Freitag, 8. Dezember 2017

KinderStück 8 - Hauchzart gehalten nach schwerer Geburt

Der Josephsroman von Thomas Mann bietet in vielerlei Hinsicht interessante Deutungen der Heilsgeschichte und der frühbiblischen Religiosität an.
Auch die Geburt des Josef ist ein (im Gegensatz zur biblischen Erwähnung in Gen 30,22ff) seitenlanges und mit vielerlei Andeutungen aufgeladenes Stück des Romans. Die lange auf ihre Mutterschaft wartende Rahel hat die Geburt bis kurz vor den eigenen Tod durchlitten, als Jakob kommt, um nach ihr und dem Kind zu sehen:
Mariengedächtnis vor dem 8. Dezember.
Evangelisches Gemeindehaus Kirchmöser, 2017.

"Das Gebadete hatte schon aufgehört zu greinen. Es schlief, in Windeln gewickelt. Es hatte glattes schwarzes Haar auf dem Köpfchen, das beim Austritt die Mutter zerrissen, lange Wimpern und winzige Händchen mit genau ausgebildeten Nägeln. Es war nicht schön zu der Zeit; wie hätte wohl mögen von Schönheit die Rede sein bei einem so kleinen Kind. Und doch sah Jakob etwas ..., was sein Herz, je länger er hinblickte, bis zum Überströmen mit andächtigem Entzücken füllte. Es war um dies Neugeborene, unnennbar, gleichwie ein Scheinen von Klarheit, Lieblichkeit, Ebenmaß, Sympathie und Gottesannehmlichkeit, das Jaakob, wenn nicht zu erfassen, so doch zu erkennen meinte nach seiner Bewandtnis."
Und Jakob steht da, "ein hauchzart Gehaltener"1, und schaut sein Kind an.

Der empathielose Blick ist nichts. Doch das, was Jakob beim Anschauen seines Kindes erfährt, kommt aus seiner inneren Haltung.
Er entdeckt Dinge, die nicht von äußerer Schönheit herkommen, weil er mit Liebe schaut.
Advent lädt uns ein,ein, trotz anstrengender Zeitläufe nicht klammernd und nicht gleichgültig, sondern "hauchzart" Gehaltene zu werden.
Und mit Liebe auf Gottes wunderbare Schöpfung zu schauen.



1   T. Mann, Joseph und seine Brüder. Frankfurt am Main 4. Aufl. 2013, 253.