Dienstag, 26. Dezember 2017

Gott unter widrigen Umständen entdecken. Stephanus und Weihnachten

Im Stress der Feiertage zwischen Küche, Kirche und Gabentisch? Beim Suchen, Einpacken und Auspacken der Geschenke? Auf den überfüllten, dauerbimmelnden Weihnachtsmärkten? Mit Kleinkind in der Kirche?

Wo in den Tagen vor und nach Weihnachten wäre Gott denn gut zu entdecken?
Mir fällt es bei oben genannten Gelegenheiten eher schwer, Gott zu entdecken. Ich würde mich am liebsten irgendwo allein mit einem Buch, und sei es die Bibel oder das Gotteslob, zurückziehen und in die Stille gehen. Oder wenigstens in Ruhe in die Kirche. Zur Krippe.

Widriger Umstand? - Brot ohne Glanz.
Neukölln, Berlin, 2017.
Aber, das ist das Paradoxe an Weihnachten, Gott mutet uns die widrigen Umstände zu.
Heute besingen wir selbstverständlich einen "holden Knaben" und ein "trautes Paar"; singen, dass der wahre Gott "in meinem Fleisch und Blut" zu finden sei, aber die Umstände der Weihnacht könnten für eine Gottesentdeckung schwieriger eigentlich nicht sein.
Kein Wunder, dass die Könige erst in den Palast nach Jerusalem gelaufen waren, um den Retter zu finden.
Unter den erbärmlichen Umständen im Stall – darauf wären sie sicher nicht so ohne weiteres gekommen.
Aber der Gottessohn ist eben unter diesen widrigen Umständen zu finden.

Auch Stephanus, der erste Märtyrer, dessen Gedenken wir heute feiern, hätte sich sicher schönere Möglichkeit gewünscht, Gott zu begegnen, als im Augenblick seiner Steinigung, wie sie in der heutigen Lesung berichtet wird (Apg 7,54ff): "Ich sehe den Himmel offen" (v56).
Es spricht wohl besonders für seine Heiligkeit, dass er im Augenblick der Gefahr nicht nur bekennt und weiter an Gott festhält, sondern dass er Gott unter diesen Umständen auch im Gebet begegnet.

Die widrigen Umstände, unter denen Gott sich finden lässt, sind vielleicht eine gute Verbindung zwischen diesem weihnachtlichen Märtyrerfest und der Feier der Geburt Jesu.

Bei Christian Lehnert habe ich einen schönen Kurztext über das Gebet gefunden, der mich auf diesen Gedanken gebracht hat. Er schreibt:

"Das langsame Kreisen der Kugellampen aus geriffeltem Glas läßt helle Flecken an der Kirchendecke tanzen, wirr und doch geordnet. Die Heizung unter den Bänken knackt laut, während die Orgel einsetzt zum Präludium. Widrige Umstände – wie soll ich hier etwas empfinden können von 'Gott'? Und dennoch verändere ich mich, eingeklemmt in die Kirchenbank, im Gebet... [...]
Ich dränge auf Einlass ins Offene ... Und ich muss dabei zwangsläufig zurücklassen, was ich suche. Wenn ich betend anklopfe, habe ich einen bestimmten Willen nach 'etwas', ein Begehr. Wenn mir geöffnet wird, sei's ein vager Spalt, ist dies bereits unverständlich geworden. Ich weiß nicht mehr, was ich eben suchte. Weit entfernt liegen dann die Fragen, wie ich fassen könne, was ich da ersehnte, wie der Gott in mir geschehen solle oder wie er, undenkbar, außerhalb sei, wie überhaupt 'da' ... Indem ich nichts mehr erwarte, beginnt sich etwas zu regen. Ich habe eine Dynamik in Gang gesetzt (genauer wohl: zugelassen), die ich nicht mehr beherrschen kann.
'Gott', das bedeutet jetzt: Er lauscht und wartet."1

Das scheint die weihnachtliche Herausforderung zu sein: zwischen "Last Christmas" und Braten diese Dynamik gespannter, aber offener Aufmerksamkeit in Gang setzen, in die hinein Gott zu mir kommt.
Das macht diesen Gott so außerordentlich – dass er keine geordneten Verhältnisse abwartet, sondern ungesucht eintritt. 
Sogar in die oft genug unheilige Familienstimmung und nicht in ruhigen Gebetsminuten.

Auch hier!?
Rüdersdorf, 2015.

1   C. Lehnert, Der Gott in einer Nuß. Fliegende Blätter von Kult und Gebet. 2. Aufl. Berlin 2017, 14f.