Dienstag, 5. Dezember 2017

KinderStück 5 - Glück ohne Entscheidung

Chimamanda N. Adichie hat in "Americanah" (neben vielem anderen) den Zusammenprall der Kulturen analysiert. Als die Nigerianerin Ifemelu versucht, in den USA Fuß zu fassen, wird sie zunächst Kindermädchen in einem Haushalt der weißen Oberschicht.
Eine Szene beschreibt die Versuche der jungen Mutter Laura, mit ihrer halbwüchsigen Tochter zurande zu kommen:

Einer entscheidet doch.
Schaukelschatten, Neukölln, Berlin, 2017.
"Laura ging zu ihr und bald begannen Verhandlungen.
'Willst du das, Liebes? Das Gelbe oder das Blaue oder das Rote? Was für eins willst du?'
Gib ihr einfach eins, dachte Ifemelu. Das Kind mit vier Auswahlmöglichkeiten zu überwältigen, ihm die Last der Entscheidung aufzuhalsen hieß, ihm das Glück der Kindheit zu nehmen. Das Erwachsensein zeichnete sich schließlich schon ab, und dann müsste es zunehmend harte Entscheidungen treffen."1

Kindsein bedeutet Freiheit von vielen Entscheidungen.
Oft sind es Entscheidungen, die das Fassungsvermögen eines Kindes übersteigen und ihm darum abgenommen werden.
Erwachsene können in diesen Zustand zwar nicht einfachhin zurückkehren.
Der Blick auf die eigene vergangene Kindheit als ein entscheidungsfreies Glücklichsein kann darum eine wohltuende Reise in eine sonst unerreichbare Sphäre sein.
Der Blick birgt in sich das Vertrauen, dass da einer ist, der mir gut will und gut für mich entscheiden wird – egal wie ich als Erwachsene Person mich tatsächlich entscheide.


1   C.N. Adichie, Americanah. Frankfurt a.M. 2014, 312.