Sonntag, 24. Dezember 2017

Weihnachten ist eine Heilungsgeschichte. Predigt im Gefängniskrankenhaus.

Engel vor der Tür.
Stella Maris, Binz (Rügen), 2016.
Weihnachten ist eine Geschichte von Heilung.
Gott will uns heilen. Es ist sein Weihnachtsgeschenk an uns, dass wir geheilt werden.
Und es ist zugleich der einzige und wahre Grund der Menschwerdung: dass wir geheilt werden.

Allerdings nicht in körperlicher oder psychologischer Hinsicht.
So wichtig das körperliche und psychische Heilwerden ist, Gottes Heilung geht tiefer, sie umfasst den ganzen Menschen.
Denn Gott heilt die Wunden des Menschseins – indem er selbst Mensch wird. Dazu gleich noch mehr.

Und Heilung ist Arbeit – aber nicht wir müssen diese Arbeit erledigen. Vielmehr ist es hier ähnlich wie in der Medizin – manche Krankheiten können die Selbstheilungskräfte des Körpers nicht allein besiegen – dann braucht es Hilfe von außen.
Genau das tut Gott in seiner Menschwerdung, er tritt dort an die Stelle der fehlenden Kräfte, wo es eine Heilung braucht.
Wir kennen das beispielsweise von der Dialyse, wenn die Niere nicht mehr entgiften kann und eine Maschine dafür einspringen muss.

Was macht nun diese Heilung aus? Ich nenne drei Aspekte.

1
Ein Seite dieser Heilung ist das Geschenk des Dazugehörens.
Zu den Marginalisierten und am Rande Stehenden kommen die Engel – zu den Hirten, die eine einfache Arbeit vor den Toren der Stadt taten, bei Wind und Wetter.
Und nun verkünden die Engel gerade ihnen die frohe Botschaft von der Geburt des Erlösers.
Sie, die Armen, die Hirten, die Ausgegrenzten sind es, die die Botschaft von der Geburt des Kindes zuerst bekommen.
Denn: Auch sie gehören zu Gottes Familie dazu.
So werden sie aufgerichtet und hineingeholt in die neue Gemeinschaft der Menschen, die voller Neugier und Erwartung zur Krippe kommen.

Das ist Gottes Weihnachtsbotschaft auch für Sie, selbst wenn außerhalb der Mauern viele Menschen lieber nichts zu tun haben wollen mit jemandem, der mal im Gefängnis war.
Aber Gott sagt zu Ihnen, dass Sie dazu gehören und nicht ewig gebeugt durch Ihr Leben gehen müssen.

So wirkt Weihnachten: Die Wunde der Trennung wird geheilt, der Trennung zwischen Gott und Mensch und der Trennung zwischen uns Menschen.

2
Eine andere Seite dieser Heilung ist das Geschenk der Vergebung.
Zunächst eine Geschichte, die auch Teil der Weihnachtsgeschichte ist und Vergebung von einer ungewohnten Seite anschaut.
Die Geschichte handelt von Josef – er merkt, dass seine Verlobte schwanger ist und will sie verlassen. Doch ein Engel sagt ihm im Traum, dass er bei ihr bleiben soll.
Gott hat seine Lebenspläne durchkreuzt – und Josef vergibt Gott, dass der einfach kommt und sein Leben umkrempelt. Viele andere Männer lassen ihre schwangeren Freundinnen sitzen, selbst wenn es sich um ihr eigenes Kind handelt – und hier ist ein Mann, der bei der Schwangeren bleibt, trotzdem er nichts davon hat. 

Und natürlich auch von Gottes Seite: Gott vergibt uns! Viele Christen sind der Meinung, dass die Versöhnung erst stattfindet, als Jesus am Kreuz stirbt, aber Jesus macht sich ja zu Weihnachten schon auf den Weg zu uns – in seiner Menschwerdung hat Gott sich ja selbst zum Menschen hinbegeben und ihm bereits Versöhnung angeboten. Ja, das Kreuz gehört auch zu seinem Leben – aber die Geschichte der Vergebung beginnt schon mit der Geburt im Stall.

Aber Vergebung ist keine einfache Sache, so als könnte man einfach sagen, ich vergebe jetzt einfach mal und dann fertig. Nein, das ist ein Prozess, und der ist manchmal äußerst schwierig. Aber es ist ein Weg, der es wert ist. Denn Vergebung heilt die Herzen – selbst zu vergeben und vergeben zu bekommen macht heil.
Beide Seiten haben etwas davon.

Ein Ende und ein Anfang.
Neukölln, Berlin, 2016.
Vergeben bedeutet, neu anfangen zu können. Auch dafür steht die Geburt dieses Kindes. Es ist ein Neuanfang, eine Vergebung. Alles das, was alt war, was belastet und quält, mag noch da sein, aber an Weihnachten vergibt Gott alles und setzt einen neuen Anfang mit uns Menschen.

Auch Sie sollen hier im Gefängnis einen Neuanfang machen können, davon spricht ja auch das Zauberwort der Resozialisierung – manchmal sagt mir jemand im Gespräch, wenn hier alles abgesessen ist, "dann bin ich ganz sauber". Und es ist gut, dass es dieses Gefühl gibt, neu anfangen zu können. (Auch wenn mancher Arbeitgeber oder Vermieter das eventuell nicht so sieht...)

So soll Weihnachten wirken: Die Wunde der Schuld wird geheilt.

3
Eine weitere Seite dieser Heilung schließlich ist das Geschenk des Friedens.
Die Engel verkündeten den Hirten den Frieden auf Erden.
Und gegen alle menschliche Furcht heißt es: Fürchtet euch nicht! Habt keine Angst.

Für uns bedeute das, dass auch wir keine Angst haben müssen, dass wir nicht die ganze Zeit kämpfen müssen.
Wir müssen nur hingehen zu Gott und darauf vertrauen, dass er groß und gut ist.
Wenn wir mit offenem Herzen an die Krippe treten, dann kann Weihnachtsfrieden hineinkommen.
Auch in einem anstrengenden Umfeld wie hier im Gefängnis sagt Gott – ich schenke dir Frieden.

Wer schon einmal ein kleines Kind auf dem Arm gehalten hat, der weiß vielleicht, was für eine beruhigende Wirkung von einem lächelnden Baby ausgeht. Das ist ein Moment, in dem Frieden kommen kann.

Aber dazu gehört auch, anderen keine Angst zu machen.
Dazu gehört, sich nicht selbst aufzuplustern und so zu tun, als wäre man der Stärkste und Schönste und Beste.
Wer das tut, der hat keinen Frieden im Herzen. Frieden bedeutet, sich nicht groß machen zu müssen, sondern so klein sein zu können und wie ein Kind zur Krippe zu kommen.
In der Geburtskirche in Betlehem kann man das gut sehen – um hineinzukommen, muss man sich beugen. Ein körperlicher Ausdruck der inneren Bereitschaft, friedfertig und demütig zu Gott zu kommen.

Auch das ist eine Wirkung von Weihnachten: die Wunde des Unfriedens und des Streits wird geheilt.



Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese innere Heilung Gottes erfahren können.
Gott möchte, dass Sie dazugehören. Gott möchte vergeben und er möchte, dass wir vergebungsbereite Menschen werden. Und Gott möchte Ihnen Frieden schenken.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie bereit sind, sich so für Gott zu öffnen, dass er Sie heilen kann.

Blätter am Ufer.
Grünheide, 2015.