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Mittwoch, 19. Juni 2019

Fronleichnam und die Zerstörung der Globuli

Als in der letzten Sendung des Neo Magazin Royale über die Homöopathie hergezogen wurde, musste ich kurz schmunzeln. Insgesamt war die Sendung ja gar nicht sehr aufs Schmunzeln angelegt, sondern auf Böhmermann-typische Weise aufklärerisch-provokativ, nicht zuletzt durch den Besuch von Rezo und einem politisch angehauchten Gespräch.

Grund meines Schmunzelns aber war der Gedanke an die mögliche innere Verbindung zwischen den geschmähten Globuli und dem heutigen Hochfest Fronleichnam, bei dem Katholiken Leib und Blut Christi in den Gestalten von Brot und Wein verehren.

Mittwoch, 5. Juni 2019

Komm, großer Verflüssiger

Jede Rede aber, wenn sie nur einmal geschrieben, 
treibt sich allerorts umher, 
gleicherweise bei denen, die sie verstehen, 
wie auch bei denen, für die sie nicht passt, 
und sie selber weiß nicht, zu wem sie reden soll, zu wem nicht. 
(Platon, Phaidros)

Im Lebensatem Gottes wohnt das Wort

Als Hauch verhallt auf Golgotha

Geronnen zur Schrift durchwohnt es die Zeit.

Komm, Geisthauch, großer Verflüssiger

Mach das Wort lebendig in meiner Brust

Bring es zurück ins Gespräch

Lass schmelzen die Härten, durchtöne den Sturm

Küss wach die Seiten, die Zeilen, das Wort

Entdecke es mir im Meer der Zeit

Und kräftige mich mit seiner Kraft

Durch dich lebt es neu von Mensch zu Mensch

Trauben vor der Reife.
Gau Algesheim, 2019.
Mehr Geistlyrik hier, Bilder zur Pfingstsequenz hier, über Geist und Demokratie hier, über die Geisterfahrung nach Karl Rahner hier.

Mittwoch, 22. Mai 2019

Großartiges Ich. Unverlierbare Würde. Über Maria und das Grundgesetz

Das Grundgesetz feiert Geburtstag.

Ich mag das Grundgesetz, also gratuliere ich gern.

Besonders denke ich, wie so Viele, an den ersten Satz.

"Die Würde des Menschen ist unantastbar." (Art 1, Abs. 1, Satz 1, GG)

Ein hoher Anspruch, der trotz der scheinbar einfachen Botschaft missverständlich bleibt.

So richtig klar ist schließlich nicht, was genau diese Würde überhaupt sein soll.

Mir fällt dazu ein Satz ein, den der Evangelist Lukas Maria in den Mund legt.

Der Mächtige hat Großes an mir getan.“ (Lk 1,49)

Samstag, 11. Mai 2019

Christus ist mitten unter uns – Zur Theologie des Gottesdienstes

Gott will bei den Menschen sein – das ist der Kern des Christentums.
Es ist der Kern von Weihnachten, wenn wir feiern, dass Gottes Wort ein Mensch wird.
Es ist der Kern des Osterfestes, wenn wir feiern, dass Jesus über den Tod hinaus bei den Seinen ist.
Es ist der Kern von Pfingsten, wenn wir feiern, dass Gott im Heiligen Geist bei uns bleibt.
Immerzu feiert die Christenheit Gottes Gegenwart unter den Menschen.
Es ist auch der Kern unseres Gottesdienstes.

Heute sollen darum ein paar Gedanken zur Feier unserer Gottesdienste als Predigt dienen.


1. Versammlung
Das, womit der Gottesdienst beginnt, ist kein Wort, ist kein Lied, ist kein Zeichen.
Das Erste ist, dass wir zusammenkommen.
Denn wir können zwar auch jeder allein für sich beten, doch am Sonntag kommen wir zusammen. Wir stehen dann nicht allein vor Gott, sondern als Gemeinde.
Versammelt und vorbereitet.
Erkner, 2018.
Sie sind hier, im Gottesdienstraum der JVA Plötzensee, die versammelte Gemeinde Gottes an diesem Sonntag. Ob Sie nun getauft sind oder nicht, ob Sie glauben oder nicht, ob Sie katholisch sind oder evangelisch oder orthodox – Sie haben sich zum Gottesdienst versammelt.
Weshalb Sie genau gekommen sind, ist deshalb auch gar nicht so wichtig – wichtig ist, dass wir uns heute hier versammelt haben.

Denn Gott meint und ruft zwar jeden einzeln und persönlich, und wir können auch einzeln und persönlich mit ihm in Kontakt kommen, aber darüber hinaus ruft er uns zur Gemeinschaft. Wir sollen nicht allein bleiben.
Vielmehr will Gott die Menschen zusammenrufen, er will in ihrer Mitte wohnen, er will, wie es die Osterberichte zeigen, in ihre Gemeinschaft kommen und Gemeinschaft unter uns Menschen stiften.

Und wenn wir uns versammelt haben, dann können wir uns auch unter ein gemeinsames Zeichen stellen. Für uns Christen ist es das Kreuzzeichen – das Zeichen, das uns verbindet und zeigt, dass wir zu Jesus Christus stehen, der sich aus Liebe für die Menschen hat kreuzigen lassen.
Unter diesem Zeichen haben wir uns versammelt.

Wir bleiben nicht allein, weil wir mit den Anderen zusammen hier stehen. Und wir bleiben nicht allein, weil Gott dann selbst zu uns kommen will.

2. Sich selbst vor Gott bringen
Wenn wir uns versammeln, dann kommt jeder anders in diesen Raum. Der eine hat gut geschlafen, der andere nur mit schweren Medikamenten, einer schaut auf die Lockerung, die hoffentlich bald kommt, ein anderer macht sich Sorgen um die Familie draußen, einer musste gerade noch einen Konflikt auf der Piste austragen, ein anderer konnte in Ruhe den Tag beginnen...
Wir kommen mit unterschiedlichen Gefühlen und Erfahrungen, mit unterschiedlichen Hoffnungen und Ängsten. Und all das können wir mitbringen in diesen Gottesdienst.

Wer sich am Beginn des Gottesdienstes etwas Zeit nimmt und in Stille vor Gott tritt, der sammelt sich sozusagen selbst ein und legt all das, was er ist und hat, vor Gott hin.
All das, was in einem Leben misslungen ist, was zerbrochen ist, was steckengeblieben ist, aber auch das, was gelungen ist, was leuchtet und glänzt, was nur so schnurrt, kann dann beim Gottesdienst dabei sein.

Jeder ist gerufen, als ganzer Mensch in der Gegenwart da zu sein. Denn nur wenn wir ganz da sind, kann auch Gott ganz bei uns sein – wenn wir verstreut und mit vielen anderen Dingen beschäftigt sind, werden wir auch Gottes Gegenwart nicht bemerken. (Das gilt natürlich nicht nur für den Gottesdienst, sondern auch sonst...)

3. Lobgesang und Gebet
In dieser gesammelten Gegenwart kommen wir natürlich auch zu Gesang und Gebet zusammen.
Wir wenden uns Gott zu und nehmen Kontakt mit ihm auf. So tasten wir über uns hinaus und hoffen, dass da jemand ist, der uns hört.

Besonders intensiv kann dieses Gebet werden, wenn es gesungen wird. Nicht nur ein Stammeln und Verhaspeln, sondern der Versuch, Gott mit Klang und Stimme zu erreichen.
Zwar könnten wir auch aussprechen, was uns wichtig ist, aber wenn wir singen, dann klingt es im wahrsten Sinne des Wortes noch einmal völlig anders.
Denn der Ton macht, wie man so sagt, die Musik. Und er macht eben auch das Gebet.
Wenn wir die Stimme erheben, dann gehen wir über uns hinaus – wir strengen uns an, wir bringen unser Anliegen zum Klingen, wir bringen es festlicher und feierlicher vor.

Boden. Auch bereitet.
Sonnenallee, Berlin, 2019.
Schließlich kann uns der Gesang auch in meditative Stimmung versetzen – wie das bei den Troparien oder dem Trishagion der byzantinischen Liturgie in der Ostkirche der Fall ist, oder auch bei den vielmals wiederholten Gesängen in Taizé.
Deshalb singen wir immer wieder während des Gottesdienstes – es ist das gemeinsame Gebet, ist ein Einstimmen in das Gebet der vielen Mitfeiernden – und, wie wiederum in der Ostkirche stark betont wird, es ist ein Mitsingen mit den Chören der Engel im Himmel. Vielleicht klingt es nicht so himmlisch, aber wir dürfen uns einklinken und darauf vertrauen, dass wir in einem gewaltigen Chor mitsingen und Gott loben.

4 Hören und Bekennen
Stille und Besinnung gehören also in den Gottesdienst ebenso wie Gesang und Gebet.
Aber nun kommt ein weiterer Punkt, den viele mit Kirche besonders stark assoziieren: das Hören.
Und natürlich sind es die Lesungen aus der Heiligen Schrift, die im Zentrum stehen, wenn es um das Hören geht. Wenn wir aus den Schriften der Bibel vorgelesen bekommen, dann wird eine Verbindung hergestellt zwischen uns und den damals Lebenden mit ihren Gotteserfahrungen. Das, was damals eine Bedeutung hatte, kann es auch für uns haben.

Denn wir glauben:
Christus ist in seinem Wort mitten unter uns.
In diesem Sinne wurde die Bibel auch als eine Art Brief Gottes an den Lesenden oder Hörenden bezeichnet. Denn so wie ein Briefschreiber in dem anwesend ist, was er ganz persönlich einem anderen schreibt, so ist auch Gott anwesend, wenn wir biblische Lesungen hören.
Und noch mehr: Gott schenkt sich uns in seinem Wort.
Denn beim Hören können wir uns darauf verlassen, dass er uns meint und uns aufrichten oder aufrütteln, trösten oder ermahnen will. Dass er uns einlädt, uns ansprechen zu lassen und verwandelt zu werden.

Gott schenkt sich auch in Brot und Wein. Das ist sozusagen die handfeste Variante. Wo er einsteht für das, was er uns im Wort verspricht. Die Verwirklichung des Wortes in Fleisch und Blut.
Das können wir hier nicht in dieser Form feiern.

Aber beides – Gottes Anwesenheit im Wort und seine Anwesenheit im Mahl – soll uns verwandeln.

Dann können wir antworten auf dieses Wort, das Gott uns an diesem Tag gesagt hat.
Klassischerweise kommt nach der Auslegung der Lesungen (also der Predigt) deshalb das Glaubensbekenntnis. Das Bekenntnis ist sozusagen die bestätigende Antwort auf das, was Gott durch die Bibel zu den Feiernden sagt.

5 Versöhnung
Ein weiteres Element des Gottesdienstes ist die Versöhnung, der Friedensgruß.
Dazu lädt Gott uns ein: Dass wir uns mit einander und mit ihm versöhnen.
Es geht also wiederum nicht nur um Gott und mich allein, sondern darum, dass wir mit den Menschen um uns in ein besseres Verhältnis kommen.
In einem Gottesdienst wird dann nicht ausdiskutiert, was schief gelaufen ist, man wird nicht anklagen und verteidigen oder bitterlich um Verzeihung bitten. Aber man kann ein Zeichen setzen.
Es ist ein Zeichen des guten Willens, eine Geste. Wir reichen einander die Hand.

Man könnte sagen: NUR eine Geste, NUR ein Zeichen. Man kann aber auch sagen: Immerhin ein Zeichen, immerhin ein Anfang.
Und tatsächlich bitten wir Gott ja um den Frieden, wir hoffen auf Kraft für einen neuen Anfang mit denen, die um uns herum sind. Schließlich hoffen wir, dass wir diesen Frieden auch ausbreiten können.
Damit erbitten wir eigentlich eine Aufgabe von Gott. Er soll uns seinen Frieden geben, damit wir friedliche Menschen werden.
Ob das nun jemandem im Gottesdienst Kraft gibt – oder ob es vielmehr Kraft kostet, das ist eine interessante Frage, die ich an anderer Stelle gern noch einmal näher betrachten will.

Im weiteren Sinne ist das sogar eine politische Aufgabe. Der Frieden, den wir im Gottesdienst nur in der Geste des Friedensgrußes weitergeben, soll außerhalb des Gottesdienstes unser Leben bestimmen.
Nicht dass das oft geklappt hätte in der Geschichte der Kirche: Aber immerhin ist dieser Wunsch des Friedens eines der durchgehenden Worte, die der auferstandene Jesus in vielen Erscheinungsgeschichten sagt. Es scheint damals genauso wie heute nötig gewesen zu sein, Frieden zu empfangen und Frieden weiterzugeben.

Was sonst?
Moabit, Berlin, 2016.
6 Für Andere bitten
An den Friedensgruß schließen sich bei uns die Bitten an.
Versöhnt mit Gott und den Menschen können wir das vorbringen, was uns auf dem Herzen liegt.
Sicher sind das in vielen Fällen Anliegen, die uns betreffen oder jene, mit denen wir eng verbunden sind.
Aber die Bitten sind auch ein Moment im Gottesdienst, wo sich die Gemeinde, wo sich die einzelne Person öffnen kann für Dinge, die sonst außerhalb des eigenen Horizonts liegen.

Auch alle anderen werden nun mit in den Blick genommen, besonders die Notleidenden, die Schwachen, diejenigen, die nicht glauben können oder die bei allen anderen hinten runterfallen.
Ich persönlich finde es deshalb sehr schön, wenn in Gemeindegottesdiensten bisweilen auch an jene erinnert werden, die im Gefängnis sitzen. Wer denkt sonst schon in dieser Weise an Sie – außer Ihren Angehörigen?
Und auch Sie können hier an jene denken, die sonst vergessen werden. Oder an die, die unsere Bitten besonders nötig haben.

Hinter der Bitte steht die Einsicht, dass wir nicht alles selber schaffen.
So wenden wir uns an jemandem, dem wir zutrauen, dass unser Anliegen bei ihm gut aufgehoben ist.
Wenn wir unsere Bitte vor Gott formulieren, vertrauen wir ihm diese Sache oder diese Person an. Weil wir ihn gegenwärtig glauben, legen wir ihm das vor, was uns bewegt.
Damit geben wir Sorge und Angst aus der Hand, damit sie uns nicht mehr so stark bedrängen wie vielleicht zuvor.

Am Rande sei erwähnt: Eine Hochform des Bittgebets stellt das Vaterunser dar. Und hier fällt auf, dass die Hälfte der Bitten sich auf etwas beziehen, das eigentlich Gott betrifft – „geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe." In diesen Formulierungen zeigt sich, dass das klassische Bittgebet nicht um sich selbst und die eigene kleine Welt kreist, sondern sich öffnet für Andere.

7. Sendung
Am Schluss steht schließlich die Sendung.
Nichts anderes nämlich ist der Segen: Er ist das Ausgesendetwerden in die Welt, damit das, was im Gottesdienst an uns geschehen ist, auch eine Auswirkung in unserem Alltag und unseren Beziehungen hat.
Gott wollte uns bestärken und ausrichten, trösten und halten, damit wir nun in seinem Sinne leben und handeln können.
Der Segen ist ein Auftrag. Und er steht unter demselben Zeichen wie der Beginn des Gottesdienstes: Wir werden unter dem Zeichen des Kreuzes in die Welt gesandt: Liebe bedeutet Schwachheit, aber Liebe überwindet vieles, was wir mit Gewalt und Willen nicht erreichen können. Liebe ist stärker als Leid und Tod.

Der Segen verheißt uns, dass wir Gottes Gegenwart auch dort entdecken können, dort in der Welt, wo unser Alltag ist. Dort, wo Leid und Ärger, Tod und Abschied, Trauer und Angst und Versagen sind.

So werden wir gesandt als Gesammelte, als Hörende, als Lobende, als Bekennende und nicht zuletzt als Boten des Friedens. Und hoffentlich auch als Verwandelte und Erneuerte, obwohl wir doch zu oft die Alten bleiben.

--

Mehr zu Eucharistie und Wortgottesdienst hier, mehr zum Liturgieablauf hier, mehr zur Hirtenthematik des Sonntags hier und hier, mehr zum Muttertag hier.

Erneuerung.
Kirche in Niedergrunstedt, 2017.

Donnerstag, 2. Mai 2019

Vom Kern des Auferstehungsglaubens – Kurz gefasst von Medard Kehl

Alle paar Jahre wieder wird berichtet, wie schwer sich deutsche Christen mit dem Glauben an die Auferstehung und ein Leben über das irdische Leben hinaus tun.
Gerade in der Osterzeit ist das ein besorgniserregender Befund.

Begründet ist die Skepsis vieler Getaufter zum Einen mit dem um sich greifenden naturalistischen Weltbild, das sich als metaphysikfreie Welterklärung ohne Himmel anbietet. Dazu habe ich an anderer Stelle die spannenden Überlegungen von Holm Tetens angedeutet.

Zum Anderen versteht sich ein solcher Unglaube immer noch und immer wieder als Aufstand gegen die mythische Sprache von Bibel und Tradition.

Dienstag, 23. April 2019

„Geburt des Morgens“ - Österliche Natur bei Andreas Knapp

In der Natur zeigen sich gerade im Frühjahr Andeutungen und Zeichen dessen, was wir als Christen unter Auferstehung und neuem Leben verstehen1 – kein Wunder, dass Ostern in der Blüte des Jahres gefeiert wird.

In seinem Gedichtband „Beim Anblick eines Grashalms“ hat Andreas Knapp „Naturgedichte“ versammelt, die oftmals mehr oder weniger deutlich eine spirituelle Lesart enthalten.
So auch hier2:

Geburt des Morgens
Neue Farben in der Stadt.
Neukölln, Berlin, 2019.

der letzte Stern
gibt der Amsel den Einsatz

im Crescendo des Lichts
wächst die Erwartung des neuen Tages
der erste Sonnenstrahl
bricht sich in den Nachttränen

tausendfaches Aufblitzen im Tau
als habe sich der Sternenhimmel

in den Grashalmen verfangen
alle Farben werden neu erfunden

ein Atemzug Ahnung
vom ersten Schöpfungstag


Was mich sofort anspricht: das Bild der neu erfundenen Farben.

So verstehe ich Auferstehung sofort:
Neues Leben bedeutet neue Farben.
Das sind zunächst einmal Negierungen: Nicht matt, nicht altbekannt, nicht verblasst, nicht schwarz-weiß, nicht althergebracht, nicht rosig, nicht von früher übernommen, nicht grau, nicht wiederholt.
Sondern: neu.

Alles wird neu, denn Auferstehung ist eine Neuschöpfung. Daran erinnern die letzten Zeilen: Ahnung der Frische des Urzustands.
Was wir bisher gesehen haben, ist nicht vergleichbar mit dem Neuen. Unsere Kategorien greifen nicht mehr, die Augen können nicht fassen, was Auferstehung von Gott her meint, nämlich das gänzlich Neue für uns: neue Farben, ein neuer Morgen, neue Schöpfung, neue Lebendigkeit.



1   Siehe dagegen aber auch: Die Auferstehung ist kein Schmetterling.
2   A. Knapp, Beim Anblick eines Grashalms. Naturgedichte. Würzburg 2017, 78.

Samstag, 20. April 2019

Karsamstag: Blick in den Abgrund mit Andrea Mantegna

Die aktuelle Ausstellung "Mantegna und Bellini – Meister der Renaissance" in der Berliner Gemäldegalerie zeigt einige eindrucksvolle Karsamstagsbilder. Unter dem Titel "Der Abstieg Christi in die Vorhölle" hat Andrea Mantegna ein bemerkenswertes Motiv kreiert und in vielen Variationen ausgeführt, das der heute gängigen Betonung der karsamstäglichen Grabesruhe entgegensteht.

Vielmehr zeigt der oberitalienische Künstler, was die theologische Spekulation hinter den Kulissen des Todes vermutet: Christus steigt zu den Toten hinunter. Er, der am Karfreitag als Mensch gestorben war, hat nun die erlösende Aufgabe, zu all den anderen Toten hinunterzusteigen und sie teilhaben zu lassen an der kommenden Auferstehung.

Montag, 1. April 2019

Darf ein Priester am Sonntag in der Bank sitzen?

Gestern habe ich den Gemeindegottesdienst mit äußerst ambivalenten Gefühlen verlassen.
Denn der Prediger in meiner Ortsgemeinde bot zwar eine sehr schöne Auslegung des Sonntagsevangeliums, aber er fügte auch noch einige Bemerkungen an, die mich nachdenklich zurückließen.
Es ging darum, dass er als Priester, der im Pfarrhaus neben der Kirche wohnt, aber nicht für die Pfarrseelsorge eingesetzt ist, sich nicht als Notnagel der Gemeindepastoral gebrauchen lassen wolle. Konkret gedenke er, lieber auch in den (bei uns regelmäßig stattfindenden) sonntäglichen Wortgottesdiensten in der Bank zu sitzen und auf diese Weise mit zu feiern, zumal er bei seiner Ankunft einen Wortgottesdienst erlebte, der ihn positiv beeindruckt hat.

Alte Kirchenteile, neu verpackt.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
Ich stelle mir schon jetzt den Aufschrei vor, der durch die hiesigen Gemeinden gehen wird, nachdem monatelang um eine Gottesdienstordnung für die kommende Großpfarrei Nordneukölln mit ihren zwei Priestern, drei Hauptkirchen und fünf Gottesdienstorten insgesamt gerungen wurden. 
Der Wunsch nach Eucharistiefeiern und die gefühlte Not, nicht genügend Priester für das bisherige Gottesdienstangebot zu haben, war in den Diskussionen deutlich spürbar. Und nun ist da ein Priester, der im Zweifelsfalle aber nicht als Zelebrant zur Verfügung steht.

Persönlich finde ich die Haltung eines Priesters, der am Sonntag lieber einen Wortgottesdienst besucht, statt selbst eine Eucharistiefeier anzubieten, mindestens merkwürdig.
Aber ich kann die dahinterstehenden (und in den Bemerkungen des Geistlichen angedeuteten) Gründe teilweise verstehen.
Denn man kann diese Haltung von den verschiedenen möglichen Effekten her und damit in mehrfacher Hinsicht ansehen.

1: Pro I
Wenn es darum geht, Laien zu selbstverantwortlichem, auch liturgisch eigenständigem, Handeln zu motivieren und sich damit einem Klerikalismus entgegenzustellen, der ja oft von auf Priester fixierten Laien ausgeht, dann halte ich es für gut, wenn sich nicht in jede mögliche Gottesdienstform ein Priester hineindrängt.
Dann halte ich es auch für akzeptabel, wenn ein Priester an einem Sonntagvormittag in einer Kirche Eucharistie mit der Gemeinde feiert und anschließend zum Gemeindekaffee bleibt, dafür in einer anderen Kirche ein Wortgottesdienst gefeiert wird (so hier vor Ort zum Teil die künftige Praxis). Meiner Meinung nach muss ein Priester nicht von Messe zu Messe hetzen, damit nur ja unter allen Umständen keine eucharistiefreie Zone am Sonntag entsteht (auch wenn ich selbst eher geneigt bin, dann lieber einen weiteren Weg für eine Sonntagseucharistie auf mich zu nehmen).
Schließlich ist ein Priester keine Sakramentenmaschine, sondern ein Mensch.

Unter der Hinsicht der Ermutigung von Laien zu selbstmächtigen Handeln im Kirchenraum kann ich also nachvollziehen, dass nicht auf Druck immer eine Eucharistie gefeiert werden muss. (Darüber hinaus kann in einer Eucharistiefeier ruhig immer mal ein qualifiziertes Glaubenszeugnis oder eine persönliche Auslegung der Lesungen statt Predigt "im Angebot" sein, denn an der fehlenden Predigtvorbereitung des Priesters soll es nun nicht scheitern.)

2: Pro II
Zugleich wird der Eigenwert von Wortgottesdiensten hervorgehoben, wenn dort das Wort Gottes in einer schönen Form gefeiert, zu Gehör gebracht und ausgelegt wird. Wider die eucharistische Monokultur!
Das wäre die Bejahung dieser Haltung unter Hinsicht der gottesdienstlichen Vielfalt.
Andersherum wird durch die Feier von Wortgottesdiensten auch der Wert der Eucharistiefeier wieder mehr betont. Denn logischerweise steigt das Rare im Wert, wird man sich dessen, was man aktuell nicht hat, stärker bewusst und schätzt es mehr.

Alles ist fast schon bereitet.
Nikolaikirche, Stralsund, 2018.
3: Contra I
Demgegenüber steht beim Priester die Weihe zum Dienst.
Nicht für die persönliche Heiligung oder zur Erbauung der Hierarchie oder für das Erbringen wissenschaftlicher Leistungen wird jemand zum Priester geweiht, sondern für den Dienst am Volk Gottes.
Das Amtspriestertum ist ein Dienstamt!

Das bedeutet (wie oben schon erwähnt) nicht, dass Priester nur für liturgische und sakramentale Belange da wären (auch wenn das im Zeitalter von Verwaltungsleitern einer Pfarrei, die nicht Priester sind, praktisch im Vordergrund steht).
Der Dienst des Priesters besteht in solchen Situationen jedoch darin, sich auch dann für liturgische Feiern zur Verfügung zu stellen, wenn er eigentlich keine Lust dazu hat oder aus oben genannten (und möglicherweise noch anderen) Gründen der Meinung ist, dass keine Eucharistiefeier angeboten werden muss.

Unter der Hinsicht der grundsätzlichen Zielstellung des Amtspriestertums in der katholischen Kirche wäre es also mehr als angemessen, für die sonntägliche Feier der Eucharistie bereit zu sein. 
(Aus privatem Erleben als Seelsorger mit Familie kann ich sagen, dass hier ein äußerst praktischer Grund für den Zölibat liegt - auch ich möchte gern mal am Sonntag frei haben und mit meinen Kindern den Gottesdienst besuchen und nicht immer selbst vorn stehen.)

4: Contra II
Noch mehr gilt dies in Hinsicht auf die Ausbildung. Die Priester nämlich wurden, im Gegensatz zu den meisten Gläubigen, genau für diese liturgischen Feiern ausgebildet.
Während viele engagierte Laien, die nicht im kirchlichen Dienst stehen, vor großen Problemen stehen, wenn sie einen Gottesdienst leiten oder einen Segen spenden oder eine Predigt halten sollen, gehört es für den Priester zum Alltag, in kompetenter Weise liturgische Präsenz zu zeigen (was, zugegeben, mal mehr und mal weniger gut gelingt...).

Nur mal zum Vergleich: Würde der Busfahrer sich lieber nach hinten in den Bus setzen und stattdessen einen Fahranfänger ans Steuer lassen, würden wir uns doch sehr wundern. Der anwesende, aber nicht aktiv werdende Arzt würde im Fall der Fälle sogar vor Gericht kommen.
Aber in der Kirche soll der Heilige Geist nun in allen gleichermaßen wehen, egal wie professionell sie der liturgischen Aufgabe gerecht werden können. Bei aller Liebe: die Ausrichtung an den verschiedenen Talenten schließt eine Förderung dieser Talente gerade mit ein.

Ich halte es deshalb unter dieser Hinsicht nötiger, nicht vorgebildete Laien mehr auszubilden und zu befähigen, als sie irgendetwas machen zu lassen. Das würde Wortgottesdienste nämlich wirklich entwerten.

5: Conclusio
Mir persönlich liegt die Betonung des Dienstcharakters der Priesterweihe (s. 3) besonders am Herzen. Wenn ein Priester demütig Gott und dem Volk Gottes dient, wird Klerikalismus (s. 1) auch kein Problem werden. Ein solcher Priester wird die nichtgeweihten Gläubigen gern ermutigen und befähigen (s. 4), im rechten Moment das ihnen Gemäße zu tun – und selbst seine eigenen Aufgaben wahrnehmen.

Damit bin ich vom konkreten Erlebnis sehr weit ins Allgemeine gerutscht – aber so ist das eben.
Ich hoffe auf gedeihliches Gemeindeleben.

Alles im Umbau.
Kulturkirche, Neuruppin, 2017.

Donnerstag, 21. März 2019

Freiheitsgewinn 1 – "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche" von Doris Wagner

In den letzten Themenreihen der Fastenzeit habe ich mich stark auf die Passion fokussiert – 2016 "Der Gekreuzigte" und 2018 "Das Sterben spüren".
Das Thema in diesem Jahr soll "Freiheitsgewinn" lauten, denn Fasten hat ja auch zu tun mit dem Heraustreten aus der eigenen Begrenztheit hinein in die Weite Gottes.
Es soll in den Beiträgen unter diesem Titel darum gehen, Abhängigkeiten und Enge zu erspüren und Freiheitspotenziale auszuloten.

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Am Beginn stehen im vorliegenden Beitrag die Analysen und Schlussfolgerungen von Doris Wagner, ehemalige Ordensfrau und (inzwischen verheiratete) Autorin des bemerkenswerten Buches "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche".1

Dienstag, 19. März 2019

War Josef der leibliche Vater Jesu? Zwei Antworten von Joseph Ratzinger

Zum Fest des heiligen Josef möchte ich kurz zwei unterschiedliche Antworten zu oben genannter Frage referieren. Zwei Antworten, die interessanterweise von ein und dem selben Autor stammen, allerdings liegen zwischen ihnen 44 Jahre.

Samstag, 26. Januar 2019

Gott nicht loben! Eine Anklage aus Elie Wiesels "Die Nacht"

Wo war Gott in Auschwitz? Warum hat er zugelassen, dass sein auserwähltes Volk millionenfach ermordet wird?
Fragen nach der Rechtfertigung Gottes beschäftigen jüdische und christliche Theologen seit langem, ohne dass sie sich letztgültig beantworten lassen.1

Der Holocaustüberlebende Elie Wiesel, der 2016 im Alter von 87 Jahren gestorben ist, hat in seiner frühen Erinnerungserzählung "Die Nacht" den Zorn eines gläubigen Juden am Neujahrsfest Rosch Haschana festgehalten. Die Häftlinge versammelten sich auf dem Lagergelände von Auschwitz zum Gebet:

Samstag, 18. August 2018

Der Laientheologe und die eucharistische Kirche. Ein Konfliktfeld in der Praxis

Vor ein paar Tagen las ich in der Herder-Korrespondenz ein Interview mit dem Bostoner Erzbischof Seán Patrick O'Malley, der davon sprach, dass wir als katholische Kirche "eine eucharistische Kirche" seien.
Ohne es an dieser Stelle zu explizieren, bezieht er sich damit auf eine schon bei Paulus bezeugte1 und seit der frühen Kirche des zweiten Jahrhunderts gewachsene Theologie, derzufolge der Ursprung der Kirche als lebendiger Leib Christi in der Feier des Mahles um den eucharistischen Leib Christi liegt. Das Zweite Vatikanische Konzil weist ebenso darauf hin wie Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika mit dem sprechenden Namen "Ecclesia de Eucharistia" (2003), der wie üblich ihrem ersten Satz entnommen ist: "Die Kirche lebt von der Eucharistie."2

Mir ist diese Art des Herangehens an Kirche und Kult sehr einleuchtend, wie ich auch hier schon dargestellt habe. Durch die Mitfeier der Messe wird für mich im Idealfall eben nicht nur die Gemeinschaft mit Christus, sondern auch mit den anderen Mitfeiernden spürbar.

Dienstag, 14. August 2018

Wen bevorzuge ich als Gefängnisseelsorger? Gedanken zu Mariä Himmelfahrt

Von Zeit zu Zeit werde ich gefragt, wie ich das denn mache bei meinen Gesprächen im Gefängnis. Ob ich nicht ab und zu der Meinung sei, ich hätte nun schon wieder dasselbe gehört wie gestern. Ob ich auch wirklich jede persönliche Tragik individuell würdigen könne. Und überhaupt, wie es denn sei, wenn so viele verschiedene Leute kommen und alle ernst- und wahrgenommen werden wollen – das ginge doch sicher nicht?!

Himmelwärts mit Hindernissen.
Vogelnetze, Zoologischer Garten, Berlin, 2017.
Tatsächlich muss ich sagen, dass das von meiner Tagesform abhängig ist.
Aber im Großen und Ganzen versuche ich, bei jeder Person, die mir gegenüber sitzt, ganz anwesend zu sein und ihr mit größtmöglichem Wohlwollen zu begegnen.
Ich kann und will nicht unterscheiden, wen ich mehr und wen ich weniger ernst nehme.
Kurz: Die wichtigste Person ist immer die gerade anwesende.

Wenn wir (bei aller bleibenden größeren Unähnlichkeit der Vergleichspartner in dieser Sache!) auch Gott als Seelsorger aller Menschen ansehen, der noch dazu immer bei jeder Person anwesend ist, hieße diese Aussage, dass ihm jede Person die wichtigste ist.
Das passt natürlich wunderbar zu grundlegenden Aussagen über Gott. Und auch dem modernen Bewusstsein für Gerechtigkeit kommt es entgegen.

Wie aber passt es zusammen mit dem, was die Kirche über Maria sagt, die der katholische Glaube mit so viel wunderbaren Wendungen und Namen besingt?
Man nehme nur die Marienlieder:
Maria ist dort die Gnadenreiche, Makellose, Engelsgleiche, Wunderschön prächtige, hohe und mächtige, liebreich holdselige himmlische Frau, Mutter der Barmherzigkeit, Patronin voller Güte, Pforte der Seligkeit, ...

Von Gott her geschaut scheint es da eine eindeutige Bevorzugung Mariens vor anderen Menschen zu geben.

Und bei allem Idealismus gibt es selbstverständlich auch für Seelsorger Personen, die einem näher sind als andere. Vielleicht würde ich sie nicht sooo ausufernd loben, aber die Unterschiede sind schon deutlich da, ob ich das nun will oder nicht.
Mit dem einen komme ich leichter ins Gespräch, mit anderen teile ich gemeinsame Erfahrungen (wie das Vatersein), andere kommen aus der gleichen Gegend wie ich...

Dieser Ungleichheit entkommt man auch bei Gott nicht.
Schon im Alten Testament zeigt sich, dass Gott recht wählerisch ist und manche Menschen vor anderen eindeutig bevorzugt – Abels Opfer nimmt er an, Kains will er nicht – was für Abel zum Verhängnis wird (vgl. Gen 4,1-8). Ähnlich geht es Joseph, dem Träumer, der von seinen Brüdern wegen der Liebe des Vaters und wegen seiner gottgesandten Träume beneidet und schließlich verkauft wird (vgl. Gen 37).
Schließlich erwählt Gott sich ein ganzes Volk auf Kosten der Anderen und verspricht sogar: "Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder und für dein Leben ganze Völker." (Jes 43,4)
Zugleich bekennen wir Gottes Willen, dass nicht nur einige, sondern „alle Menschen gerettet werden" (1Tim 2,4) und hoffen darauf, dass er am Ende der Tage die ganze Schöpfung heimholt zu sich.

Worauf will ich mit all dem hinaus?
Die Spannung zwischen der Vorstellung einer Gleichheit aller Menschen vor Gott und den biblischen Berichten einer eindeutigen Bevorzugung von Einzelnen ist krass.
Mir jedenfalls macht diese Spannung zu schaffen, vor allem angesichts der vielen besonderen Aussagen über Maria, von der unbefleckten Empfängnis über die jungfräuliche Geburt bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel, die wir heute feiern.
Auch im Evangelium des Festes singt Maria davon, dass Gott Großes an ihr getan habe und alle Geschlechter sie nun selig preisen würden (vgl. Lk 1,49.48).

Wie lässt sich diese Spannung befriedigend auflösen?
Eine Lösung, die ich (größere Unähnlichkeit vorausgesetzt) für diese Spannung in meinem seelsorglichen Handeln gefunden habe, kam oben zur Sprache: Der aktuell Anwesende ist der Wichtigste. Auch wenn es mir bei jenen, die mir in irgendeiner Hinsicht ähnlicher sind, natürlich leichter fällt. 

Der Himmel steht uns offen!
Blankensteinpark, Friedrichshain, Berlin, 2018.
Vielleicht beruft auch Gott zur Mitarbeit an seinem Werk Leute, die ihm ähnlich sind1 – Maria wird gezeichnet als eine junge Frau, die sich bereitwillig einlässt auf die Geschichte Gottes mit ihr, als ein Engel ihr die Botschaft von der Geburt des wunderbaren Kindes bringt und die sich im heutigen Evangelium liebevoll um ihre schwangere Verwandte kümmert.
Tatsächlich erscheint Gott so im Neuen Testament: sich der Geschichte der Menschen öffnend und sie liebevoll begleitend.

Darüber hinaus stehen, wenn man genau hinsieht, Wohlwollen gegenüber allen und Bevorzugung Einzelner auch gar nicht in Widerspruch zueinander.
Auch die Aufnahme Mariens in den Himmel ist ja, wie betont werden muss, keine exklusive Auszeichnung nur für sie, sondern wird allen Menschen verheißen – aber zunächst nur von Maria ausgesagt.
Es ist dies die Konkretion einer allgemeinen Hoffnung, sichtbar geworden an Maria, der Mutter Jesu.2

Das vorausgesetzt, ist das heutige Fest ein Bekenntnis zu Gottes Kraft und Größe, an die wir Menschen nur ahnungsweise heranreichen: voller Liebe erhebt er eine Einzelne zu sich, um diese seine Liebe weiterfließen zu lassen auf alle. 



1   Inspiriert ist dieser Gedanke von J. Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 102, wo es zu Gott in der Josephsgeschichte heißt: "Unterschwellig suggeriert der Text, daß Gott Joseph nicht bevorzugt hätte, wenn er nicht wie Joseph wäre, und da Joseph als liebevoll dargestellt worden ist, ist Gott vielleicht genauso. Wir bewegen uns hier, unnötig zu sagen, nicht im Bereich von Argumenten, sondern von Eindrücken." Trotzdem!
2   Vgl.zu diesem Gedanken: A. Müller / D. Sattler, Mariologie. In: In: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik 2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 155-187, 186.

Samstag, 11. August 2018

Vertiefung statt Verlängerung. Von ewigem Leben und von Tabak

Ich glaube an das ewige Leben vor dem Tod.

Das mag ungewöhnlich klingen, aber im Johannesevangelium, aus dem der Text dieses Sonntags (Joh 6,41-51) stammt, ist es genau so gemeint. Wenn Jesus von sich selbst als vom "Brot des Lebens" (v48) spricht, dessen Verzehr Leben "in Ewigkeit" (v51) bedeutet, dann meint er nicht nur und nicht einmal in erster Linie eine noch ausstehende Zukunft, sondern die Gegenwart.

Montag, 30. Juli 2018

Eine religiöse Wahrnehmungsschule. Vom Zusammenhang der ignatianischen Spiritualität

Der spirituelle Weg, den Ignatius von Loyola vorschlägt, gleicht einer Wahrnehmungsschule, in der Sensibilisierungsübung und Reflexion miteinander verwoben sind.

Denn es gibt in der ignatianischen Spiritualität ein paar besonders prominente Übungen, die aus der Lebenserfahrung des Ignatius von Loyola in sein Exerzitienbuch eingeflossen sind und davon leben, dass der oder die Betende zunächst genau wahrnimmt und nicht sofort mit Gott zu sprechen anfängt.

Sonntag, 22. Juli 2018

Sicher ist nur die Unsicherheit. Ein Gedicht von Jan Twardowski

Im Rahmen der Gedanken, die hier unlängst über das Thema Ambiguität und Uneindeutigkeit abgelegt wurden (und die unter dem Suchwort "Vereindeutigung" auf dem Blog zu finden sind), ist mir dieser Tage bei der Vorbereitung meiner polnischsprachigen Gruppe in der JVA noch ein Gedicht von Jan Twardowski in die Hände gefallen.

Es heißt im Polnischen "Pewność niepewności", was korrekt übersetzt "Sicherheit der Unsicherheit" bedeutet. Leider hat die sonst sehr elegant und gut formulierende Übersetzerin Karin Wolff dies nicht eins zu eins übertragen – was aber dem Inhalt des Gedichts selbst (und seiner Übertragung) keinen Abbruch tut.


Rohre, irgendwohin.
Tübke-Villa, Leipzig, 2018.
Sicherheit – Unsicherheit1

Ich danke Dir dafür
daß Du das Unausgesprochene nicht ausgesprochen
das Unvollendete nicht vollendet
das Unbewiesene nicht nachgewiesen hast

Ich danke Dir dafür
daß Du Dir Deiner Unsicherheit sicher warst
daß Du an die unmögliche Möglichkeit geglaubt hast
daß Du in 'Religion' nicht weiter wußtest
und Tränen Dir im Halse würgten wie ein Pfirsichkern
dafür daß Du bist, der Du bist
und ohne zu reden
soviel mir von Gott erzählt hast



Ich lese hier:
Glaube im christlichen Sinne ist ein Beziehungsgeschehen, gegründet auf den Menschen, durch die wir Gott kennenlernen.
Diese Beziehung, sowohl jene zu den Zeugen als auch jene zu Gott, setzt ein Wagnis voraus. Nichts ist hier zu Ende gedacht, "nachgewiesen", vollends "ausgesprochen" oder einfach klar.

Der glaubwürdigste Zeuge des Glaubens an Gott ist darum einer, der seine Unsicherheiten und Zweifel nicht überspielt. Dem die Trauer den Hals zuschnürt trotz seiner Hoffnung, der nicht alle Fragen beantworten kann und sich vor allem seiner "Unsicherheit sicher" ist.

Gerade auf diese Weise muss er noch nicht einmal viele Worte machen, sondern ist Zeuge des lebendigen Gottes – durch seinen lebendigen, anfechtbaren und vorläufigen Glauben. 

Und Gott, der selbst als unfertiger Mensch zu uns Menschen kam, wird in einem solchen Akt des Vertrauens wohl auch am angemessensten verstanden.


Bildunterschrift hinzufügen
1   J. Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 141.

Donnerstag, 5. Juli 2018

„I don't believe in an interventionist God“ – Von Zweifel und Liebe

"Ich glaube nicht an einen Gott, der in das Weltgeschehen eingreift".
So würde ich die Liedzeile aus dem wunderbaren Song „Into my arms“ von Nick Cave mal frei übersetzen. Cave, der eine ganze Reihe sehr religiöser (aber auch verstörender) Songtexte veröffentlichte, formuliert darin seinen Zweifel an christlichen Glaubenswahrheiten.
Aber, und das ist entscheidend, er weicht seinen Unglauben sofort wieder auf – um seiner Liebe willen:

Samstag, 9. Juni 2018

Von Sinnen. Oder: Es ist die Welt, die völlig daneben ist, nicht wir

Zum Evangelium Mk 3,20-35 vom 10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). Der Predigt erster Teil. (Zweiter Teil hier)

Sie hielten Jesus also für einen Verrückten. Seine Familie behauptet, er sei von Sinnen und will ihn wohl am liebsten einsperren, seine Gegner holen gleich die ganz große Keule raus und erklären, dass er vom Teufel selbst besessen sei.
Wie kamen sie zu diesen Behauptungen?

Mittwoch, 30. Mai 2018

Gegenwart – Gemeinschaft – Gabe. Fronleichnamsschnipsel.

Heute feiert die Katholische Kirche auf der ganzen Welt das Fest Fronleichnam – die Erinnerung an die liebevolle Hingabe Christi und die Feier dieser Hingabe in den Gestalten von Brot und Wein.
Ich möchte an dieses Fest mit drei "G" heranführen – Gegenwart, Gemeinschaft, Gabe.

Samstag, 19. Mai 2018

So viele Sprachen! So viele Deutungen! Und Pfingsten heißt: Love is the way.

Auch wenn Menschen innerhalb verschlossener Räume und hinter Mauern leben, wirkt der Geist Gottes!
Das ist für mich die erste wirklich gute Botschaft der Geschichten, die eben vorgelesen wurden (vgl. Apg 2,1-11; Joh 20,19-23). 
Denn es bedeutet, dass der Heilige Geist, dessen Ausgießung wir heute feiern, Sie auch innerhalb der Gefängnismauern problemlos erreichen kann. Gott will Ihnen nahe sein im Heiligen Geist – auch in dieser Zeit der Unfreiheit!
Soweit klingt das ziemlich gut, wie ich finde. Aber was bedeutet es konkret für unser Leben?