Sonntag, 6. Dezember 2020

Heilszeit 6 – Spende am Gedenktag des heiligen Nikolaus von Myra

Nikolaus von Myra wird weithin als ein Heiliger der Kinder wahrgenommen, denn die Erinnerung an diesen altkirchlichen Bischof hängt an unserem Brauchtum: Schuhe putzen – Süßes rein.

Doch diese Verkürzung wird seinem aufwühlenden Leben nicht gerecht: Nachdem er als junger Bischof um 310 in einer der letzten Verfolgungen von Christen im Römischen Reich gefangen genommen und gefoltert wurde, war er eine Autorität: Denn er hatte seinen Glauben auch unter großem Druck nicht verleugnet.

Zugleich war er tatsächlich ein großer Wohltäter, davon zeugen die vielen Überlieferungen, wie die geheime Spende für junge Frauen durch das Fenster:

Samstag, 5. Dezember 2020

Heilszeit 5 – Weg in "Der lange Weg zur Freiheit" von Nelson Mandela

Heute vor sieben Jahren ist Nelson Mandela gestorben. Ich habe in diesem Jahr seine Erinnerungen gelesen und habe sie erlebt als voll von dem Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit für seine schwarzen Mitbürger, aber auch voller Überlegungen dazu, wie sein Land nach dem Ende der Apartheid wieder geheilt werden kann.

Auf der letzten Seite seines langen Buches schreibt Mandela:

Freitag, 4. Dezember 2020

Heilszeit 4 – Schmerz in "Wilde Freude" von Sorj Chalandon

Jeanne hat Brustkrebs und kämpft auf verschiedenen Ebenen - gegen den Krebs und alles, was er in ihrem Leben anrichtet. Besonders leidet sie darunter, dass ihr Mann sie verlassen hat, weil ihn der Krebs und die Folgen der Chemotherapie für seine Frau überfordert haben.

Jeanne kommt an ihre Grenzen:

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Heilszeit 3 – Kraft am Gedenktag des Heiligen Franz Xaver SJ

Dem großen Missionar und Gefährten des heiligen Ignatius lag das Heil der Seelen besonders am Herzen. Deshalb bricht er in die nichtchristlichen Länder Asiens auf und tauft (aus heutiger Sicht) fast manisch, um nur ja viele Menschen vor ewiger Verdammnis zu retten. Am 03.12.1552 stirbt er auf einer Insel vor dem chinesischen Festland.

Noch zehn Monate vorher, am 29.01.1552, schreibt er enthusiastisch aus Cochin (Indien) an die Väter der Gesellschaft Jesu in Europa:

Mittwoch, 2. Dezember 2020

Heilszeit 2 – Auge in "Fräulein Nettes kurzer Sommer" von Karen Duve

Festlich gekleidete Menschen, die Geburt eines Kindes, der Blick durch ein Fernrohr – es gibt Tage, die scheinen voll zu sein von Futter für das Auge.

Heinrich Straube, ein Freund der titelgebenden Annette von Droste-Hülshoff in Karen Duves Roman, ist durch ein Unglück am Auge verletzt worden. Nach einigen Tagen der Rekonvaleszenz in seinem Zimmer geht er wieder hinaus und genießt das Sehen neu. Am Ende fasst die Autorin wie folgt zusammen:

Dienstag, 1. Dezember 2020

Heilszeit 1 – Wasser in "Der Regenkönig" von Saul Bellow

Der titelgebende Held Henderson macht sich auf eine Reise zu sich selbst und reist dafür nach Afrika. Die Begegnung mit den Stämmen fernab der westlichen Zivilisation offenbart dem amerikanischen Millionär sein "grun-tu-molani" – übersetzt "ich darbe nach Leben". Dieses Motiv des Durstes nach Leben verbindet sich auf der Rückreise mit dem Bild des Wassers:

Montag, 30. November 2020

Heilszeit 0 – Prolog von Jesus dem Heiler

Ein Advent, der vor dem 1. Dezember beginnt, braucht natürlich einen Prolog. Dieser Adventskalender stellt seinen mehr oder weniger heimlichen Hintergrundspieler vor: Jesus von Nazareth.

Als erste Zusammenfassung seines Tuns wird im Matthäusevangelium besonders sein heilendes Wirken betont – und die enormen Begehrlichkeiten, die er damit auslöste.

Sonntag, 29. November 2020

Heilszeit – Ein Adventskalender im Corona-Jahr 2020

Als ich im Laufe des Jahres über ein Thema für diesen Blog-Adventskalender nachdachte, kam mir schnell der Gedanke an Heilung und Heil. 2020, so dachte ich, braucht an seinem Ende eine Pause – eine Zeit, um zu heilen.

Nun ist es leider anders gekommen: Wir können uns (in der Mehrzahl) noch nicht darauf konzentrieren, die Krankheit hinter uns zu lassen, sondern müssen uns weiter vor der Ansteckung und dem Krankwerden schützen. Die fortwährenden Einschränkungen während des Lockdown light haben keinen adventlichen Glanz, auch wenn sie, ganz wie der Advent, vorbereiten sollen auf ein schönes Weihnachtsfest.

Mittwoch, 25. November 2020

Mein Corona-Psalter: Psalmen abschreiben

Momentan schreibe ich an einem Corona-Psalter. 

Das ist (seit etwas mehr als einem Monat) meine tägliche geistliche Übung in der Corona-Zeit: 

Jeden Tag ein Psalm, handschriftlich abgeschrieben. Manchmal schaffe ich nur einen Teil, aber jeden Tag schreibe ich. Das hilft mir sehr, meinen Alltag und mein Denken mit der Lebenswelt der Psalmen und ihren Hoffnungen in Beziehung zu setzen. Inspiriert von der St. Galler Corona-Bibel.

Hier ein paar Eindrücke (vollständig, laufend aktualisiert und mit einem Mini-Impuls zu jedem Psalm auf Instagram unter @rpachmann oder #coronapsalter):

Corona-Psalter


Psalm 2

Psalm 4

Psalm 7

Psalm 8

Psalm 10

Psalm 15

Psalm 16

Psalm 17

Psalm 19

Psalm 22

Psalm 23 auf polnisch

Psalm 23

Psalm 24

Psalm 29


Psalm 30

Psalm 32

Psalm 34

Sonntag, 22. November 2020

Christkönig: Christsein als Lebenspraxis und Nächstenliebe als Gottesliebe.

1.
Es gibt verschiedene Maßstäbe, nach denen Religionen angeschaut werden können.

Zum einen lässt sich philosophisch fragen, ob sie eine in sich konsistente Weltsicht bieten und keine logischen Widersprüche lehren.

Dann kann man soziologisch auswerten, welche Verhaltensweisen in den verschiedenen Religionen vorrangig zu finden sind oder wie sich religiöse Lehren auf den Alltag auswirken.

Natürlich kann man die Religionen auch religionswissenschaftlich miteinander vergleichen oder ökonomisch fragen, wie sich Religiosität auf dem Konto auswirkt. Oder oder oder...


Und schließlich ist da noch der eigene Anspruch, den eine Religion an sich und ihre Anhänger anlegt.

Davon hören wir im heutigen Evangelium (Mt 25,31-46): Der Maßstab, den Christus einmal an uns anlegen wird, ist die Frage, wie wir ihm in unseren leidenden Nächsten begegnet sind.

Donnerstag, 19. November 2020

Kirche mit Gotteserfahrung! „Ich träume von einer Kirche der Hoffnung“ von Monika Renz

 Wir haben sie gerade nötiger denn je – eine Kirche der Hoffnung, von der Monika Renz in ihrem aktuellen Buch träumt.

Denn angesichts der Aufdeckung von massiver Vertuschung sexueller Gewalt durch Bischöfe und andere Personalverantwortliche klingen die ernsten Fragen der Theologin und Therapeutin fast schon absurd:

"Kann eine Kirche von morgen zu Erfahrung von Würde und Identität beitragen? ... Hat Kirche im Brennpunkt 'Leiden' etwas zu sagen? ... Hat Kirche uns im Thema Urangst und Entfremdung etwas zu sagen?"1

So wie Renz diese Themen aus- und weiterführt, will sie ein Gegenbild zur tatsächlich erfahrenen Realität der Kirche aufbauen. Es geht ihr um eine Kirche, die klar auf existenzielle Sehnsüchte und Bedürfnisse der Menschen antworten kann, die zu den genannten Fragen nach Würde, Identität, Leiden oder Entfremdung Stellung nimmt, indem sie sich auf die Seite der Fragenden und Leidenden stellt.

Sonntag, 15. November 2020

Coole Sachen statt Müll. Eine Talentgeschichte

Mit Herrn A. bin ich seit einigen Monaten regelmäßig im Gespräch. Zuerst hatte er um ein Krisengespräch gebeten, als er lange Zeit im Einschluss war, da man befürchtete, dass Gefahr von ihm ausgeht. Inzwischen ist der Einschluss vorbei und unsere Gespräche gehen trotzdem weiter. 

Mittwoch, 11. November 2020

Vox populi 2. Wie der heilige Martin zum Bischof wurde

Dies ist das Gegenstück zum letzten Beitrag. War ich dort skeptisch, bin ich hier euphorisch, habe ich dort die kritische Zurückhaltung geprobt, erhoffe ich hier einen Fortschritt.

Denn bei Martin können wir sehen, wie Bischofsernennungen auf katholisch auch funktionieren können. Nicht von oben, aus Rom, käme dann das Machtwort, sondern von unten, aus dem Volk Gottes, würde ein Bischof legitimiert.

Martin, der Soldat, der zum Einsiedler geworden war, wurde nach dem Tod des vorherigen Bischofs von Tours vom Volk gesucht, damit er, der heilige Mann aus der klösterlichen Abgeschiedenheit, der neue Bischof werde. Die Legende erzählt, dass Martin gar nicht wollte und sich sogar im Gänsestall versteckte, bis die Gänse ihn durch ihr Geschnatter verrieten.

Montag, 9. November 2020

Vox populi – vox Dei? Gedanke am 9. November

Mit der Stimme des Volkes ist es so eine Sache.


Beim Gedenken an den 9. November 1989 erinnern wir uns gern an die Menschenmassen, die in den Wochen zuvor an Massenkundgebungen auf dem Alexanderplatz und in der ganzen DDR teilgenommen haben sowie an die freudentaumelnden Ostberliner, die über die offenen Grenzübergänge liefen. Das friedlich revoltierende Volk hatte gesiegt.


Doch der andere 9. November, der von 1938, erinnert uns daran, wie aufgepeitschte Massen in einer angeblich spontanen, dabei von den Nationalsozialisten gesteuerten und organisierten gewalttätigen Aktion jüdische Geschäfte und Synagogen zerstörten. Das deutsche Volk war anscheinend scharf darauf, es seinen jüdischen Mitbürgern mal so richtig zu zeigen.

Samstag, 7. November 2020

Ihr seid wichtig – seid auch bereit! Predigt zum Gleichnis von den zehn Jungfrauen

"Sie haben Ihre VPK1 leider doch erst übernächste Woche!"

"Bitte haben Sie noch etwas Geduld, ich brauche nur noch eine Unterschrift!"

"Der Teilanstaltsleiter möchte da noch einmal draufschauen, ich kann Ihnen erst in ein paar Tagen Bescheid geben."

"Der Psychologische Dienst ist gerade nicht besetzt, da müssen Sie leider noch warten."

"Leider bin ich bei dem Termin im Urlaub, mit dem Gespräch wird es erst im nächsten Monat was."

 

Sie kennen diese und viele andere Aussagen, die alle darauf hinauslaufen, dass Sie sehr geduldig sein müssen, bis in Ihrem Haftverlauf irgendetwas passiert.

Sie kennen damit auch das Gefühl beständiger Unsicherheit, ob nun demnächst eine entscheidende Änderung eintritt oder nicht.

Sonntag, 1. November 2020

Allerheiligen: Halo-Effekt und echte Heiligkeit

 Theoretisch weiß jeder, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Trotzdem fallen wir immer wieder auf Blender herein.

In der katholischen Kirche ist das in den letzten Jahren auch bei einigen Gründern Geistlicher Gemeinschaften und Orden der Fall gewesen: der lang protegierte Gründer der Legionäre Christi Marcial Maciel mit seinen diversen Liebschaften und Kindern oder ganz aktuell der des vielfachen Missbrauchs beschuldigte Gründer der Schönstattbewegung Josef Kentenich sind besonders populäre Beispiele dafür, wie Charisma und religiöse Schönrederei den Blick für die dunklen Stellen getrübt haben.

Die Sozialpsychologie bezeichnet dieses Phänomen als "Heiligenschein" oder "Halo-Effekt":

Freitag, 30. Oktober 2020

"5x Nein und 5x Ja." Dokumentation eines Appells polnischer Geistlicher zur aktuellen Situation.

Heute reisen Menschen aus ganz Polen nach Warschau, um dort gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts in Sachen Abtreibungsrecht demonstrieren. Rechte Gruppen, Hooligans, Polizei und Militär wollen sich entgegenstellen. Gewalt liegt in der Luft.

Angesichts dessen bin ich (auch nach meinem letzten Beitrag) sehr froh, dass es in der polnischen katholischen Kirche eine erstaunliche Vielfalt und Fähigkeit zur Abwägung gibt, an die ich angesichts der aufgeheizten Situation schon fast nicht mehr geglaubt hätte.

Dienstag, 27. Oktober 2020

Polen und die Abtreibungsfrage. Ein persönlicher Kommentar

Ich mache keinen Hehl aus meiner Ratlosigkeit.

Wenn ich nach Polen schaue, dann sehe ich eine autoritäre Regierung, die seit Jahren unverhohlen den Rechtsstaat zerstört und den öffentlichen Diskurs unangenehm polarisiert. Dabei hat sie oft konservative Kirchenführer auf ihrer Seite. Als liberal empfindender Mensch spüre ich regelmäßig Abscheu, wenn ich die vielen politischen Tiefschläge sehe und wahrnehme, wie parteiisch sich die Bischöfe oft verhalten.

Die Verschärfung des Abtreibungsrechts durch das von Parteigängern der Regierungspartei PiS besetzte Verfassungsgericht scheint in die Linie zu passen. Seit Tagen protestieren nun Polinnen und Polen auf den Straßen, in den Kirchen und heute auch im Sejm, dem Unterhaus des polnischen Parlaments. Sie sehen dieses Vorgehen als Kriegserklärung an.

Freitag, 23. Oktober 2020

Gottes- und Nächstenliebe. Irrwege und Praxistipps

Wie viel erfolgreicher könnte das Christentum doch sein,

...wenn es schöne Effekte bieten würde, Heilungen oder überzeugende Weissagungen,

...wenn es reichen würde, ein paar Kerzen anzuzünden oder einen Rosenkranz zu beten,

... wenn tolle Bauwerke, bunte Gewänder und erhabene Musik entscheidend wären,

... wenn die Kenntnis von Geboten oder Verboten, von Bibelversen und Gebeten ausreichen würde.


Aber nein – Jesus sagt im Evangelium des Sonntags (Mt 22,34-40) sehr klar: Es geht um LIEBE.

Samstag, 17. Oktober 2020

Unter Gottes Prägestempel. Ignatius von Antiochien und die zwei Münzen

Während ich noch in den Briefen des altkirchlichen Bischofs Ignatius von Antiochien blätterte und anfing, die ganz unten stehenden Gedanken in den Computer zu tippen, fiel mir ein Kapitel aus seinem Brief an die Magnesier ins Auge, in dem er das Motiv der Münzen aus dem morgigen Evangelium (Mt 22,15-21) variiert – und das sich darum viel besser für einen Beitrag an diesem Tag eignet.

Im fünften Kapitel schreibt der Märtyrerbischof:

"Es gibt zwei Möglichkeiten: Tod oder Leben, und jeder wird dorthin gelangen, wohin er gehört.
Es gibt ja auch zwei Sorten Münzen, die einen gehören Gott und die anderen der Welt. Und jede Münzsorte weist eine besondere Prägung auf. So tragen die Ungläubigen die Prägung dieser Welt – die aber glauben, tragen die Liebe als Prägestempel Gottes, des Vaters, den Jesus Christus uns aufgedrückt hat. An seinem Leiden haben wir nur Anteil, wenn wir uns freiwillig dafür entscheiden, nach dem Vorbild seines Leidens zu sterben.
"1 

Samstag, 10. Oktober 2020

Nimm die Einladung doch an! Und feiere mit! Eine Predigt zu Mt 22,1-10

Was für eine Enttäuschung! Was für eine Frechheit!

Aber auch:

Was für ein Choleriker! Was für eine brutale Überreaktion!

Der Text des Sonntagsevangeliums (Mt 22,1-10) lässt mich mit vielen starken Eindrücken und einer Reihe von offenen Fragen zurück.

Warum sind diese Leute so wenig interessiert an einem großen Fest? Warum fühlen sich alle hier so schnell gereizt und genervt?

Was ist diesem König an seinem Fest so wichtig, dass er sogar Leute, die gar nicht dabei sein wollen, dazuholt?

Ich nähere mich der ganzen Sache mal mit einer persönlichen Geschichte: 

Donnerstag, 8. Oktober 2020

Gutes nicht übersehen! Zum Tod von Ruth Klüger

Nachdem ich bei meinem Freiwilligendienst vor fast zwanzig Jahren in der Ukraine mit vielen Überlebenden aus deutschen Konzentrationslagern zu tun hatte, las ich sehr eine Menge KZ-Erinnerungen.

Kein Zeugnis hat mich so nachhaltig beeindruckt wie das von Ruth Klüger, die am 6. Oktober diesen Jahres in Kalifornien gestorben ist.

Die analytische und völlig unpathetische Weise, den Schrecken ihrer Erfahrungen zu schildern, driftet nie ins Unpersönliche oder Empathielose. Trotz aller kritischen Härte spricht große Menschlichkeit und Weisheit aus ihrem Erinnerungsbuch "weiter leben".1

Beim Durchblättern meiner vor einigen Jahren erst gelesenen Ausgabe habe ich gerade eine Reflexion wiederentdeckt, die mich damals sehr nachdenklich machte.

Donnerstag, 1. Oktober 2020

Mauern vor dem Himmel. Die Schattenzeiten der Theresa von Lisieux

Schein und Wirklichkeit klaffen bisweilen weit auseinander.

Besonders wenn es um Heilige geht, stellen wir uns gern glaubensstarke Persönlichkeiten vor, die heroisch Gutes tun und vorbildliche Gottesbeziehungen pflegen.

Entsprechend groß war der allgemeine Schrecken über das erschreckend dunkle Glaubensleben der Mutter Teresa von Kalkutta, wie es vor einigen Jahren in ihren veröffentlichten Tagebüchern zum Ausdruck kam.

Aber auch die "Selbstbiographischen Schriften"1 der so genannten "kleinen" Theresa von Lisieux bringen dies zum Ausdruck. Schwach und kränklich wie sie ist, schreibt sie im Auftrag der Priorin Marie de Gonzague im Juni 1897 ihre Lebens- und Glaubensgeschichte auf.

Samstag, 26. September 2020

Gewalt in der Bischofskonferenz und Angela Merkels Vermächtnis

Ich will das auch ausprobieren: Etwas versprechen und dann das Gegenteil davon tun.

So wie mit dem Titel dieses Posts. Vielleicht wird nichts von dem dort Angekündigten in diesem Beitrag auftauchen.

Was macht das mit dir? Was macht das mit einer Person, die diese große Ankündigung liest und deren Erwartungen dann enttäuscht werden?

Ist sie enttäuscht? Oder eigentlich nicht sonderlich überrascht? Lacht sie? Oder hört sie auf mit Lesen?

Das weiß ich alles nicht.

Samstag, 19. September 2020

Supergerechtigkeit. Gefangen im Weinberg

Wie wird man einem Menschen und seinem Tun gerecht?

So fragt beispielsweise das Sonntagsevangelium (Mt 20,1-16) von der Bezahlung der Arbeiter im Weinberg.

Ich möchte auf diese Frage mit einer Provokation aus meiner Arbeitswelt antworten:

Gerecht wäre es, Menschen, die wegen eines Verbrechens inhaftiert sind, besonders anständig und zuvorkommend, besonders freundlich und hilfsbereit zu behandeln und ihnen besonders gute Chancen zu geben, sich weiter zu entwickeln.

Das ist erklärungsbedürftig: Wenn sie es zuvor nicht geschafft haben, (selbst)verantwortlich zu leben, werden sie es wohl kaum lernen, wenn sie in einer Haftanstalt wenig bis keine Möglichkeiten haben, auszuprobieren, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.

Sie müssten also regulär die Möglichkeit bekommen, echte Verantwortung einzuüben, wo das heutige Gefängnis ihnen fast alle Entscheidungen abnimmt.

Samstag, 12. September 2020

Wie lerne ich, gern zu vergeben? Predigt im Gefängnis

Mitten in die Predigtvorbereitung über das heutige Evangelium von der Vergebung (Mt 18,21-35) wird mir in der Nacht zu Freitag mein Fahrrad aus dem Hof geklaut. Das vierte geklaute Rad in acht Jahren in Berlin.
Da fällt es mir schwer, über Vergebung nachzudenken.
Weil ich selbst betroffen bin.
Sitze ich in der JVA jemandem gegenüber, der von seinen Straftaten erzählt, kann ich leichter Verständnis aufbringen. Ich bin ja nicht der Geschädigte, nur der Seelsorger, der dann die Lebensumstände und den Suchtdruck des Inhaftierten bedenkt und sich wohlwollend verhalten kann.
Aber wenn es um mich selbst geht, werde ich aggressiv.
Und dann dieses Evangelium!

Mittwoch, 9. September 2020

"Boże Ciało" heißt Leib Christi. Eine theologische Filmkritik

"Boże Ciało" heißt übersetzt Leib Gottes, verstanden als Leib Christi. Deshalb ist die Übersetzung des polnischen Films "Boże Ciało" (2019) mit dem lateinischen "Corpus Christi" für die deutsche Vermarktung richtig.

Aber "Boże Ciało" heißt auch noch etwas anderes. Es ist nämlich der volkstümliche polnische Name für das "Fest des heiligsten Leibes und Blutes Christi", das im deutschen Sprachraum in der Regel "Fronleichnam" genannt wird.

Wenn polnische Zuschauer sich den Film von Jan Komasa ansehen, werden sie darum sicher auch an besagtes Fest denken, an dem die Handlung des Filmes zu einem Höhepunkt kommt. Mit dem für Deutschland gewählten Titel gerät die zweite Bedeutung stärker in den Blick. Leider geht dabei aber die Doppeldeutigkeit, die dem polnischen Titel eignet, verloren.

Worum geht es im Film nun?

Sonntag, 6. September 2020

Zurechtweisung als Mittel der Konfliktlösung? Über das Evangelium Mt 18,15-20

Wie soll eine Problemlösung aussehen, wenn sie christlichen Idealen folgt?

Das Sonntagsevangelium (Mt 18,15-20) bietet eine Schrittfolge an, wie mit ungehörigem Verhalten unter Christen umgegangen werden soll, damit der einen Seite Vergebung, der anderen Umkehr zu möglich wird. Der Konflikt, also "wenn dein Bruder gegen dich sündigt" (v15), soll, wenn er nicht gelöst werden kann, immer weiter ins Öffentliche gebracht, um es dem, der da Unruhe in eine Gruppe gebracht hat, zu erleichtern, ohne (allzu großen) Gesichtsverlust sein Verhalten zu ändern. Erst wenn auch die immer größere Öffentlichkeit nichts gebracht hat, heißt es, „sei er für dich wie ein Heide oder Zöllner“ (v17), also nicht mehr zur Gemeinschaft dazugehörig.

Sicher geht es in manchen, seltenen Fällen, nicht anders. Aber Leute hinauszuwerfen ist ja auf Dauer keine Lösung.

Mittwoch, 2. September 2020

Ganz großes Theater. "Jesus kommt" von Nora Gomringer

Vor wichtigen Gesprächen bügle ich meistens noch ein Hemd. Auch rasiere ich mich. Versuche, einen guten Eindruck zu machen aus lauter Furcht, vielleicht nicht gut dazustehen.

Ähnliches schreibt die Lyrikerin Nora Gomringer in folgendem Gedicht1:

Freitag, 28. August 2020

"Trotzdem!" lesen! Eine Rezension zu Christiane Florins neuem Buch

Vielleicht steht Christiane Florin bis zu einem gewissen Punkt für einen Großteil westdeutscher Katholiken um die 50: Aufgewachsen in einem katholischen Umfeld und darin leidlich engagiert, wird der Blick auf die Kirche mit der Zeit immer kritischer.
Doch bei Florin ist es noch mehr: Sie befasst sich in unterschiedlicher Weise beruflich mit Religion und Glaube und nicht zuletzt mit der Kirche; erst bei Christ & Welt, seit vier Jahren im Deutschlandfunk bei "Religion und Gesellschaft".
Nach dem Buch "Weiberaufstand" von 2017 (und einer dazugehörigen Website) hat sie nun ein neues Buch mit einem breiteren Fokus vorgelegt: "Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben"1

Und dieses Buch trifft ins Mark.

Samstag, 22. August 2020

Berufung als felsiges Gelände. Eine Auslegung zu Mt 16,13-20

Es kommt, wie es so oft kommt in der Kirche, oder auch in einer Jugendgruppe oder Schulklasse. Wer aktiv ist und sich gern einbringt, dem wird auch zugemutet, noch mehr zu tun. Ich rede hier aus leidvoller Erfahrung.

Und ich gebe zu: ich möchte im Sonntagsevangelium (Mt 16,13-20) nicht unbedingt in der Haut von Petrus stecken. Da sagt er einmal was Richtiges und schon bekommt er eine Aufgabe übergeholfen.

Ob er aber überhaupt ein Fels sein will, wie Jesus ihm da zusagt, wird er nicht gefragt.
Mir ist, als würde mit dem Erstbekenntnis zu Jesus als dem Gesalbten Gottes gleich eine Unmenge an Funktionen verbunden sein, die im Bekenntnis gar nicht direkt angelegt sind.

Freitag, 14. August 2020

Betteln verboten?! Oder: Dieser Jesus stößt mich ab.

Es fällt mir sehr schwer, dem Evangelium etwas Positives über die Haltung Jesu abzugewinnen (vgl. Mt 15,21-28).

Da kommt eine heidnische Frau drei Mal für ihre kranke Tochter zu Jesus und seinen Jüngern – und wird immer wieder abgewiesen, bis Jesus sich bei ihrem dritten Einwand endlich erbarmt.

Oft wird darauf hingewiesen, dass Jesus hier als Lernender dargestellt sei. Er geht schließlich über sich und seinen Auftrag hinaus. Das mag sein, aber es tröstet mich nicht über seine Schroffheit hinweg.

Mittwoch, 12. August 2020

"There is a crack in everything" - "damit die Kraft Christi auf mich herabkommt." Ein Gedanke zu Paulus und Leonard Cohen

Auf der Suche nach einem tröstlichen Kalenderspruch für eine schwierige Situation (ja, auch das gehört manchmal zu meiner seelsorglichen Tätigkeit) fiel mir neulich eine Verwandtschaft zwischen Paulus und Leonard Cohen auf.

Sonntag, 9. August 2020

Edith Stein, fromme Feministin

Wäre das heute denkbar: Eine kritisch denkende Atheistin, die für Frauenrechte streitet und sich als Vernunftmensch versteht, wird katholisch?

1891 in Breslau in eine jüdische Familie geboren, erklärt Edith sich als 15jährige, sie habe sich "auch das Beten ganz bewusst und aus freiem Entschluss abgewöhnt."1 Das Judentum sagt ihr nichts mehr. Ab 1911 studiert sie Philosophie und promoviert 1917 bei Edmund Husserl in Freiburg.
Dabei beginnt ihre intensive existenzielle Suche, die sie 1922 zur Entscheidung für die Taufe und damit in die katholische Kirche führt. 1933 schließlich tritt sie in den Kölner Karmel ein.

Natürlich war sie auch damals eine Ausnahmegestalt.

Samstag, 8. August 2020

Der sinkende Fels in der Nacht. Drei Auslegungen zum Sonntagsevangelium

Kurzgefasst die wesentlichen Inhalte des aktuellen Sonntagsevangeliums (Mt 14,22-33):
Die Jünger sind in der Nacht allein im Boot auf dem See. Jesus kommt über das wilde Wasser und sagt: "Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!" (Mt 14,27) Petrus wagt es und will über das Wasser zu Jesus gehen. Doch er bekommt Angst und sinkt, als er um Hilfe ruft, hilft ihm Jesus.

Und drei Lesevorschläge:

Als eine Geschichte der Freundschaft lässt sich das Sonntagsevangelium lesen.
Seit Jesus die Brüder Petrus und Andreas am Anfang seines öffentlichen Auftretens gerufen hat (Mt 4,18ff), wuchs ihre Beziehung immer tiefer und enger. Petrus lernte Jesus kennen, Jesus lernte Petrus kennen. Jesus zeigt sich vornehmlich als Prediger, als selbstbewusst über dem Sabbat Stehender, als Wunderheiler. Und Petrus geht mit, er steht meist dabei und lernt. Später wird er sich noch mehr exponieren, vorerst ist er einer unter den anderen Jüngern.
Und hier tritt er zum ersten Mal im Matthäusevangelium stärker hervor.
Besonders in Männergruppen gibt es ja immer einige, die ein bisschen auftrumpfen müssen. Auch Petrus scheint auf dem See eine besondere Nähe zu Jesus herstellen zu wollen und verlässt vor den Augen der anderen Jünger das sichere Boot, um dem Freund auf dem Wasser entgegen zu gehen.

Samstag, 1. August 2020

Die Brotvermehrung. Oder: Wie Jesus mit seiner Massendemo umgeht und was gute MitarbeiterInnen ausmacht

Eine Klärung gleich zu Beginn: Diese Massenaufläufe, die Jesus laut Evangelium (Mt 14,13-21) verursacht hat, hätten unter Corona-Bedingungen natürlich sofort aufgelöst werden müssen. Keiner hatte eine Maske dabei, Brot wird von Hand zu Hand weitergereicht, Abstand wurde nicht eingehalten. Immerhin trug wohl niemand eine schwarz-weiß-rote Reichsflagge oder einen Aluhut.

Kurz: Das Evangelium hat wieder einiges an Stoff zu bieten. Es zeigt Jesus als Freund eines Knackis; präsentiert eine Basisanweisung für Christen; weist auf die Wichtigkeit von guten Mitarbeitern hin.

Freitag, 31. Juli 2020

Shutdown für Ignatius. Über die Neuordnung des Lebens

Es war fast der größtmögliche Schaden, den es für einen aufstrebenden Ritter überhaupt geben konnte: Als Ignatius von Loyola 1521 mit einer kleinen Schar von Mitstreitern die Festung von Pamplona vor der Übernahme durch die französische Übermacht bewahren wollte, zerschmetterte ihm eine Kanonenkugel das Bein. All sein höfischer Ehrgeiz, seine Eitelkeit und sein Streben nach Fortkommen durch Kampf und Kraft war von einem Moment auf den nächsten dahin.
Nachdem der Schwerverletzte ins heimatliche Schloss nach Loyola zurück transportiert worden war, begann die lange Zeit der Heilung (mehr zu seinem Leben hier).
Für Ignatius war es eine Art Shutdown, den er brauchte, um sein Leben neu zu ordnen.

Samstag, 25. Juli 2020

Für meinen Schatz investiere ich was. Ein Radiobeitrag zum Sonntagsevangelium

So ähnlich werde ich morgen früh um ca. 10 vor 10 im Radio auf rbb 88,8 zu hören sein:

Die Geschichte beginnt wie im Märchen:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker.“ (Mt 13,44)
Jesus erzählt diese Geschichte, um zu verdeutlichen, was er mit dem Himmelreich meint. Etwas, das uns fasziniert und unsere ganze Aufmerksamkeit und unsere ganze Energie beansprucht.

Einen Schatz zu finden ist dabei das eine. Und es muss gar keine Schatztruhe voller Gold und Silber sein. Wenn ich aufmerksam für die kleinen Dinge bin, die mein Leben wertvoll machen, finde ich schnell eine Reihe Beispiele – und sei es nur ein saftiges Stück Wassermelone, ein Sonnenstrahl, der auf den Baum vor dem Fenster fällt oder das Lächeln meines Gegenübers.
Der Genuss solcher kleinen Gelegenheiten ist eine wichtige Sache. Viel wichtiger aber ist es, einen Schatz auch für mein Leben fruchtbar werden zu lassen – das meint Jesus, wenn er sagt, dass der Mann den Acker mit dem Schatz darin kaufte.

Montag, 20. Juli 2020

Widerstand und Solidarität. Bonhoeffer entscheidet sich für beides

Unterscheiden können ist eine Kunst, die eingeübt sein will. Nicht jeder ist dazu bereit und fähig. 
Leider gilt das auch für die, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, heute wie damals.

Einer aber, der es konnte, sei hier noch einmal benannt, heute, an dem Tag, an dem ich auf meinem Blog jedes Jahr Gedanken aus dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus notiere. 
Dietrich Bonhoeffer ist der Gemeinte, der zwischen den Nazis und seinen Landsleuten, den Deutschen, unterscheiden konnte.

Freitag, 17. Juli 2020

Umarme das Unkraut! Ein Gleichnis Jesu gegen den Strich gelesen

Es gibt durchaus andere Möglichkeiten, mit Unkraut umzugehen als Jesus es tut. Da wuchert es zum Ärger der Bauern fröhlich zwischen dem guten Weizen und Jesus verbietet den Jüngern, die störenden Gewächse auszureißen. 

Der Fokus Jesu ist bei diesem Beispiel darauf gerichtet, dass nicht Menschen zu entscheiden haben, wer oder was bei Gott Ansehen findet, sondern dass es Gottes ureigene Sache ist. Außerdem neigen wir Menschen (siehe chemische Schädlingsbekämpfung) dazu, mit dem Unkraut auch noch alles andere auszurotten (vgl. Mt 13,24-30).

Doch man hätte den Fokus auch anders legen können, wie mit dem „Schlechten“ umzugehen ist, das sich da heimlich unters „Gute“ mischt.

Mittwoch, 15. Juli 2020

40 Jahre – Und dann das Gelobte Land?

In diesen Tagen bin ich vierzig Jahre alt geworden.

Und genauso wie ich vor sieben Jahren darüber nachgedacht habe, was es bedeutet, so alt zu sein wie Jesus, gehen mir auch in diesem Jahr viele Gedanken zu diesem Thema durch den Kopf. Denn in der biblischen Tradition sind die vierzig Jahre als eine symbolische Größe wichtig:

Der bekannteste Ort, an dem die vierzig Jahre im biblischen Kontext auftauchen, ist in den fünf Büchern Mose der lange Weg des aus der ägyptischen Sklaverei befreiten Volkes durch die Wüste ins Gelobte Land (vgl. z.B. Dtn 8,2).
Die konkrete biblische Kontext dahinter besagt, dass es sich bei den vierzig Jahren um eine Strafe Gottes handelt. Weil nach der ersten Erkundung des Landes aus Angst vor den einheimischen Völkern durch einige Beobachter Lügen verbreitet wurden (z.B. dass das vor ihnen liegende Land seine Bewohner auffressen würde) und deshalb Misstrauen gegenüber Gott wuchs, murrte das Volk gegen Gott (Num 13,31-14,4). Wegen dieser Angst, diesem Misstrauen, diesem Murren, ließ Gott sie zur Strafe vierzig Jahre lang durch die Wüste irren (vgl. Num 14,34).

Freitag, 10. Juli 2020

Der Sänger und der Sämann. Ein Song von Leonard Cohen

Einer der Songs aus Leonard Cohens vorletztem Album heißt "Treaty" – also "Abkommen" oder "Vertrag". (Am besten erst mal in Ruhe anhören!)

Darin schildert der große Songwriter mit der rauchigen Stimme eine Beziehung zwischen Faszination und Skepsis. Aus einigen Versatzstücken kann man sein angesprochenes Gegenüber mit Jesus identifizieren, andere Zeilen lassen eher Zweifel aufkommen.
Da die religiöse Weite Cohens bekannt ist und seine Auseinandersetzung mit Jesus und dem Christentum auch in anderen Texten auftaucht, will ich hier davon ausgehen, dass Jesus gemeint ist.

Der Text beginnt so:

Montag, 6. Juli 2020

Wer ist wirklich Christ? Vom christlichen Glauben als Asylgrund

Eine kurze Nachbemerkung zu den Kirchenaustritten 2019, die ich im letzten Beitrag schon thematisiert hatte.

Die innere Entfremdung vieler Christinnen und Christen von „ihrem“ Glauben setzt früher ein, als es die aktuellen Zahlen vermuten lassen. Wie Andreas Püttmann in einem Kommentar für katholisch.de darlegt, ist es angesichts der lange schon dokumentierten gesunkenen Zustimmungswerte zu zentralen christlichen Glaubensinhalten eigentlich erstaunlich, wie viele Menschen überhaupt noch in der Kirche bleiben, wenn sie deren Glauben gar nicht mehr teilen.

Es muss, das ist die logische Folge, eine Unmasse an Kirchengliedern geben, die grundlegende Überzeugungen „ihrer“ Kirche nicht teilen und deren Christsein sich auf die regelmäßige Zahlung der Kirchensteuer beschränkt. Trotzdem nennen wir sie Christen (mal abgesehen davon, dass auch Ausgetretene weiterhin Getaufte sind).

Samstag, 4. Juli 2020

"Kommt alle zu mir!" Jesus und die Kirchenaustrittszahlen.

In den letzten Tagen haben die hohen Kirchenaustrittszahlen von 2019 für einen Schock in der kirchlichen (Medien-)Landschaft gesorgt. 
270000 Menschen sind allein im letzten, an kirchlichen Skandalen immerhin nicht besonders reichen Jahr, aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ebenso viele aus der evangelischen. Dass es so viele waren, erschreckt manche bis ins Mark: Sind wir so wenig einladend?

Ich persönlich glaube, dass sich da nur etwas deutlich zeigt, was bei den meisten der Menschen innerlich sowieso schon passiert war: Es ist die Abwendung von einer Institution, der man (jedenfalls im Westen Deutschlands) lange Zeit qua "normaler" Sozialisation angehörte. Ohne eigenen Entschluss. Bei Wegzug aus dem heimatlichen Umfeld fiel der Kontakt zur Kirche oft auch weg. Eine Art individueller Selbstaufklärung. Religion war schon lange irrelevant.

Ist die Darstellung dieser bislang verborgenen Realität in sichtbaren Austritten nun etwas schlechtes? Ich glaube nicht. Es ist eine Offenlegung.

Mittwoch, 1. Juli 2020

„Schreibt über das, was ihr seht.“ Urlaubslektüre und -impressionen

Meine aktuelle Urlaubslektüre „Der Freund“ von Sigrid Nunez ist ein Buch, in dem die Ich-Erzählerin zu ihrem verstorbenen besten Freund spricht. Verstorben ist allerdings sehr verkürzt ausgedrückt - der ehemalige Schreibdozent hat sich umgebracht. Nun versucht sie, angemessen Abschied zu nehmen. Auch, indem sie sich an seine Prämissen beim Schreiben erinnert.

Eine dieser Prämissen hat es mir besonders angetan - vielleicht auch deshalb, weil sie auf meinem Blog zu wenig vorkommt.

Statt über das zu schreiben, was ihr wisst, hast du zu uns gesagt, schreibt über das, was ihr seht. Geht davon aus, dass ihr sehr wenig wisst und nie viel wissen werdet, außer ihr lernt, zu sehen.“1

Das ist leichter gesagt als getan.

Freitag, 26. Juni 2020

Die schmuddelige Inkarnation nicht abschütteln. Oder: Sein Kreuz auf sich nehmen. Notiz zu Mt 10,37-42

Das Evangelium Mt 10,37-42, das an diesem Sonntag in den Gottesdiensten verkündet werden soll, muss ein schwerer Predigt-Brocken sein. Jedenfalls habe ich in den letzten Wochen eine ungewöhnlich hohe Zahl an Zugriffen auf einen älteren Beitrag zu diesem Evangelium auf diesem Blog registriert.
Und tatsächlich fordert Jesus uns ja auch ziemlich heraus: ihn mehr zu lieben als unsere Liebsten, das Kreuz auf sich zu nehmen, sein Leben wegen ihm zu verlieren und so fort.

Das widerspricht allerdings dem verbreiteten Missverständnis, dass Religion eine Art Beruhigungspille sei. Außerdem entspricht es nicht unserem Bedürfnis, dass es uns möglichst oft und möglichst lang möglichst gut geht.

Samstag, 20. Juni 2020

Fürchte dich nicht! Du bist ein wertvoller Mensch

Bist du ein wertvoller Mensch?
Wenn ja, woran erkennst du das?
Es sollte nicht an einer Uniform oder einer Hautfarbe hängen!
Was macht deinen Wert aus?
Kann man dir deinen Wert nehmen?
Und überhaupt: Was macht es aus, ob du wertvoll bist oder nicht?

Das sind einige der Fragen, die in mir auftauchten, als sich meine Aufmerksamkeit an einigen Zeilen des Sonntagsevangeliums festhakte.

Kunstvoll kurvt dieser Text (Mt 10,26-33) an verschiedene Themen heran – an den Stellenwert von Heimlichkeiten, an das Verhältnis von Leib und Seele, an die Bedeutung von missionarischen Bekenntnissen – und eben an die Frage nach dem Wert eines Menschen.

Freitag, 19. Juni 2020

„…eine unglaubliche Energie oder Strahlung…“ Pierre Teilhard de Chardin und das Herz Jesu

Es wirkt wie ein seltsam aus der Zeit gefallenes Fest – das heutige „Fest des Heiligsten Herzens Jesu“. Die Verehrung des Herzens Jesu und seine Frömmigkeit mit ihren eigenartig kitschigen und auf verstörende Weise verdinglichenden Darstellungen ließen mich oft schaudern.

Nicht meine Spiritualität.
Aber ich bin damit nicht allein: auch Teilhard de Chardin hat sich kritisch gegenüber den Ausdrucksformen dieser Frömmigkeit geäußert – und es zugleich geschafft, eine innere Erweiterung des Festinhalts zu denken, die mich versöhnlicher stimmt.

Samstag, 13. Juni 2020

Bloß nicht zu denen! Über Jesu Verbot, zu Heiden und Samaritern zu gehen

Es ist eine Aussage, die mir regelmäßig aufstößt – Jesu Verbot, zu den Nichtjuden zu gehen. "Geht nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samaríter" (Mt 10,5), sagt er im Evangelium des Sonntags (Mt 9,36-10,8) zu seinen Aposteln. Nur den "verlorenen Schafen des Hauses Israel" (v6) sollen sie die Frohe Botschaft von Gottes heilender Nähe verkünden.
Das schockiert mich und passt nicht recht zu meiner sonstigen Auslegung des Christentums.
Bedeutet das den Ausschluss aller anderen Gruppen von der Gottesherrschaft? Will Gott nicht bei ihnen sein? Kurz: Gibt es Menschen, die bei Gott nicht gewünscht sind?