Samstag, 1. September 2018

Es ist das Herz, das zählt! Jesus, Chemnitz und das Händewaschen

"...von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein."
(aus dem Sonntagsevangelium, hier Mk 7,21-23)

Ein Text, der wie gemacht ist für diese Tage, in denen Deutschland nach den Ausschreitungen in Chemnitz in Aufruhr ist.
Es gibt keinen plausiblen Grund, der die Attacken auf den Rechtsstaat, die Toleranz sowie unbeteiligte Personen und Polizisten rechtfertigte. Denn neben Gebrüll, pauschalen Schuldzuweisungen, rassistischen Ausfälle und Wut auf "die da oben" war sogar echte Sorge zu vernehmen – aber Ausdruck der Trauer um einen Getöteten, wie anfangs noch behauptet, waren die pogromartigen Szenen ganz sicher nicht.

Dienstag, 28. August 2018

Kompass, Schere und Verbandszeug. Impuls zum Schuljahresbeginn

Meine Tätigkeit im Jugendbildungshaus des Erzbistums bringt es mit sich, dass ich regelmäßige Andachten und Impulse für Kennenlernfahrten gestalte.
Es folgt das Beispiel eines kurzen Impulses im Anschluss an eine biblische Lesung aus dem Matthäusevangelium (ähnlich hier). Der Einfachheit halber wird die Lesung hier stückweise dargestellt.

Samstag, 25. August 2018

Von zwei Gründen, kein Christ (mehr) zu sein.

Es gibt genügend Gründe, warum man der Meinung sein kann, es sei besser, kein Christ zu sein.
Ich fasse heute einmal zwei Beweggründe ins Auge, die weiter voneinander entfernt nicht sein können.
Es mögen nicht die gängigsten Gründe sein, aber sie sind auch nicht gänzlich ohne Relevanz.
1.
Derzeit schauen sehr viele US-Amerikaner und viele Menschen weltweit auf die ungeheuerlichen Taten von Priestern und Ordensleuten in den USA, die Kinder und Jugendliche zum Teil schwer sexuell missbraucht haben – und sie hören von der jahrelangen Vertuschung durch die Verantwortlichen.1

Dieses Thema raubt mir beim Schreiben alle Kraft.
Ich will keine Entsetzlichkeiten ausbreiten und mir wird schlecht, wenn ich lese, was genau passiert ist. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, auszusprechen, in welcher Weise Kirchenleute hier auf die verschiedensten Weisen schuldig geworden sind.

Donnerstag, 23. August 2018

"Für Anne". Leonard Cohen vermisst eine Verlorene

Wie viel größer wird die Liebe plötzlich, wenn sie vorbei ist!
Wie viel inbrünstiger das Gefühl in dem Moment, in dem die Fülle gerade durch die Finger rinnt!

Leonard Cohen, der begnadete Songwriter, scheint das gespürt zu haben. Und er hat es in Worte gefasst!
Denn neben den bekannten Songs sind von ihm auch eine Reihe nicht vertonter Gedichte erschienen, von denen es einige wert sind, als Miniaturen im Gedächtnis zu bleiben.

Samstag, 18. August 2018

Der Laientheologe und die eucharistische Kirche. Ein Konfliktfeld in der Praxis

Vor ein paar Tagen las ich in der Herder-Korrespondenz ein Interview mit dem Bostoner Erzbischof Seán Patrick O'Malley, der davon sprach, dass wir als katholische Kirche "eine eucharistische Kirche" seien.
Ohne es an dieser Stelle zu explizieren, bezieht er sich damit auf eine schon bei Paulus bezeugte1 und seit der frühen Kirche des zweiten Jahrhunderts gewachsene Theologie, derzufolge der Ursprung der Kirche als lebendiger Leib Christi in der Feier des Mahles um den eucharistischen Leib Christi liegt. Das Zweite Vatikanische Konzil weist ebenso darauf hin wie Johannes Paul II. in seiner letzten Enzyklika mit dem sprechenden Namen "Ecclesia de Eucharistia" (2003), der wie üblich ihrem ersten Satz entnommen ist: "Die Kirche lebt von der Eucharistie."2

Mir ist diese Art des Herangehens an Kirche und Kult sehr einleuchtend, wie ich auch hier schon dargestellt habe. Durch die Mitfeier der Messe wird für mich im Idealfall eben nicht nur die Gemeinschaft mit Christus, sondern auch mit den anderen Mitfeiernden spürbar.

Dienstag, 14. August 2018

Wen bevorzuge ich als Gefängnisseelsorger? Gedanken zu Mariä Himmelfahrt

Von Zeit zu Zeit werde ich gefragt, wie ich das denn mache bei meinen Gesprächen im Gefängnis. Ob ich nicht ab und zu der Meinung sei, ich hätte nun schon wieder dasselbe gehört wie gestern. Ob ich auch wirklich jede persönliche Tragik individuell würdigen könne. Und überhaupt, wie es denn sei, wenn so viele verschiedene Leute kommen und alle ernst- und wahrgenommen werden wollen – das ginge doch sicher nicht?!

Himmelwärts mit Hindernissen.
Vogelnetze, Zoologischer Garten, Berlin, 2017.
Tatsächlich muss ich sagen, dass das von meiner Tagesform abhängig ist.
Aber im Großen und Ganzen versuche ich, bei jeder Person, die mir gegenüber sitzt, ganz anwesend zu sein und ihr mit größtmöglichem Wohlwollen zu begegnen.
Ich kann und will nicht unterscheiden, wen ich mehr und wen ich weniger ernst nehme.
Kurz: Die wichtigste Person ist immer die gerade anwesende.

Wenn wir (bei aller bleibenden größeren Unähnlichkeit der Vergleichspartner in dieser Sache!) auch Gott als Seelsorger aller Menschen ansehen, der noch dazu immer bei jeder Person anwesend ist, hieße diese Aussage, dass ihm jede Person die wichtigste ist.
Das passt natürlich wunderbar zu grundlegenden Aussagen über Gott. Und auch dem modernen Bewusstsein für Gerechtigkeit kommt es entgegen.

Wie aber passt es zusammen mit dem, was die Kirche über Maria sagt, die der katholische Glaube mit so viel wunderbaren Wendungen und Namen besingt?
Man nehme nur die Marienlieder:
Maria ist dort die Gnadenreiche, Makellose, Engelsgleiche, Wunderschön prächtige, hohe und mächtige, liebreich holdselige himmlische Frau, Mutter der Barmherzigkeit, Patronin voller Güte, Pforte der Seligkeit, ...

Von Gott her geschaut scheint es da eine eindeutige Bevorzugung Mariens vor anderen Menschen zu geben.

Und bei allem Idealismus gibt es selbstverständlich auch für Seelsorger Personen, die einem näher sind als andere. Vielleicht würde ich sie nicht sooo ausufernd loben, aber die Unterschiede sind schon deutlich da, ob ich das nun will oder nicht.
Mit dem einen komme ich leichter ins Gespräch, mit anderen teile ich gemeinsame Erfahrungen (wie das Vatersein), andere kommen aus der gleichen Gegend wie ich...

Dieser Ungleichheit entkommt man auch bei Gott nicht.
Schon im Alten Testament zeigt sich, dass Gott recht wählerisch ist und manche Menschen vor anderen eindeutig bevorzugt – Abels Opfer nimmt er an, Kains will er nicht – was für Abel zum Verhängnis wird (vgl. Gen 4,1-8). Ähnlich geht es Joseph, dem Träumer, der von seinen Brüdern wegen der Liebe des Vaters und wegen seiner gottgesandten Träume beneidet und schließlich verkauft wird (vgl. Gen 37).
Schließlich erwählt Gott sich ein ganzes Volk auf Kosten der Anderen und verspricht sogar: "Weil du in meinen Augen teuer und wertvoll bist und weil ich dich liebe, gebe ich für dich ganze Länder und für dein Leben ganze Völker." (Jes 43,4)
Zugleich bekennen wir Gottes Willen, dass nicht nur einige, sondern „alle Menschen gerettet werden" (1Tim 2,4) und hoffen darauf, dass er am Ende der Tage die ganze Schöpfung heimholt zu sich.

Worauf will ich mit all dem hinaus?
Die Spannung zwischen der Vorstellung einer Gleichheit aller Menschen vor Gott und den biblischen Berichten einer eindeutigen Bevorzugung von Einzelnen ist krass.
Mir jedenfalls macht diese Spannung zu schaffen, vor allem angesichts der vielen besonderen Aussagen über Maria, von der unbefleckten Empfängnis über die jungfräuliche Geburt bis zu ihrer Aufnahme in den Himmel, die wir heute feiern.
Auch im Evangelium des Festes singt Maria davon, dass Gott Großes an ihr getan habe und alle Geschlechter sie nun selig preisen würden (vgl. Lk 1,49.48).

Wie lässt sich diese Spannung befriedigend auflösen?
Eine Lösung, die ich (größere Unähnlichkeit vorausgesetzt) für diese Spannung in meinem seelsorglichen Handeln gefunden habe, kam oben zur Sprache: Der aktuell Anwesende ist der Wichtigste. Auch wenn es mir bei jenen, die mir in irgendeiner Hinsicht ähnlicher sind, natürlich leichter fällt. 

Der Himmel steht uns offen!
Blankensteinpark, Friedrichshain, Berlin, 2018.
Vielleicht beruft auch Gott zur Mitarbeit an seinem Werk Leute, die ihm ähnlich sind1 – Maria wird gezeichnet als eine junge Frau, die sich bereitwillig einlässt auf die Geschichte Gottes mit ihr, als ein Engel ihr die Botschaft von der Geburt des wunderbaren Kindes bringt und die sich im heutigen Evangelium liebevoll um ihre schwangere Verwandte kümmert.
Tatsächlich erscheint Gott so im Neuen Testament: sich der Geschichte der Menschen öffnend und sie liebevoll begleitend.

Darüber hinaus stehen, wenn man genau hinsieht, Wohlwollen gegenüber allen und Bevorzugung Einzelner auch gar nicht in Widerspruch zueinander.
Auch die Aufnahme Mariens in den Himmel ist ja, wie betont werden muss, keine exklusive Auszeichnung nur für sie, sondern wird allen Menschen verheißen – aber zunächst nur von Maria ausgesagt.
Es ist dies die Konkretion einer allgemeinen Hoffnung, sichtbar geworden an Maria, der Mutter Jesu.2

Das vorausgesetzt, ist das heutige Fest ein Bekenntnis zu Gottes Kraft und Größe, an die wir Menschen nur ahnungsweise heranreichen: voller Liebe erhebt er eine Einzelne zu sich, um diese seine Liebe weiterfließen zu lassen auf alle. 



1   Inspiriert ist dieser Gedanke von J. Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 102, wo es zu Gott in der Josephsgeschichte heißt: "Unterschwellig suggeriert der Text, daß Gott Joseph nicht bevorzugt hätte, wenn er nicht wie Joseph wäre, und da Joseph als liebevoll dargestellt worden ist, ist Gott vielleicht genauso. Wir bewegen uns hier, unnötig zu sagen, nicht im Bereich von Argumenten, sondern von Eindrücken." Trotzdem!
2   Vgl.zu diesem Gedanken: A. Müller / D. Sattler, Mariologie. In: In: T. Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik 2. 2. Aufl. Düsseldorf 2002, 155-187, 186.

Samstag, 11. August 2018

Vertiefung statt Verlängerung. Von ewigem Leben und von Tabak

Ich glaube an das ewige Leben vor dem Tod.

Das mag ungewöhnlich klingen, aber im Johannesevangelium, aus dem der Text dieses Sonntags (Joh 6,41-51) stammt, ist es genau so gemeint. Wenn Jesus von sich selbst als vom "Brot des Lebens" (v48) spricht, dessen Verzehr Leben "in Ewigkeit" (v51) bedeutet, dann meint er nicht nur und nicht einmal in erster Linie eine noch ausstehende Zukunft, sondern die Gegenwart.

Mittwoch, 8. August 2018

Wo Liturgie und Widerstand sich treffen. Notizen

Die Feier der Liturgie schafft einen fragilen Begegnungsraum zwischen Gott und Mensch.

Damit dieser Raum entstehen kann, müssen die Versammelten von sich selbst absehen können und Gott suchen. Hinaustreten aus der eigenen Lebenswirklichkeit und tastend eintreten in die Sphäre des Himmels. Denn im Mittelpunkt dieses liturgischen Begegnungsraumes stehen nicht die eigenen Bedürfnisse, sondern Gottes Lobpreis. Alles Weitere tritt erst später dazu.

Samstag, 4. August 2018

"Ich weiß gar nicht, was der eigentlich will!" Gefängnispredigt von Brot und Liebe.

1. "Ich weiß gar nicht, was der eigentlich will!"
So denke ich manchmal, wenn ich mich mit Leuten unterhalte, die überzeugte Autofahrer sind und die versuchen, mir ihre Überzeugung zu erklären. Dass es so praktisch sei und schön und was weiß ich. Wo ein Auto doch meiner Meinung nach nur teuer und schmutzig ist und man jedes Mal ewig einen Parkplatz suchen muss. Außerdem ist man in Berlin ohne Auto sowieso schneller.

Man kann bei solchen Gelegenheiten sehr schnell in einen Konflikt hineingeraten, weil man mit zwei völlig unterschiedlichen Denkmustern im Kopf versucht, dem jeweiligen Gegenüber seinen Standpunkt klar zu machen.

So muss es wohl auch den Zuhörern Jesu mit ihm oft genug gegangen sein.
"Ich weiß gar nicht, was der eigentlich will!"

Donnerstag, 2. August 2018

Neue religiöse Lyrik in "Der Himmel von morgen". Eine Rezension

Die Poeten haben ihren Blick seit je über das allzu Greifbare hinaus auf religiöse Themen gelenkt. Nicht umsonst ringt Lyrik in allen Kulturkreisen mit ihren Worten darum, Unsagbares auszuloten und Unausdenkliches anzudeuten.

Anton G. Leitner, selbst Lyriker und zugleich Verleger und Herausgeber, hat dieser Tage nun eine kleine Anthologie zeitgenössischer religiöser Gedichte vorgelegt. "Der Himmel von morgen. Gedichte über Gott und die Welt"1 versammelt 100 Texte, die auf unterschiedlichste Weise das Religiöse zum Thema haben. In unserer Gesellschaft, die sich von religiösen Phänomenen intellektuell und persönlich eher absetzen will, bietet diese Sammlung damit eine Art Versöhnung von Hochkultur und Religion auf der Höhe der Zeit an.

Eine Kostprobe zu Beginn:
Das philosophisch anmutende Gedicht "Die Glut durchwühlen" von Norbert Göttler wird durchzogen vom Widerspruch analytischer und synthetischer Weltdeutung.

Montag, 30. Juli 2018

Eine religiöse Wahrnehmungsschule. Vom Zusammenhang der ignatianischen Spiritualität

Der spirituelle Weg, den Ignatius von Loyola vorschlägt, gleicht einer Wahrnehmungsschule, in der Sensibilisierungsübung und Reflexion miteinander verwoben sind.

Denn es gibt in der ignatianischen Spiritualität ein paar besonders prominente Übungen, die aus der Lebenserfahrung des Ignatius von Loyola in sein Exerzitienbuch eingeflossen sind und davon leben, dass der oder die Betende zunächst genau wahrnimmt und nicht sofort mit Gott zu sprechen anfängt.

Samstag, 28. Juli 2018

Die wunderbare Speisung. Vier Thesen zum Sonntagsevangelium

Die neutestamentliche Geschichte von der Speisung der 5000, die den Kern des heutigen Sonntagsevangeliums (Joh 6,1-15) bildet, ist so bekannt wie unverstanden.
Darum vier kurze Gedanken dazu, was die Bedeutung aufschließen könnte.
Dabei spielt für mich keine entscheidende Rolle, ob sie genau so historisch geschehen sind oder literarische Konstrukte darstellen.

Sonntag, 22. Juli 2018

Sicher ist nur die Unsicherheit. Ein Gedicht von Jan Twardowski

Im Rahmen der Gedanken, die hier unlängst über das Thema Ambiguität und Uneindeutigkeit abgelegt wurden (und die unter dem Suchwort "Vereindeutigung" auf dem Blog zu finden sind), ist mir dieser Tage bei der Vorbereitung meiner polnischsprachigen Gruppe in der JVA noch ein Gedicht von Jan Twardowski in die Hände gefallen.

Es heißt im Polnischen "Pewność niepewności", was korrekt übersetzt "Sicherheit der Unsicherheit" bedeutet. Leider hat die sonst sehr elegant und gut formulierende Übersetzerin Karin Wolff dies nicht eins zu eins übertragen – was aber dem Inhalt des Gedichts selbst (und seiner Übertragung) keinen Abbruch tut.


Rohre, irgendwohin.
Tübke-Villa, Leipzig, 2018.
Sicherheit – Unsicherheit1

Ich danke Dir dafür
daß Du das Unausgesprochene nicht ausgesprochen
das Unvollendete nicht vollendet
das Unbewiesene nicht nachgewiesen hast

Ich danke Dir dafür
daß Du Dir Deiner Unsicherheit sicher warst
daß Du an die unmögliche Möglichkeit geglaubt hast
daß Du in 'Religion' nicht weiter wußtest
und Tränen Dir im Halse würgten wie ein Pfirsichkern
dafür daß Du bist, der Du bist
und ohne zu reden
soviel mir von Gott erzählt hast



Ich lese hier:
Glaube im christlichen Sinne ist ein Beziehungsgeschehen, gegründet auf den Menschen, durch die wir Gott kennenlernen.
Diese Beziehung, sowohl jene zu den Zeugen als auch jene zu Gott, setzt ein Wagnis voraus. Nichts ist hier zu Ende gedacht, "nachgewiesen", vollends "ausgesprochen" oder einfach klar.

Der glaubwürdigste Zeuge des Glaubens an Gott ist darum einer, der seine Unsicherheiten und Zweifel nicht überspielt. Dem die Trauer den Hals zuschnürt trotz seiner Hoffnung, der nicht alle Fragen beantworten kann und sich vor allem seiner "Unsicherheit sicher" ist.

Gerade auf diese Weise muss er noch nicht einmal viele Worte machen, sondern ist Zeuge des lebendigen Gottes – durch seinen lebendigen, anfechtbaren und vorläufigen Glauben. 

Und Gott, der selbst als unfertiger Mensch zu uns Menschen kam, wird in einem solchen Akt des Vertrauens wohl auch am angemessensten verstanden.


Bildunterschrift hinzufügen
1   J. Twardowski, Bóg prosi o miłość. Gott fleht um Liebe. Ausgewählt und bearbeitet von Aleksandra Iwanowska. Krakau 2000, 141.

Samstag, 21. Juli 2018

Einfach wegfahren. Bodo Kirchhoffs Kreuzfahrt und die Flüchtlingsboote

Das ist der Wunsch, der sich mit Urlaub verbindet: einfach nur mal wegfahren und allein sein, seine Ruhe haben und aus den Zwängen der Arbeit herauszukommen.
Jesus und seine Jünger versuchen dasselbe im Evangelium des heutigen Sonntags (Mk 6,30-34), als sie ein Boot besteigen und an einen anderen Ort fahren.
Aber sie entkommen der Mühle nicht.
Denn irgendjemand kriegt raus, wo sie sind, und schon kommen die Leute ihnen hinterher.

Auch das ist eine Erfahrung des Urlaubs – wir werden den Alltag nicht so leicht los.
Und uns selbst noch viel weniger.

Zwei Assoziationen zum Text.

Donnerstag, 19. Juli 2018

Kanon, Kult und Kirchenrecht. Zum Thema Religion als Ambiguitätspraxis

"Seelsorge" ist kein geschützter Begriff.
Aktuell spüre ich das als beauftragter Gefängnisseelsorger im Kontakt mit einer freikirchlichen Gruppe, die in der JVA Plötzensee, in der ich tätig bin, als externe Anbieter eine Gesprächsgruppe und Einzelgespräche anbietet. Es führt unter Inhaftierten und Beamten augenscheinlich zu Verwirrung, wenn nun weitere "Seelsorger" aus diesem Kreis auftauchen, die allerdings nicht über ein Büro verfügen und auch bezüglich des beauftragten Seelsorgern zugesicherten Zeugnisverweigerungsrechts bzw. beim Seelsorgegeheimnis einen schwierigeren Stand haben.
Nichtsdestotrotz können sie sicher kompetente Seelsorgsarbeit leisten und Menschen in engeren Kontakt mit Gott führen, mithin legitim "Seelsorger" im christlichen Sinne sein.
Ich bin in diesem Fall allerdings für eine umsichtige Aufklärung, damit keine tiefergehenden Missverständnisse und Irritationen entstehen, wer nun welchen Status als Seelsorger hat – mit allen damit jeweils verbundenen Rechten und Pflichten.
Genauso geht es mir beim Ehebegriff im Kontext der staatlicherseits ermöglichten "Ehe" für alle. Auch hier halte ich die Begriffswahl nicht für hilfreich und mit dem christlichen Ehebegriff selbstverständlich für nicht vereinbar.

Allerdings gibt es auch Situationen, in denen es gut ist, gerade keine vereindeutigenden Festlegungen vorzunehmen. Vielmehr bin ich, besonders inspiriert durch die Lektüre des (hier auch schon erwähnten) Buches "Die Vereindeutigung der Welt" von Thomas Bauer, der Meinung, dass Religion gerade als Ambiguitätspraxis einen besonderen Wert hat.

Und das trotz meiner eingangs formulierten Wunsch nach klärenden Definitionen. Auch auf der Metaebene findet sich also keine einfache Eindeutigkeit, sondern Ambiguität!
Das halte ich nicht für einen Widerspruch, sondern um das Offenhalten von Möglichkeiten und die Freiheit des Eingehens auf konkrete Sachverhalte.

Montag, 16. Juli 2018

Wann ist mein Handy eigentlich aus? Zur Besinnung

Wann bin ich eigentlich mal nicht erreichbar auf dem Smartphone?
Solche Momente gibt es – aber, ich gebe es zu, nur sehr selten. Mein Telefon hat meinen Alltag fest im Griff, fester als ich will.
Dass es grundsätzlich ausbleibt, kommt nur an drei Punkten vor.

Samstag, 14. Juli 2018

Geht nicht allein! Eine Kirchenvision

Jesus sendet die Jünger aus, immer zu zweit (Mk 6,7ff). Sie haben keine Taschen, kein Wifi, keine Wechselwäsche, keine Gehhilfen.
Sie haben nur einander.

Und natürlich „haben“ sie Jesu Vollmacht und Auftrag. Die jedoch bleiben unsichtbar und nicht zu fassen.
Fassbar und im besten Sinne an-greifbar ist auf diesem Weg, auf den ihr Herr sie schickt, nur der Gefährte. Jede weitere Hilfe entfällt.
Das ist Sharing-Kultur in ihrem Ursprung.

Mich fasziniert das.

Mittwoch, 11. Juli 2018

Die Kunst des einladenden Strafens. Impulse aus der Benediktsregel

Heute feiert die Kirche den heiligen Benedikt von Nursia, den Mönchsvater des Abendlandes. Er lebte Mitte des 6. Jahrhunderts in Italien und führte das zuvor schon bestehende Ordensleben in der Westkirche unter einer Regel zusammen, die viele Jahrhunderte lang die Vorstellung vom Mönchtum bei uns prägte.

Nun mag man der Meinung sein, das sei alles lang her und betreffe uns, die wir nicht den Wunsch nach klösterlichem Leben haben, gar nicht mehr. Und bei manchen einzelnen Bestimmungen ist das sicher auch der Fall. Aber es gibt einen Geist der Menschenfreundlichkeit, den diese Regel atmet und der auch uns heute durchaus etwas zu sagen hat.

Ich möchte das zeigen an der Art und Weise, wie in der Benediktsregel mit Strafen umgegangen wird, auch weil dies besonders gut zu dem Kontext passt, in dem ich mich gerade häufig bewege (und heute beim Gottesdienst im Gefängniskrankenhaus ein paar Worte diesbezüglich sagen will).

Samstag, 7. Juli 2018

Von Mutationen und Wunderblockern. Eine Predigt im Gefängnis

Das heutige Evangelium (Mk 6,1-6) ist ein Evangelium über Vorurteile, über die Bindung an die Familie und über die Voraussetzung von Wundern.

Wie wir schon vor ein paar Wochen gehört haben, versucht Jesus alles, um sich von seiner Familie abzugrenzen. Er emanzipiert sich radikal. Und doch versuchen jetzt Leute, die ihn von klein auf kennen, Jesus eben auf seine Familie zu reduzieren.
Sie können nicht glauben, dass dieser ihnen schon altbekannte Jesus plötzlich wirklich was Neues zu sagen hat: „Woher hat er das bloß?“ (v2) Wie kommt er denn auf so etwas, als Kind war er doch immer normal?! Was will er uns da plötzlich erzählen? Welche Fähigkeiten bildet er sich da ein? Kann er nicht einfach ein Zimmermann bleiben und nicht versuchen, jemand anderes zu sein?

Donnerstag, 5. Juli 2018

„I don't believe in an interventionist God“ – Von Zweifel und Liebe

"Ich glaube nicht an einen Gott, der in das Weltgeschehen eingreift".
So würde ich die Liedzeile aus dem wunderbaren Song „Into my arms“ von Nick Cave mal frei übersetzen. Cave, der eine ganze Reihe sehr religiöser (aber auch verstörender) Songtexte veröffentlichte, formuliert darin seinen Zweifel an christlichen Glaubenswahrheiten.
Aber, und das ist entscheidend, er weicht seinen Unglauben sofort wieder auf – um seiner Liebe willen:

Sonntag, 1. Juli 2018

"Mein Herz ist bereit, ich will dir singen und spielen." (Ps 57,8) - Ein Radiobeitrag

Mit folgenden Worten war ich heute morgen im Radio Berlin 88,8 zu hören:

Dämmriges Licht, dunkles Holz des Chorgestühls, Weihrauchschwaden ziehen vorüber – und ein Sonnenstrahl fällt durch das bunte Fenster des hohen gotischen Chores.
Dann stimmt die Schola die Psalmen des Abendlobs an und singt sie im Wechsel mit der Gemeinde. Es ist ein Fest für die Sinne.

Unlängst war ich in Erfurt und habe dort im Dom die samstägliche Vesper mitgefeiert. Es war ein wirklich erhebendes Gefühl, in diesen alten Mauern zu beten und zu singen.

Mittwoch, 27. Juni 2018

Radikale Lebensreife. Aus Rudyard Kiplings „Brief an meinen Sohn“

Aus Konflikten, Enttäuschungen, Zweifeln und vielen Begrenztheiten besteht das Leben zu weiten Teilen. In der großen Politik ebenso wie im Privatleben, im Fußball wie in der Religionsausübung. 
Mit diesen Problemen umzugehen erfordert charakterliche Reife, die oftmals schmerzhaft erworben werden muss. Durch die Drangsal hindurch erst lernen wir mit der Drangsal umzugehen. 
Aber wir können uns natürlich vorbereiten - oder es wenigstens versuchen. 

Eine kritische Hilfestellung bietet der Brief des Schriftstellers und Nobelpreisträgers Rudyard Kipling an seinen Sohn von 1910. Seine Aufzählung von Haltungen einer reifen Persönlichkeit ist weise und immer noch gültig, wenn wir auch manches anders ausdrücken würden, weniger pathetisch vor allem. 

Sonntag, 24. Juni 2018

Zyklus und Ziel. Johannes der Täufer gilt vor und nach der WM

In einer formalen Sache sind die WM und das christliche Kalenderjahr sich gleich. Beide imaginieren für rhythmisch wiederkehrende Ereignisse eine Bedeutung, die diesen schon wegen ihrer ständigen Wiederholung nicht zukommt. 
Wer vor vier Jahren Weltmeister war, hat keinen Bonus in der aktuellen Partie. Und wenn ich letztes Jahr an Weihnachten nicht in der Kirche war, kann ich dieses Mal gehen, ohne dass ich damals etwas Entscheidendes verpasst hätte. 

Freitag, 22. Juni 2018

Tiefe schlägt Weite. Vom Beten am Meer

Ich knie vor meinem Gott und bete. 

Der Wind zerrt an meiner Jacke, die Gischt spritzt mir ins Gesicht. 
Wieder und wieder spülen Wellen blasiges Wasser vor mich hin und der Sand umschließt meine Unterschenkel warm. Hier habe ich festen Halt. 
Wenn mein Blick über die Brandung hinausgeht, sehe ich das grüne Gewoge der Wellen und ich höre ihr rhythmisches Rauschen. 

Mittwoch, 20. Juni 2018

Elternschaft und Mord

Weil Sommer ist, beschränke ich mich einstweilen auf hilfreiche Inspirationen anderer Leute.
Der folgende Text findet sich in der raffinierten und irritierenden Biographie Gottes von Jack Miles; passenderweise führt er das Kapitel über Abraham und seine Versuchung (Gen 22) ein.

Ethisch könnte es so aussehen, als liege ein abgrundtiefer Unterschied zwischen Elternschaft und Mord; dieser ist ein Verbrechen, jene ist einfach ein moralisch neutrales Faktum. Psychologisch jedoch sind die beiden so miteinander verknüpft, wie Leben und Tod verknüpft sind.

Samstag, 16. Juni 2018

Von Beklemmung zur Hoffnung – Das Evangelium und der Papstfilm von Wim Wenders

Ich bin wirklich kein pessimistischer Mensch.
Aber wenn ich mir das Weltgeschehen anschaue, dann kommt mir die Hoffnung schon etwas abhanden: Internationale Verabredungen wie das Klimaabkommen oder Handelsbündnisse tragen nicht oder werden gleich über den Haufen geworfen, im deutschen Bundestag zeigt sich eine Radikalisierung in Ton und Meinnung, die Unionsfraktion zerstreitet sich vollends über der Flüchtlingspolitik und in der deutschen katholischen Kirche zerfetzen sich traditionelle und liberale Bischöfe mehr oder weniger öffentlich.

Und mitten in dieses Chaos hinein hören wir im Sonntagsevangelium, wie Jesus von einem Bauern erzählt, der sich gar nicht sorgt, sondern sich nach der Aussaat niederlegt und schläft, während draußen alles von allein gut geht: „es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie.“ (v27)
Das Gute geschieht hier einfach. Ohne übertriebene Mühe und ohne Angst.
Die Bibel kennt natürlich auch die Perspektive von Versuchung und Gefahr. Aber der Punkt des heutigen Evangeliums ist das Vertrauen darauf, dass alles gut wird.

Und das passt wunderbar zum aktuellen Film von Wim Wenders über den Papst - „Papst Franzismus – Ein Mann seines Wortes“. Ich habe ihn gerade gesehen.

Dienstag, 12. Juni 2018

Gespalten 3. Das Ideal des Simon Strauß und mein spirituelles Versagen

Die "Sieben Nächte"1 von Simon Strauß schlugen im letzten Jahr richtig ein – da schreibt ein Noch-nicht-Dreißiger an gegen die Gesetztheit und Mentalität der Absicherung, gegen das gepolsterte Leben und allzu anpassungswilligen Pragmatismus. Dagegen setzt er seine Sehnsucht nach mehr, nach einem Mehr an Phantasie, Risikobereitschaft und Empfindsamkeit. Eingebettet in die Geschichte vom Auftrag eines Unbekannten, der ihn in sieben Nächten die sieben Todsünden zu begehen auffordert, sucht der FAZ-Journalist noch einmal neu das radikale Leben, sehnt sich nach "wilderem Denken ... Nach Ideen ohne feste Ordnung, Utopien ohne berechenbaren Sinn, nach Ecken und Kanten".2

Montag, 11. Juni 2018

Gespalten 2 – "agree to disagree" und Frank Richters Aufruf "Hört endlich zu!"

Da sich mir die Parallelen nur so aufdrängen, hier noch ein Beispiel zu dem Jesuswort des letzten Sonntagsevangeliums: Wenn etwas "in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben." (Mk 3,24)
Frank Richter, ehemaliger Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, macht die zentrale Aufforderung seines aktuellen Büchleins auch zu dessen Titel: "Hört endlich zu!"1
 Darin beklagt er vornehmlich die weitgehende Diskursunfähigkeit sowohl vieler liberaler Bürger als auch jener "besorgten Bürger", die sich von der Globalisierung und allem Fremden unter Druck gesetzt fühlen, in ihrer Auseinandersetzung mit den Positionen der je andern Seite.

Samstag, 9. Juni 2018

Gespalten. Oder: Wie Iron Man und Captain America einmal miteinander kämpften

 Teil zwei der Predigt zum Evangelium vom 10. Sonntag im Jahreskreis, Mk 3,20-35. (Erster Teil hier.)

---
Ich weiß nicht, ob Sie den Marvel-Film "Captain America: Civil War" kennen, der vor zwei Jahren in den Kinos war.
Die Avengers sollen darin nach einer Reihe von Einsätzen, bei denen auch viele Unschuldige ums Leben kamen, durch die Vereinten Nationen überwacht werden. Das spaltet die Superhelden – vor allem Captain America (Chris Evans) und Iron Man (Robert Downey jr.) stehen sich in dieser Frage unnachgiebig gegenüber: Während Iron Man mit einem persönlichen Schicksal konfrontiert für eine Limitierung der eigenen Verantwortung ist, fragt Captain America nach Konsequenzen und Motivation, wenn sie nicht mehr selbst über ihr Tun und Lassen entscheiden könnten. Sie gehen uneins auseinander.

Von Sinnen. Oder: Es ist die Welt, die völlig daneben ist, nicht wir

Zum Evangelium Mk 3,20-35 vom 10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). Der Predigt erster Teil. (Zweiter Teil hier)

Sie hielten Jesus also für einen Verrückten. Seine Familie behauptet, er sei von Sinnen und will ihn wohl am liebsten einsperren, seine Gegner holen gleich die ganz große Keule raus und erklären, dass er vom Teufel selbst besessen sei.
Wie kamen sie zu diesen Behauptungen?

Mittwoch, 6. Juni 2018

Jesus der Influencer!?

Was ist das Influencer-Potenzial eines Jesus von Nazareth im 21. Jahrhundert?

Diese (vielleicht etwas unerwartete) Frage stellt sich mir, wenn ich auf die Lage des Christentums in unserer Zeit, in unserem Land schaue.
Und natürlich bin ich nicht der Einzige, der dies tut. Mit anderen Formulierungen fragen sich das auch eine aktuelle Publikation wie das „Mission Manifest“ oder die Mehr-Konferenz des Gebetshauses Augsburg, es fragt sich der Papst mit seinen eingängigen Sprachbildern, es fragen diverse Theologen und geistliche Autoren wie Heiner Wilmer, Anselm Grün und Tomas Halik, etwas fokussierter auf die Institution Kirche ebenso Erik Flügge, Martin Werle und Thomas Frings.
Und natürlich finden sie alle auch ihre jeweiligen Antworten darauf.
Nur dass eben keine Antwort bisher so fruchtbar ist, dass Christsein wieder in wäre.

Freitag, 1. Juni 2018

Ich entscheide mich nicht! Aufgeklärter Liberaler und kirchentreuer Katholik zugleich

Neulich hatte ich einen Arzttermin. Als wir mit Blick auf meine herumkrabbelnde Tochter darauf kamen, dass ich derzeit in Elternteilzeit bin, freute sich die Ärztin: "Ah, ein fortschrittlicher Arbeitgeber!"
Da konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: "Ja, ich arbeite für die katholische Kirche."
Woraufhin sie erstaunt und fast entrüstet irgendetwas Relativierendes hinterhersagte.

Mittwoch, 30. Mai 2018

Gegenwart – Gemeinschaft – Gabe. Fronleichnamsschnipsel.

Heute feiert die Katholische Kirche auf der ganzen Welt das Fest Fronleichnam – die Erinnerung an die liebevolle Hingabe Christi und die Feier dieser Hingabe in den Gestalten von Brot und Wein.
Ich möchte an dieses Fest mit drei "G" heranführen – Gegenwart, Gemeinschaft, Gabe.

Samstag, 26. Mai 2018

Tief in der Dreidunkelheit

Am Boden, erkennbar zerstört.
Neukölln, Berlin, 2018.
Meine Ohren verstopft von
dreifacher Liebesgemeinschaft
und In-sich-Beziehung-Gott

hinter den Gittern
drängt heran
eine andere Welt:

Mittwoch, 23. Mai 2018

Religiöse Ekstase in James Baldwins "Von dieser Welt"

"... etwas regte sich in Johns Körper, das nicht John war. Etwas war in ihn eingedrungen, hatte ihn entwürdigt und besetzt. Diese Kraft hatte John in den Kopf oder ins Herz getroffen und auf einen Streich, indem sie ihn ganz und gar mit einer Qual erfüllte, die er sich niemals hätte vorstellen können und sicher nicht aushalten und selbst jetzt noch nicht fassen konnte, geöffnet, mittendurch aufgeknackt wie Holz unter einer Axt, wie brechendes Gestein; hatte ihn auf einen Streich mitgerissen und hingestreckt, sodass John nicht die Wunder spürte, sondern nur den Schmerz, nicht den Fall, sondern nur die Furcht. Und so lag er nun da, hilflos, schreiend, am Grund der Finsternis."1

Ein Sturz in die Tiefe, Finsternis, Tränen, Schreie, endlos tiefes Wasser, Feuer und einsame Verzweiflung – der gerade vierzehn Jahre alt gewordene John hat beim abendlichen Gottesdienst eine Vision.

Samstag, 19. Mai 2018

So viele Sprachen! So viele Deutungen! Und Pfingsten heißt: Love is the way.

Auch wenn Menschen innerhalb verschlossener Räume und hinter Mauern leben, wirkt der Geist Gottes!
Das ist für mich die erste wirklich gute Botschaft der Geschichten, die eben vorgelesen wurden (vgl. Apg 2,1-11; Joh 20,19-23). 
Denn es bedeutet, dass der Heilige Geist, dessen Ausgießung wir heute feiern, Sie auch innerhalb der Gefängnismauern problemlos erreichen kann. Gott will Ihnen nahe sein im Heiligen Geist – auch in dieser Zeit der Unfreiheit!
Soweit klingt das ziemlich gut, wie ich finde. Aber was bedeutet es konkret für unser Leben?

Mittwoch, 16. Mai 2018

Provokation mit Häkchen. Kommentar zu Erik Flügges "Eine Kirche für viele"

Ich bin nah dran an der Situation, die sich Erik Flügge in seinem neuen Buch wünscht.

Mit „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“ hat der Politikberater und Autor, der auch schon über die Probleme kirchlichen Sprechens publiziert hat, nun eine Art fundamentaler Strukturkritik vorgelegt. Es ist wieder ein Buch herausgekommen, das vor Pauschalisierungen und harten Worten nicht zurückschreckt.
Leichtgewicht oder Überflieger?
Berlin, 2018.
Kurz gesagt geht es ihm darum, dass möglichst viele Kirchenmitglieder mit der Kirche, der sie angehören, in Kontakt kommen. Derzeit würden aber, so schreibt er, Angebote für den Kern von 10 Prozent gemacht, der Rest zahle zwar Kirchensteuer, würde aber nie etwas von der Kirche sehen. Nötig seien deshalb statt Gebäuden und Strukturen in erster Linie face-to-face-Kontakte, konkret schlägt er Besuche von Hauptamtlichen und engagierten Ehrenamtlichen bei den inaktiven Christen vor. Ziel ist eine "Kirche für alle", die nicht auf ihren Immobilien hockt und jammernd wartet, wer noch kommt, sondern sich selbst in Bewegung bringt und zur "aufsuchenden Kirche" wird.1

Samstag, 12. Mai 2018

Gott ist weg – was nun? Eine Gemeindepredigt.

Gott ist weg.
Das ist die Situation, in der sich die Jünger zwischen Himmelfahrt und Pfingsten befunden haben.
Ich weiß nicht, ob Sie sich in die Lage hineinversetzen können, in der sich die Jünger befunden haben müssen, nachdem Jesus zuerst verhaftet wurde, dann am Kreuz gestorben war und schließlich zu Himmelfahrt gänzlich verschwand.
Der Lebensmittelpunkt der Jünger war damit verschwunden. Monate- oder sogar jahrelang waren sie mit Jesus durch Galiläa und Judäa gelaufen, hatten dafür ihre Familien verlassen und sich ganz auf dieses neue Leben des Messias eingestellt. Und nun ist er weg, auf den Schock seines Todes folgte zunächst der Schock seiner Auferstehung, aber selbst darauf aber hatten sie sich eingelassen. Aber nun ist er weg. Keine Erscheinungen mehr, kein Brotbrechen mit dem Auferstandenen, keine Sicherheit, dass da überhaupt jemand ist.

Mittwoch, 9. Mai 2018

Himmelfahrtskommando. Filme zum Fest

Wie die Begriffe sich doch wandeln!
Während die Himmelfahrt Christi noch eine theologisch vollkommen positiv besetzte Begrifflichkeit ist (wenn die Jünger auch zunächst allein zurückgelassen werden), so meint das „Himmelfahrtskommando“, wie man es vorwiegend aus Kriegs- und Actionfilmen kennt, nicht Rettung durch die Rückkehr zum Ursprung, sondern ein nahezu aussichtsloses Unterfangen, in das die Protagonisten, meist Soldaten oder Söldner, ohne große Hoffnung auf Rückkehr geschickt werden.
Himmelfahrt ist damit Synonym für „quasi tot“ geworden.

Dienstag, 8. Mai 2018

"Niemals im Leben vergessen". Heinrich Bölls Kriegsende

Im Mai 1945 muss es wieder sehr kalt gewesen sein.
Noch am 01. Mai notiert Heinrich Böll in seinem Tagebuch "Schnee-Morast"1 für sein Kriegsgefangenenlager in Attichy nordöstlich von Paris.

Dementsprechend fühlt sich der spätere Literat auch: "Kälte, Schmutz Elend, Hunger und Jammer, Jammer!"2 sind die Stichworte während dieser Zeit, die er wie alles in seinen Tagebüchern in äußerst knappen Worten festhält. Diese Schlaglichter beschreiben nichts, sie deuten nur auf das, was die hauptsächlichen Emfindungen gewesen sein müssen. Besonders der Hunger zieht sich seitenlang als immer wiederkehrende Notiz über die Seiten jener Wochen.
Unordnung und Dreck.
Müllrose, 2017.

Samstag, 5. Mai 2018

Biblische Mathematik: Demut + Offenheit = Liebe

Die Lesungen des Sonntags sind mal wieder besonders reich an wundervollen Texten, die noch dazu eine aussagekräftige Gleichung des Christlichen ergeben.

1. "Auch ich bin nur ein Mensch" (Apg 10,26)
Die Lesungen aus der Apostelgeschichte erzählen in der Osterzeit von den ersten Gemeinden und reflektieren die Verkündigung der Apostel. Im heutigen Abschnitt kommt Petrus nach Caesarea und der römische Hauptmann Cornelius fällt ihm zu Füßen.
Petrus antwortet ihm daraufhin: "Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch."
Der Moment größter religiöser Macht ist auch ein Moment größter Versuchung. Wie leicht könnte Petrus sich jetzt, wie er es im Beisein Jesu ja mehrfach tat, groß aufspielen und zeigen, was für ein toller Kerl er ist, wie glaubensstark und nah beim Herrn.
Nichts dergleichen tut er hier. Stattdessen macht er den Unterschied zwischen Mensch und Gott groß und zeigt sich demütig.

Freitag, 4. Mai 2018

"Nihil esse respondendum". Kommunionempfang und Ambiguitätstoleranz

Das Buch der Stunde stammt von dem Islamwissenschaftler Thomas Bauer. 
Jedenfalls liefert es entscheidende Hinweise für das Verstehen der Vorgänge um die Handreichung der Deutschen Bischofskonferenz zum Kommunionempfang für nichtkatholische Ehepartner in einer gemischtkonfessionellen Ehe.

Kurz zur Vorgeschichte: Im Februar hatten die Deutschen Bischöfe ein Dokument erarbeitet, in dem die Möglichkeit zur Spendung der Kommunion in diesem Kontext eröffnet wurde. Einige Bischöfe (unter ihnen Rainer Maria Woelki, Rudolf Voderholzer, Stefan Oster) wandten sich, unzufrieden mit der Entscheidung der Mehrheit der DBK und in Angst um "Glaube und Einheit der Kirche", an den Vatikan und baten um Klärung, ob eine solche Entscheidung überhaupt in der Kompetenz einer Bischofskonferenz liege.

Samstag, 28. April 2018

"feeling so connected" – Die Bildrede vom Weinstock (Joh 15)

Es gibt einen Song von Peter Gabriel, "More than this", in dem eine Art mystischer Begegnung besungen wird. Ein Mann erwacht in der Frühe, geht aus dem Haus und läuft so lange er kann. Dann sieht er Bewegung in der Luft. Und da steht er, alles, was er hatte, ist fort und sogar noch mehr, dann steht er still und spürt, fühlt sich verbunden.

...there is something else there
when all that you had has all gone
and more than this
i stand
feeling so connected
and i'm all there
right next to you
...

(Peter Gabriel, More than this)1

Ich kenne die Religiosität von Peter Gabriel nicht, aber das Gefühl, nicht allein zu sein und sich mit etwas oder jemandem Größeres verbunden zu fühlen, ist eine urreligiöse innere Bewegung.

Freitag, 27. April 2018

Gottes Nachbarn und unsere Nachbarn. Anstöße von Petrus Canisius und Papst Franziskus

Es gab Zeiten in der Kirchengeschichte, da wurde der Heilige Petrus Canisius, Tagesheiliger und Apostel Deutschlands, stärker verehrt.
Bei einem Blick, den ich auf der Suche nach Anregungen gestern in seinen Katechismus und seine Briefe warf, verstand ich auch, warum das so ist. Denn da ist viel von Abtötung und Gehorsam, Selbstverleugnung und den Demut zu lesen. So viel, dass selbst ich nichts so ansprechend fand, dass ich es gern hier präsentiert hätte.

Nur an einer Formulierung blieb ich hängen: In seinem Katechismus erklärt Canisius auch die Zehn Gebote und beim Ersten Gebot widmet er sich neben dem Gebot der Alleinverehrung Gottes auch der Frage, ob es sich gehöre, die Heiligen zu ehren. In klassischer Unterscheidung antwortet er: "Ja, aber nicht auf die Weise, wie es uns befohlen ist, Gott zu ehren, anzubeten und anzurufen", vielmehr würden die Heiligen als "auserwählte Freunde und Nachbarn Gottes" angerufen.1

Mittwoch, 25. April 2018

Kreuze für Bayern und Kippa für alle. Zwei religiöse Symbole im öffentlichen Raum

In zwei ganz unterschiedlichen Kontexten sind religiöse Symbole in den letzten Tagen wieder Gegenstand gesellschaftlicher Debatten geworden. Zum einen die Attacke auf einen kippatragenden Israeli im Prenzlauer Berg in Berlin durch einen Palästinenser, zum anderen durch die Anordnung, dass in bayerischen Behörden demnächst verbindlich Kreuze hängen sollen.

Einmal geht es um die privaten Ausdruck der persönlichen Religiosität, eine Einzelperson nimmt also ihr Recht auf freie Religionsausübung in Anspruch1 und wird deshalb angegriffen; einmal geht es um die Geste eines sich religiös-weltanschaulich neutral definierenden Staates, der sich augenscheinlich in einer religiösen Tradition verorten will.

Samstag, 21. April 2018

"Ich habe noch andere Schafe" – Jesus Christus als Hirte aller Religionen?

Ein Satz im heutigen Sonntagsevangelium (Joh 10,11-18) macht mir regelmäßig zu schaffen. Nachdem Jesus sich als guter Hirte eingeführt hat, sagt er:

"Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten." (v16)

Wenn alle Christen Jesus als ihren Hirten ansehen und als seine Herde von ihm zu Gott geführt werden wollen, dann kann es sich bei denen, die als "andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind" bezeichnet werden, nicht um Christen handeln.

Es scheint mir also die Frage nach Jesus und seinem Verhältnis zu den Anhängern anderen Religionen zu sein, die in oben genanntem Satz auftaucht (jedenfalls möchte ich ihn hier einmal so lesen). Unzählige Schriften sind zu dieser Problematik verfasst worden, das Problem wurde von den verschiedensten Seiten gewälzt.1
Hier nur ein paar Gedanken dazu:

Mittwoch, 18. April 2018

Neues von Tieren und Menschen und Gott. Texte von J.M. Coetzee und Monika Maron

Menschen und Tiere haben mehr gemeinsam, als viele von uns, besonders von uns Fleischessern, wahrhaben wollen.
Zugleich sind sie nach christlicher Überlieferung stark voneinander unterschieden, ist der Mensch bestimmt, über das Reich der Tiere und Pflanzen zu herrschen (vgl. Gen 1,26.28).
Diese beiden Meinungen müssen sich nicht ausschließen. Aber Menschen, die eine dieser Meinungen vertreten, neigen dazu, die Unhaltbarkeit der je anderen Meinung zu betonen. Oder sie wenigstens nicht mehr hören zu müssen.
Hinter diesen Meinungen verbirgt sich auch die umfassendere Frage nach der Stellung des Menschen in der Welt, nach seiner Würde und seiner Aufgabe.

Zwei aktuelle Romane bieten für beide Meinungen prägnante Texte an.

Samstag, 14. April 2018

Kein Tropfen darf zu Boden fallen! Hilde Domin und die Auferstehungsbotschaft

Was ist von uns Christen verlangt?
Dass wir von unserer Hoffnung auf die Auferstehung sprechen, die aus dem Zeugnis der Apostel von der Auferweckung Jesu folgt.
In den Evangelien nach Ostern jedenfalls geht es dauernd darum. Das heutige Sonntagsevangelium (Lk 24,34-48) handelt von einer Erscheinung des Auferstandenen vor seinen zweifelnden Jüngern und endet mit dem Satz: "Ihr seid Zeugen dafür." (v48)

Leider ist die Auferstehungshoffnung nicht unter allen heutigen Christen angekommen, und nicht überall wird sie bezeugt, aber ohne sie ist kein Christsein.

Beim Lesen eines Gedichtes habe ich mich an die Aufforderung zum Zeugnis erinnert.

Donnerstag, 12. April 2018

Kriegsgefahr – Und ein Satz von Monika Maron

Überall wird davon gesprochen, dass die USA unter ihrem Präsidenten Donald Trump demnächst in einen Krieg stolpern würde. Erst die Kriegsrhetorik gegenüber Nordkorea, dann die Provokationen in Richtung des Iran wegen des angeblich unzureichenden Atomabkommens und nun die Ankündigung eines Angriffs gegen das syrische Regime mit seinem Unterstützer Russland.

Wenngleich ich die ständigen Drohungen und Kraftmeiereien unsäglich finde, sehe ich doch auch, dass die Möglichkeiten völkerrechtlicher Beschlussfassungen auf dem Boden der UN augenscheinlich an ein Ende kommen.
Die vielgenannte "responsibility to protect" wirkt wie ein großer Luftballon, aus dem immerzu Luft abgelassen wird bis nichts mehr übrig bleibt.

Freitag, 6. April 2018

Die Trauerarbeit des Apostels Thomas

Ich stelle mir den Apostel Thomas als einen Menschen vor, der gut zu trauern gelernt hat.

Denn den anderen Jüngern ließe sich ohne Weiteres unterstellen, sie hätten mit dem Verlust ihres Meisters nicht fertig werden können und befänden sie sich in den Tagen nach Ostern im Zustand des Nicht-wahrhaben-Wollens. So nennt die Psychotherapeutin Verena Kast die Phase des Trauerprozesses direkt im Anschluss an den Tod eines geliebten Menschen.1
Mit dem Tod Jesu, so könnte den Jüngern unterstellt werden, vermögen sie sich nicht abzufinden, weshalb sie Jesu erneute Gegenwart imaginierten.
Die Gestalt des Thomas widerspricht einer solchen Deutung der Auferstehungsbotschaft.