu beten.
Mit Dank. Um Kraft und gelassene und friedvolle Gedanken, wenn es um die eigenen Kinder geht.

4. Schluss
Lassen Sie sich ein auf den Weg, den Gott mit Ihnen gehen will!
Seien Sie ein Zeichen, dem widersprochen wird – aber ein Zeichen im Geiste Gottes!
Fragen Sie Gott, was Er von Ihnen will!

Wohin soll es gehen, Gott?
Im Wald bei Grünheide, 2018.

Sonntag, 6. Januar 2019

Die wollen nix haben, sondern was bringen! Predigtgedanken zum Dreikönigsfest

1. Auf der Suche
Die Geschichte ist altbekannt: Nach dem Matthäusevangelium (Mt 2,1-12) machen sich Weise aus einem fernen Land auf den Weg, um den neugeborenen König der Juden zu finden. Sie werden als "Magoi" bezeichnet und kennen sich mit Sternenkonstellationen aus, so dass sie in den deutschen Übersetzungen mal als Magier, mal als Sterndeuter, mal einfach als Weise bezeichnet werden. Von den alten Völkern des Ostens (im heutigen Irak und Iran) war bekannt, dass sie sich mit den Sternen beschäftigten, deshalb lag die Herkunftsbezeichnung nahe. Es waren also keine gläubigen Juden und trotzdem hatten sie Interesse daran, was in Israel an wichtigen Ereignissen passieren würde, wenn schon so besondere Sternenkonstellationen zu sehen waren. Ihre Daten aus den Sternen glichen sie darum bei den Schriftgelehrten Jerusalems mit den Angaben aus der Bibel ab (vv4-6).

Suche nach dem Richtigen.
Comenius-Garten, Neukölln, Berlin, 2018.
Die Sterndeuter bemerkten etwas Besonderes, das sie in ihrer Lebenswelt (Sternbeobachtung) anspricht. Sie deuten dieses Besondere als das Zeichen eines neuen Königs.
Und nun kommt das Entscheidende: Als sie das Zeichen für die Ankunft des neuen Königs gesehen haben, bleiben sie nicht in ihren Sesseln sitzen, sondern machen sich auf den Weg und suchen ihn.
Erst gehen sie dafür ins Zentrum der Macht dieses kleinen Landes, in den Königspalast nach Jerusalem – aber dort finden sie den neugeborenen König nicht. Also lassen sie sich beraten und gehen weiter.

Mir gefällt das: Losgehen auf ein Zeichen hin, das mir was sagt. Suchen. Mich nicht irre machen lassen, wenn ich nicht sofort am ersten Ort was finde. Und schließlich gut beraten weiter gehen.

Gott sagt ja im Alten Testament von sich: "Ihr werdet mich suchen und ihr werdet mich finden, wenn ihr nach mir fragt von ganzem Herzen. Und ich lasse mich von euch finden" (Jer 29,13f.).
Jesus bestätigt das später im Neuen Testament: "Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet! Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet." (Mt 7,7f)

Das ist auch an uns gerichtet: Wenn wir uns auf den Weg machen und Gott suchen, dann finden wir ihn. Nur müssen wir losgehen; manchmal jeden Tag neu.
Aber wie macht man das, werden manche sich fragen. Hier im Gefängnis würden ja viele sehr gern losgehen, egal wohin.
Der Theologe Karl Rahner hat die Antwort darauf kurz auf den Punkt gebracht: "Das Herz muss sich bewegen!" Auch wenn viele andere "mit der verdrossenen Lebensklugheit ihrer engen Herzen zu Haus sitzen bleiben und solche abenteuerliche Reisen des Herzens für Kindereien halten"1 – unser Herz soll sich auf den Weg machen und Gott suchen. Die Leute aus dem Osten haben das vorgemacht, während diejenigen, die nah dran waren, in Jerusalem sitzen geblieben sind.

Als Hinweis diente ihnen auf ihrer Suche zuerst der Stern ihrer Sehnsucht, dem auch wir folgen können – der Sehnsucht unseres Herzens nach Mehr, nach einem neuen Anfang, nach Gerechtigkeit, nach der großen Umarmung Gottes.
Dazu tritt die Heilige Schrift mit den Schriftkundigen, die sie ihnen auslegten. Und auch das können wir, lesen und uns die schwierigen Stellen auslegen lassen – angesprochen sein durch das Wort Gottes in der Bibel.
Für uns kommt nun noch das Wissen dazu, dass Gott nicht dort zu finden ist, wo die weltliche Macht ist, sondern dass wir uns einfach nur dem kleinen Kind in der Krippe zuwenden müssen. Dort ist Gott zu finden – in der Unschuld, im Kleinen, und in der Einfachheit.

2. Geschenke dabei
Die Anzahl der Suchenden bleibt uns der Evangelist schuldig, immerhin wird erwähnt, dass sie drei Geschenke mitbringen (v11), so dass wir getrost von drei Personen sprechen können. Dann hat jeder was in der Hand gehabt.
Vielleicht hatten auch sie das Problem, was man denn diesem Kind sinnvollerweise schenken kann.
Was sie letztlich mitbringen, wird von den Theologen traditionell so gedeutet, dass die Gaben für drei Funktionen Christi stehen. Sie weisen hin auf Jesus als Priester, König und Propheten. Der Weihrauch für das Priestersein mit seiner liturgisch-kultischen Aufgabe im Tempel, das Gold für das Königtum und seine Assoziation mit Macht und Reichtum, die Myrrhe, das "Bitterkraut" auf das bittere Schicksal des Propheten. 
All das sah in Jesu Leben natürlich anders aus als die Bibel es für Priester, Könige und Propheten des Volkes Israel berichtet, aber das ist eine andere Geschichte.
Sie bringen also etwas mit, das etwas aussagt über den Beschenkten.

Geschenke!?
Alt-Buchhorst, 2018.
Das ist aus zwei Gründen interessant.

Einmal: Die wollen nix haben, sondern die wollen was bringen. Wenn sie den neuen König besuchen und schon so einen langen Weg auf sich nehmen, hätte es ja durchaus sein können, dass wenigstens etwas für sie dabei herausspringen soll. Aber nein, sie bringen lieber etwas mit.

Und dann: Sie schenken nicht sinnlos etwas, das überall und zu jeder Zeit geschenkt werden könnte. Sondern sie haben sich Gedanken gemacht, was das für einer ist, zu dem sie kommen.
Sie wollen etwas schenken, was zu ihm passt und was ausdrückt, was ihnen an ihm wichtig ist.

Für unser Gottesverhältnis kann das heißen: Anstatt immer nur zu bitten und nur dann zu Gott zu kommen, wenn wir etwas haben wollen, könnten wir ihm etwas bringen.
Und zwar etwas, das etwas aussagt darüber, was uns an Gott wichtig ist.
Das kann eine Übung sein, so wie sie auch bei manchen längeren Gebets- und Meditationsübungen angedacht sind – wer ist Gott für mich und finde ich dementsprechend einen Namen für ihn. Bei seinen "Exerzitien auf der Straße" nennt der Jesuit Christian Herwartz das Beispiel einer Frau, die Gott als den erfahren hat, der sie schön ansieht – und ihn eben auch so benennt: "Du, die du mich schön ansiehst".2

Andere werden völlig andere Erfahrungen mit Gott machen:
Vielleicht fällt es mir nicht immer leicht, so wie oben beschrieben auf die Suche zu gehen und mich immer wieder neu nach Gott auszustrecken. Das ist so mühsam und ich bin so schwach. Dann passt als symbolisches Geschenk vielleicht eine Batterie, die mich ausdauernd genug macht. Oder ein Jojo, das immer wieder losgeht, wenn es ganz unten angekommen ist.
Vielleicht entdecke ich Gottes Spuren einfach nicht in meinem Leben, weil so vieles schief gegangen ist. Zu viele Scherben, zu viel Misslungenes und zu viel Enttäuschung. Dann kann ich Gott vielleicht eine Lupe bringen, damit ich ihn besser entdecken kann.
Oder vielleicht bin ich froh über etwas, das ich gelernt habe und dankbar für Dinge, die gelungen sind. Dann kann ich mein Lächeln bringen.

Das sind die Gaben, die wir vor Gott bringen können. Gaben, die sich durchaus auch verändern können auf dem Weg. Gaben, die zu uns und zu ihm passen.


3. Anders zurückkehren
Die weisen Männer waren wirklich sehr weise. Entweder hatten sie alle denselben Traum und fanden das so überzeugend, dass sie nicht mehr zu Herodes zurückgingen. Oder einer überzeugte die anderen von seinem Traum.
Oder es wurde ihnen klar, dass ihre Frage nach dem neuen König und das Erschrecken, das sie damit ausgelöst hatten (v2f), nichts Gutes bedeutete. Vielleicht wurden sie dann weise durch ihre Unvorsichtigkeit.
Wie dem auch sei, sie gingen jedenfalls auf einem anderen Weg zurück als sie gekommen waren.

Nachdem ich gerade aus einem Urlaub wiedergekommen bin, kann ich nur bestätigen, dass das besonders dann Sinn macht, wenn man die Umgebung näher kennenlernen will.
Aber auch darüber hinaus scheint eine Reise gut dafür zu sein, Veränderungen herbeizuführen.

Verändert.
Rudow, Berlin, 2018.


Wenn wir uns auf die Suche nach Gott machen und ihm das mitbringen, was wir ihm schon immer einmal geben wollten, dann werden vielleicht auch wir dadurch verändert.
Gerade wenn es, wie hier im Gefängnis ja nicht anders möglich, eine innere Reise, eben die Reise des Herzens sein wird, von der Karl Rahner sprach, dann werden wir nicht mehr genauso auf die Welt schauen wie zuvor.

Wer beim Besuch des Kindes in der Krippe mit Gott in Berührung kommt, wird mehr lieben und mehr verzeihen. Und er wird von Gott nicht mehr schweigen können.
Zwar werden die Sterndeuter in der Bibel nie wieder erwähnt, doch das muss nichts bedeuten. Auch wir werden in der Weltgeschichte vielleicht nie wieder erwähnt. Aber auch wir können von unserer Suche nach Gott sprechen und davon, was er für uns bedeutet, was wir ihm also bringen können.
Das macht uns zu anderen Menschen – und es verändert die Welt.


1   K. Rahner, Von der seligen Reise des gottsuchenden Menschen. Gedanken zum Fest der Erscheinung des Herrn, in: Geist und Leben 22 (1949) 405-409, hier: 409. – Zu finden auch unter https://www.geist-und-leben.de/component/docman/doc_download/954-22-1949-6-405-409-rahner-0.html und https://www.jesuiten.org/news/der-stern-leuchtet/.
2   C. Herwartz, Brennende Gegenwart. Exerzitien auf der Straße. Würzburg 2011, 21.

Sonntag, 25. November 2018

Machtlos glücklich und trotzdem DIE Zukunft. Christkönigspredigt

0. Überblick über Thema und Lesungen
Als Pius XI. das heutige Fest einführte, war die Monarchie in den meisten Ländern Europas schon Geschichte. Sieben Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs, 1925, stellte dieser Papst zum Jubiläum eines der wichtigsten Konzilien der Antike (1600 Jahre Konzil von Nizäa) Jesus Christus als König in den Mittelpunkt.1 Königswürde für den Gottessohn, das scheint sehr einleuchtend zu sein.

Aber die dazu passenden biblischen Lesungen weisen in sehr verschiedene Richtungen und sind alles andere als klar.

Samstag, 3. November 2018

"Ich wollte dir nur mal eben sagen..." – Dreimal Liebe im Lied

Zum Evangelium des Sonntags (Mk 12,28b-34), das von Gottes- und Nächstenliebe handelt, kamen mir drei Lieder in den Sinn.

1. Gottesliebe
Mehr als nur "Ein Kompliment" machen die Musiker von Sportfreunde Stiller mit ihrem Liebeslied indem sie im Song einfach Vergleich an Vergleich reihen:

Dienstag, 11. September 2018

Die gekrönte Last

Heute habe ich eine kurze Andacht für die Pflegekräfte eines Altenheimes gehalten.
Nach einer kurzen Stilleübung waren mir folgende Gedanken wichtig:

Sie werden tagtäglich durch viele Aufgaben in Anspruch genommen. In der Familie und im Haushalt, aber auch hier bei der Arbeit mit den Senioren. Gerade diese Arbeit erfährt nicht viel Dankbarkeit und Anerkennung, und der Wert der Pflege wird in unserer Gesellschaft oftmals nur unzureichend gewürdigt.
Wenn dazu auch noch ein besonderer Schicksalsschlag wie eine Krankheit oder ein persönlicher Verlust kommt, dann kann es sein, dass man das Leben als eine Last empfindet, die man nicht mehr tragen will.
Symbolisch habe ich Ihnen dafür dieses 100kg-Gewicht mitgebracht.

Samstag, 1. September 2018

Es ist das Herz, das zählt! Jesus, Chemnitz und das Händewaschen

"...von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein."
(aus dem Sonntagsevangelium, hier Mk 7,21-23)

Ein Text, der wie gemacht ist für diese Tage, in denen Deutschland nach den Ausschreitungen in Chemnitz in Aufruhr ist.
Es gibt keinen plausiblen Grund, der die Attacken auf den Rechtsstaat, die Toleranz sowie unbeteiligte Personen und Polizisten rechtfertigte. Denn neben Gebrüll, pauschalen Schuldzuweisungen, rassistischen Ausfälle und Wut auf "die da oben" war sogar echte Sorge zu vernehmen – aber Ausdruck der Trauer um einen Getöteten, wie anfangs noch behauptet, waren die pogromartigen Szenen ganz sicher nicht.

Dienstag, 28. August 2018

Kompass, Schere und Verbandszeug. Impuls zum Schuljahresbeginn

Meine Tätigkeit im Jugendbildungshaus des Erzbistums bringt es mit sich, dass ich regelmäßige Andachten und Impulse für Kennenlernfahrten gestalte.
Es folgt das Beispiel eines kurzen Impulses im Anschluss an eine biblische Lesung aus dem Matthäusevangelium (ähnlich hier). Der Einfachheit halber wird die Lesung hier stückweise dargestellt.

Dienstag, 14. August 2018

Wen bevorzuge ich als Gefängnisseelsorger? Gedanken zu Mariä Himmelfahrt

Von Zeit zu Zeit werde ich gefragt, wie ich das denn mache bei meinen Gesprächen im Gefängnis. Ob ich nicht ab und zu der Meinung sei, ich hätte nun schon wieder dasselbe gehört wie gestern. Ob ich auch wirklich jede persönliche Tragik individuell würdigen könne. Und überhaupt, wie es denn sei, wenn so viele verschiedene Leute kommen und alle ernst- und wahrgenommen werden wollen – das ginge doch sicher nicht?!

Himmelwärts mit Hindernissen.
Vogelnetze, Zoologischer Garten, Berlin, 2017.
Tatsächlich muss ich sagen, dass das von meiner Tagesform abhängig ist.
Aber im Großen und Ganzen versuche ich, bei jeder Person, die mir gegenüber sitzt, ganz anwesend zu sein und ihr mit größtmöglichem Wohlwollen zu begegnen.
Ich kann und will nicht unterscheiden, wen ich mehr und wen ich weniger ernst nehme.
Kurz: Die wichtigste Person ist immer die gerade anwesende.

Wenn wir (bei aller bleibenden größeren Unähnlichkeit der Vergleichspartner in dieser Sache!) auch Gott als Seelsorger aller Menschen ansehen, der noch dazu immer bei jeder Person anwesend ist, hieße diese Aussage, dass ihm jede Person die wichtigste ist.
Das passt natürlich wunderbar zu grundlegenden Aussagen über Gott. Und auch dem modernen Bewusstsein für Gerechtigkeit kommt es entgegen.

Wie aber passt es zusammen mit dem, was die Kirche über Maria sagt, die der katholische Glaube mit so viel wunderbaren Wendungen und Namen besingt?
Man nehme nur die Marienlieder:
Maria ist dort die Gnadenreiche, Makellose, Engelsgleiche, Wunderschön prächtige, hohe und mächtige, liebreich holdselige himmlische Frau, Mutter der Barmherzigkeit, Patronin voller Güte, Pforte der Seligkeit, ...

Von Gott her geschaut scheint es da eine eindeutige Bevorzugung Mariens vor anderen Menschen zu geben.

Und bei allem Idealismus gibt es selbstverständlich auch für Seelsorger Personen, die einem näher sind als andere. Vielleicht würde ich sie nicht sooo ausufernd loben, aber die Unterschiede sind schon deutlich da, ob ich das nun will oder nicht.
Mit dem einen komme ich leichter ins Gespräch, mit anderen teile ich gemeinsame Erfahrungen (wie das Vatersein), andere kommen aus der gleichen Gegend wie ich...

Dieser Ungleichheit entkommt man auch bei Gott nicht.
Schon im Alten Testament zeigt sich, dass Gott recht wählerisch ist und manche Menschen vor anderen eindeutig bevorzugt – Abels Opfer nimmt er an, Kains will er nicht – was für Abel zum Verhängnis wird (vgl. Gen 4,1-8). Ähnlich geht es Joseph, dem Träumer, der von seinen Brüdern wegen der Liebe des Vaters und wegen seiner gottgesandten Träume beneidet und schließlich verkauft wird (vgl. Gen 37).
Schließlich erwählt Gott sich ein ganzes Volk auf Kosten der Anderen und verspricht sogar: "Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder und für dein Leben ganze Völker." (Jes 43,4)
Zugleich bekennen wir Gottes Willen, dass nicht nur einige, sondern „alle Menschen gerettet werden" (1Tim 2,4) und hoffen darauf, dass er am Ende der Tage die ganze Schöpfung heimholt zu sich.

Worauf will ich mit all dem hinaus?
Die Spannung zwischen der Vorstellung einer Gleichheit aller Menschen vor Gott und den biblischen Berichten einer eindeutigen Bevorzugung von Einzelnen ist krass.
Mir jedenfalls macht diese Spannung zu schaffen, vor allem angesichts der vielen besonderen Aussagen über Maria, von der unbefleckten Empfängnis über die jungfräuliche Geburt bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel, die wir heute feiern.
Auch im Evangelium des Festes singt Maria davon, dass Gott Großes an ihr getan habe und alle Geschlechter sie nun selig preisen würden (vgl. Lk 1,49.48).

Wie lässt sich diese Spannung befriedigend auflösen?
Eine Lösung, die ich (größere Unähnlichkeit vorausgesetzt) für diese Spannung in meinem seelsorglichen Handeln gefunden habe, kam oben zur Sprache: Der aktuell Anwesende ist der Wichtigste. Auch wenn es mir bei jenen, die mir in irgendeiner Hinsicht ähnlicher sind, natürlich leichter fällt. 

Der Himmel steht uns offen!
Blankensteinpark, Friedrichshain, Berlin, 2018.
Vielleicht beruft auch Gott zur Mitarbeit an seinem Werk Leute, die ihm ähnlich sind1 – Maria wird gezeichnet als eine junge Frau, die sich bereitwillig einlässt auf die Geschichte Gottes mit ihr, als ein Engel ihr die Botschaft von der Geburt des wunderbaren Kindes bringt und die sich im heutigen Evangelium liebevoll um ihre schwangere Verwandte kümmert.
Tatsächlich erscheint Gott so im Neuen Testament: sich der Geschichte der Menschen öffnend und sie liebevoll begleitend.

Darüber hinaus stehen, wenn man genau hinsieht, Wohlwollen gegenüber allen und Bevorzugung Einzelner auch gar nicht in Widerspruch zueinander.
Auch die Aufnahme Mariens in den Himmel ist ja, wie betont werden muss, keine exklusive Auszeichnung nur für sie, sondern wird allen Menschen verheißen – aber zunächst nur von Maria ausgesagt.
Es ist dies die Konkretion einer allgemeinen Hoffnung, sichtbar geworden an Maria, der Mutter Jesu.2

Das vorausgesetzt, ist das heutige Fest ein Bekenntnis zu Gottes Kraft und Größe, an die wir Menschen nur ahnungsweise heranreichen: voller Liebe erhebt er eine Einzelne zu sich, um diese seine Liebe weiterfließen zu lassen auf alle. 



1   Inspiriert ist dieser Gedanke von J. Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 102, wo es zu Gott in der Josephsgeschichte heißt: "Unterschwellig suggeriert der Text, daß Gott Joseph nicht bevorzugt hätte, wenn er nicht wie Joseph wäre, und da Joseph als liebevoll dargestellt worden ist, ist Gott vielleicht genauso. Wir bewegen uns hier, unnötig zu sagen, nicht im Bereich von Argumenten, sondern von Eindrücken." Trotzdem!
2   Vgl.zu diesem Gedanken: A. Müller / D. Sattler, Mariologie. In: In: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik 2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 155-187, 186.

Montag, 30. Juli 2018

Eine religiöse Wahrnehmungsschule. Vom Zusammenhang der ignatianischen Spiritualität

Der spirituelle Weg, den Ignatius von Loyola vorschlägt, gleicht einer Wahrnehmungsschule, in der Sensibilisierungsübung und Reflexion miteinander verwoben sind.

Denn es gibt in der ignatianischen Spiritualität ein paar besonders prominente Übungen, die aus der Lebenserfahrung des Ignatius von Loyola in sein Exerzitienbuch eingeflossen sind und davon leben, dass der oder die Betende zunächst genau wahrnimmt und nicht sofort mit Gott zu sprechen anfängt.

Donnerstag, 19. Juli 2018

Kanon, Kult und Kirchenrecht. Zum Thema Religion als Ambiguitätspraxis

"Seelsorge" ist kein geschützter Begriff.
Aktuell spüre ich das als beauftragter Gefängnisseelsorger im Kontakt mit einer freikirchlichen Gruppe, die in der JVA Plötzensee, in der ich tätig bin, als externe Anbieter eine Gesprächsgruppe und Einzelgespräche anbietet. Es führt unter Inhaftierten und Beamten augenscheinlich zu Verwirrung, wenn nun weitere "Seelsorger" aus diesem Kreis auftauchen, die allerdings nicht über ein Büro verfügen und auch bezüglich des beauftragten Seelsorgern zugesicherten Zeugnisverweigerungsrechts bzw. beim Seelsorgegeheimnis einen schwierigeren Stand haben.
Nichtsdestotrotz können sie sicher kompetente Seelsorgsarbeit leisten und Menschen in engeren Kontakt mit Gott führen, mithin legitim "Seelsorger" im christlichen Sinne sein.
Ich bin in diesem Fall allerdings für eine umsichtige Aufklärung, damit keine tiefergehenden Missverständnisse und Irritationen entstehen, wer nun welchen Status als Seelsorger hat – mit allen damit jeweils verbundenen Rechten und Pflichten.
Genauso geht es mir beim Ehebegriff im Kontext der staatlicherseits ermöglichten "Ehe" für alle. Auch hier halte ich die Begriffswahl nicht für hilfreich und mit dem christlichen Ehebegriff selbstverständlich für nicht vereinbar.

Allerdings gibt es auch Situationen, in denen es gut ist, gerade keine vereindeutigenden Festlegungen vorzunehmen. Vielmehr bin ich, besonders inspiriert durch die Lektüre des (hier auch schon erwähnten) Buches "Die Vereindeutigung der Welt" von Thomas Bauer, der Meinung, dass Religion gerade als Ambiguitätspraxis einen besonderen Wert hat.

Und das trotz meiner eingangs formulierten Wunsch nach klärenden Definitionen. Auch auf der Metaebene findet sich also keine einfache Eindeutigkeit, sondern Ambiguität!
Das halte ich nicht für einen Widerspruch, sondern um das Offenhalten von Möglichkeiten und die Freiheit des Eingehens auf konkrete Sachverhalte.

Donnerstag, 5. Juli 2018

„I don't believe in an interventionist God“ – Von Zweifel und Liebe

"Ich glaube nicht an einen Gott, der in das Weltgeschehen eingreift".
So würde ich die Liedzeile aus dem wunderbaren Song „Into my arms“ von Nick Cave mal frei übersetzen. Cave, der eine ganze Reihe sehr religiöser (aber auch verstörender) Songtexte veröffentlichte, formuliert darin seinen Zweifel an christlichen Glaubenswahrheiten.
Aber, und das ist entscheidend, er weicht seinen Unglauben sofort wieder auf – um seiner Liebe willen:

Mittwoch, 20. Juni 2018

Elternschaft und Mord

Weil Sommer ist, beschränke ich mich einstweilen auf hilfreiche Inspirationen anderer Leute.
Der folgende Text findet sich in der raffinierten und irritierenden Biographie Gottes von Jack Miles; passenderweise führt er das Kapitel über Abraham und seine Versuchung (Gen 22) ein.

Ethisch könnte es so aussehen, als liege ein abgrundtiefer Unterschied zwischen Elternschaft und Mord; dieser ist ein Verbrechen, jene ist einfach ein moralisch neutrales Faktum. Psychologisch jedoch sind die beiden so miteinander verknüpft, wie Leben und Tod verknüpft sind.

Samstag, 9. Juni 2018

Von Sinnen. Oder: Es ist die Welt, die völlig daneben ist, nicht wir

Zum Evangelium Mk 3,20-35 vom 10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). Der Predigt erster Teil. (Zweiter Teil hier)

Sie hielten Jesus also für einen Verrückten. Seine Familie behauptet, er sei von Sinnen und will ihn wohl am liebsten einsperren, seine Gegner holen gleich die ganz große Keule raus und erklären, dass er vom Teufel selbst besessen sei.
Wie kamen sie zu diesen Behauptungen?

Samstag, 19. Mai 2018

So viele Sprachen! So viele Deutungen! Und Pfingsten heißt: Love is the way.

Auch wenn Menschen innerhalb verschlossener Räume und hinter Mauern leben, wirkt der Geist Gottes!
Das ist für mich die erste wirklich gute Botschaft der Geschichten, die eben vorgelesen wurden (vgl. Apg 2,1-11; Joh 20,19-23). 
Denn es bedeutet, dass der Heilige Geist, dessen Ausgießung wir heute feiern, Sie auch innerhalb der Gefängnismauern problemlos erreichen kann. Gott will Ihnen nahe sein im Heiligen Geist – auch in dieser Zeit der Unfreiheit!
Soweit klingt das ziemlich gut, wie ich finde. Aber was bedeutet es konkret für unser Leben?

Samstag, 5. Mai 2018

Biblische Mathematik: Demut + Offenheit = Liebe

Die Lesungen des Sonntags sind mal wieder besonders reich an wundervollen Texten, die noch dazu eine aussagekräftige Gleichung des Christlichen ergeben.

1. "Auch ich bin nur ein Mensch" (Apg 10,26)
Die Lesungen aus der Apostelgeschichte erzählen in der Osterzeit von den ersten Gemeinden und reflektieren die Verkündigung der Apostel. Im heutigen Abschnitt kommt Petrus nach Caesarea und der römische Hauptmann Cornelius fällt ihm zu Füßen.
Petrus antwortet ihm daraufhin: "Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch."
Der Moment größter religiöser Macht ist auch ein Moment größter Versuchung. Wie leicht könnte Petrus sich jetzt, wie er es im Beisein Jesu ja mehrfach tat, groß aufspielen und zeigen, was für ein toller Kerl er ist, wie glaubensstark und nah beim Herrn.
Nichts dergleichen tut er hier. Stattdessen macht er den Unterschied zwischen Mensch und Gott groß und zeigt sich demütig.

Samstag, 21. April 2018

"Ich habe noch andere Schafe" – Jesus Christus als Hirte aller Religionen?

Ein Satz im heutigen Sonntagsevangelium (Joh 10,11-18) macht mir regelmäßig zu schaffen. Nachdem Jesus sich als guter Hirte eingeführt hat, sagt er:

"Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten." (v16)

Wenn alle Christen Jesus als ihren Hirten ansehen und als seine Herde von ihm zu Gott geführt werden wollen, dann kann es sich bei denen, die als "andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind" bezeichnet werden, nicht um Christen handeln.

Es scheint mir also die Frage nach Jesus und seinem Verhältnis zu den Anhängern anderen Religionen zu sein, die in oben genanntem Satz auftaucht (jedenfalls möchte ich ihn hier einmal so lesen). Unzählige Schriften sind zu dieser Problematik verfasst worden, das Problem wurde von den verschiedensten Seiten gewälzt.1
Hier nur ein paar Gedanken dazu: