Samstag, 9. Dezember 2017

Bahne dem Herrn den Weg in deiner Wüste! Eine Predigt im Gefängnis.

Die heutigen Lesungen sprechen mitten im Advent von der Wüste.
Zuerst ist es der Rufer beim Propheten Jesaja, der das Volk Israel auffordert: "Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste!" (Jes 40,3)
Und dann ist es Johannes der Täufer, der aus der Zivilisation hinausgeht und in die Wüste zieht, um dort die Leute zur Umkehr aufzurufen. (Mk 1,2-4)

1
Was hat es also mit der Wüste auf sich?
Die Wüste ist ein lebensfeindlicher Ort, ein Ort, der nicht dafür gemacht ist, um lange dort zu verweilen. Es ist karg, ohne ausreichend Abwechslung, das Essen ist schlecht und zumeist freut man sich darauf, endlich wieder draußen zu sein.
Ich glaube, diese Eigenschaften der Wüste und die folgenden biblischen Beispiele passen auch gut auf das Leben im Gefängnis, aber dazu gleich mehr.

Wüste? Fata Morgana?
Grünheide, Blick auf den Peetzsee, 2015.
In der Bibel ist die Wüste jedenfalls außerdem ein extrem wichtiger Ort, der zur Erfahrung mit sich selbst und mit Gott führt.

Vier Beispiele:
a. 
Mose hat einen Mann erschlagen und muss fliehen. Nun hat er eine schlechte Arbeit und muss die Schafe seines Schwiegervaters durch die Wüste zu den Weideplätzen führen. Da begegnet er dem namenlosen Gott seiner Väter, der sich mit einem Namen zu erkennen gibt – Jahweh – "Ich bin da". Und einen Auftrag hat er auch für Mose – das Volk in die Freiheit zu führen (Ex 2-3).
Hier steht die Wüste für die Lebenswelt nach einer Straftat, wo man überraschend Gott begegnen kann und wo Gott einem Menschen einen Auftrag gibt.

b. 
Nachdem Mose die Israeliten aus Ägypten herausgeführt hat, ziehen sie durch die Wüste, aber auf dem Weg murren sie über Gott und ärgern sich, weil sie es in der Gefangenschaft bequemer fanden und lieber zurückkehren wollen (Ex 16). Während eines Haltes bauen sie sich darum ein goldenes Tier, das sie anbeten können, während Mose auf dem Berg mit Gott spricht. Mose muss Gott bitten, sie zu verschonen. (Ex 32)
Hier steht die Wüste für den langen und beschwerlichen Weg in Richtung Freiheit, auf dem es viele Versuchungen gibt, so dass die Freiheit selbstverschuldet wieder verloren gehen kann.

c. 
Elija läuft nach einer Morddrohung in die Wüste und will dort sterben, weil er ängstlich und frustriert ist. Aber ein Engel stärkt ihn und er läuft 40 Tage lang durch die Wüste, um schließlich am Horeb einen Auftrag Gottes zu erhalten (1Kön 19).
Hier steht die Wüste für Verlassenheit und den Wunsch nach dem Tod, aber auch für Rettung und Neubeginn.

d. 
Ähnlich ist es bei Jesus – nach seiner Taufe geht er für 40 Tage in die Wüste, wo er nach dem biblischen Zeugnis fastet und dann vom Teufel versucht wird. Anschließend ist er bereit, öffentlich aufzutreten. (Mk 1,
Hier steht die Wüste für die Einsamkeit und ihre Versuchungen und dafür, dass die Versuchungen eine Vorbereitung für das Kommende sind.

Straftaten, Probleme auf dem Weg in die Freiheit, Einsamkeit, Verzweiflung, Versuchungen, Gottesbegegnung und so fort – ich denke, dass die Parallelen zum Leben im Gefängnis viel eindeutiger nicht sein könnten. Aber gleich noch mehr dazu.

2
Die Wüste wirkt in der Bibel oft so, als wäre hier nicht das Eigentliche zu finden, denn es geht ja darum, wieder heraus zu kommen – Mose, Elija und Jesus erhalten hier eine Aufgabe, an der sie außerhalb der Wüste zu arbeiten haben, und auch das Volk Israel erhält in der Wüste die Gebote, die es im Gelobten Land, in der Freiheit, verwirklichen soll.
Das bedeutet: Nach der Wüste geht es immer weiter und die Wüste ist nur ein Zwischenschritt.
Bevor es richtig losgehen kann, kommt die Wüste.

Aber so sehr das stimmt, so sehr ist es nur die halbe Wahrheit.
Denn die Wüste ist auch der Ort, wo etwas Entscheidendes geschieht, ja es ist sogar der Ort der Entscheidung. Wir Menschen müssen uns entscheiden.
In diesem Sinn ist die Wüste auch ein Bild für den Advent. Einerseits ist er "nur" die Vorbereitung auf Weihnachten. Andererseits bedeutet das lateinische Wort "adventus" auf deutsch "Ankunft", was meint, dass wir nicht bis Weihnachten warten müssen, dass Gott geboren wird und ankommt, sondern dass er schon jetzt, schon im Advent ankommen will.

Und damit sind wir wieder beim Evangelium: Wie kann Gott (im Advent, im Gefängnis, aber auch darüber hinaus) in meinem Leben ankommen? Wenn ich ihm einen Weg durch die Wüste meines Lebens bahne.

Ich weiß nicht, wie wüstenhaft Ihr Leben gerade ist, aber ich bin überzeugt, Gott ruft auch Sie, ihm einen Weg in Ihrem Leben frei zu machen.
Kein Raum zur Entscheidung?
Dresden, 2017.
Egal, ob Ihr Leben nun gerade wüstig ist oder nicht – es ist Ihre Entscheidung: Bahne ich dem Herrn einen Weg? Oder lasse ich es lieber bleiben? Lasse ich alles beim Alten oder beginne ich damit, in meinem Leben etwas zu ändern?
Die Zeit im Gefängnis ist so eine Wüste, eine Zeit der Entscheidung. Gott will genau hier bei Ihnen sein! Und Sie können ihm den Weg bahnen.
Im Jesaja-Text hieß es: "Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott! Jedes Tal soll sich heben, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, und was hüglig ist, werde eben." (vv3-4)
Da soll sich also etwas ändern. Aber was?

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Drei Hinweise, wie man diese Aufforderung, dass sich im Leben etwas ändern muss im eigenen Leben verstehen kann.

a. 
Zunächst ist die Wüste eine Gegend, in der nicht viel los ist und in der alles einfach irgendwie geschieht, ohne Plan. Wenn dort nach dem Wort des Propheten ebene Flächen geschaffen werden sollen, dann heißt das, dass zunächst einmal planvoll geschaut und Ordnung geschaffen werden soll.
Die Dinge in unserem Leben sollen nicht irgendwie und von irgendwelchen anonymen Mächten gelenkt geschehen. Wir selber müssen so klar als möglich wissen, was wir eigentlich wollen von unserem Leben – und dann aktiv werden. Und dazu hilft es, Ordnung zu schaffen, sich einen Durchblick zu verschaffen, was die großen Linien sind, wie ich gut von hier nach dort komme, was überhaupt realistisch ist und wie ich meine Kräfte einteilen muss, damit aus meinem Leben etwas wird.
Laut dem Schöpfungsbericht in der Bibel (den wir nicht wörtlich nehmen sollten, aus dem wir aber trotzdem wichtige Impulse ziehen können) ist Gott einer, der Ordnung schafft und unterscheidet – Wasser von Land, Licht vom Dunkel, Tag von Nacht und so weiter (Gen 1).
Man muss das Denken in zwei Polen nicht übertreiben, aber es hilft oft schon, einfach Prioritäten richtig zu setzen. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wissen, was gut geht und was nicht.
Manchmal ist es auch gut, sich in einer stillen Minute einfach hinzusetzen und Gott das eigene Leben in all seiner Unordnung einfach mal hinzuhalten. Er macht dann schon etwas daraus. Denn er hat einen Plan dafür!

b.
Die Stichworte "krumm" und "gerade" haben auch eine übertragene Bedeutung.
Klar: Geradlinig durchs Leben gehen ist etwas anderes als krumme Dinger zu drehen. Manchmal ist das eine leichter, manchmal das andere.
Von Straftaten mal abgesehen bin ich der Meinung, dass man mit Geradlinigkeit auch in den näheren Beziehungen normalerweise besser fährt, als wenn man versucht, die Dinge hintenrum irgendwie hinzubiegen.
Ein offenes und ehrliches Wort in freundlicher Weise rüberbringen erfordert zwar mehr Mut, als zu pöbeln oder die Wahrheit hinterm Berg zu lassen, aber es verändert etwas im eigenen Leben.
Bei Jesaja war ja auch die Rede von Freude und Furchtlosigkeit (v9). Tatsächlich kann es sehr befreiend und freudbringend wirken, wenn man sich selbst mal so aufgeräumt und geradeheraus (wie gesagt nicht im verletzenden Sinne!) erlebt.
Aber auch auf das ganze Leben gesehen, kann es gut sein, ein paar Barrieren abzutragen, sich auszusöhnen oder Löcher aus Frust und Ärger aufzufüllen. Auf jemanden aus der eigenen Familie freundlich zuzugehen und die Beziehung wieder zu glätten, wäre so eine Wegbereitung für Gott.
Gott ist dann selbst schon da und unterstützt uns dort, wo wir versöhnlich sind. Das ist die große Verheißung.

c.
Was sich ändern soll, kann man auch aus der Haltung von Johannes dem Täufer in der Wüste sehen. Nicht die äußere Haltung vielleicht, Kamelfell und Ernährung mit Heuschrecken ist wohl nicht angesagt. Aber er sagte unter anderem: "Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich". (Mk 1,7)
Einer, der größer ist?
Rütli-Campus, Neukölln, Berlin, 2016.
Ich muss dabei etwas lachen, weil hier so viele Männer im Fitnessraum trainieren. Wenn einer vom anderen jeweils denken würde, "nach mit kommt einer, der ist stärker als ich" – also räume ich nach dem Training mal gut auf, das wäre doch was...
Aber Johannes meinte natürlich nicht die körperliche Fitness.
Es ist eine Haltung der Demut, die er einnimmt. Er weiß, dass er nicht alles kann. Er weiß, dass er nicht der Messias ist. Er weiß, dass dieser Jesus, der da kommen wird, drauf hat.
Das lässt sich zweifach verstehen:
Einerseits im Blick auf meine Mitmenschen – ich muss nicht der Schönste, Stärkste, Beste, Klügste sein.
Andererseits im Blick auf Jesus – ich kann ihm vertrauen, dass er mir hilft. Was ich also eben über Ordnung machen und geradlinig leben und Versöhnung machen gesagt habe, relativiere ich gleich wieder: Vertrau darauf, dass Gott das kann. Sprich mit ihm. Lass Deine Probleme bei ihm. Er ist stärker als Du und kann sie lösen.
Wenn wir ihm so vertrauen, dann haben wir den Weg schon vollständig gebahnt.

Zum Schluss:
Bevor es losgeht, kommt die Wüste.
Scheinbar müssen in der Bibel fast alle da durch. Und auch wir müssen durch die Wüste. Selbst Gott muss durch die Wüste. Durch unsere Wüste.
Lassen wir ihn also durch, machen wir ihm den Weg frei! Er nimmt uns mit, aus der Wüste heraus. Und es wird uns selbst gut tun.

Zusammengefasst:
In der Wüste Gefängnis bei aller Trockenheit und Dürre die Chancen zur Entscheidung sehen. Gott will kommen. Ihm den Weg bahnen. Dazu: Einen Überblick über das eigene Leben gewinnen. Sich versöhnen. Gott vertrauen – er ist sowieso stärker.
Das ist Advent.